Entgegnung auf den Leserbrief aus ArPo 1/2019
Zur Novemberrevolution

Der Leserbrief zur Novemberrevolution aus Arbeiterpolitik 1/2019 bestätigt die Gesamtaussage unseres Artikels zur Novemberrevolution aus Arbeiterpolitik 5/6 2018 und bringt darüber hinaus „einige Ergänzungen und kritische Anmerkungen“. Diese Ergänzungen und Vertiefungen machen Sinn, weil die Auswahl konkreter Fakten in einem notwendigerweise begrenzten Artikel immer auch ein subjektives Element enthält und der Verfasser eines Leserbriefes (auch) andere Fakten berücksichtigt sehen möchte. Insofern ist dem nichts hinzuzufügen.

Zu den „kritischen Anmerkungen“ wollen wir allerdings Stellung beziehen, weil uns hier eine andere Auffassung gegenübertritt, als wir sie einnehmen. Der wichtigste Punkt ist auf Seite 20, linke Spalte unten, formuliert: „Die Parteigründung war zu früh erfolgt und nicht ‚endlich‘, wie ihr schreibt.“ Wir sind der Meinung, dass die Aufgabe des Historikers nicht darin bestehen kann, Wünschenswertes zu formulieren, als sei im Wege der Kritik der historische Ablauf noch einmal zu ändern oder als könne man direkte Schlussfolgerungen ziehen in der Erwartung, dass dieselbe Situation noch einmal in genau der gleichen Konstellation auftauchen könne. Das ist nicht möglich: „Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss.“

Wir bemühen uns um das Nachvollziehen der historischen, revolutionären Vorgänge, um sie zu verstehen: in ihren Ursachen, Abläufen, Konsequenzen für die nachfolgende Zeit bis in unsere Tage. Der Einwand des Leserbriefs weist uns nachträglich darauf hin, dass wir an dieser Stelle vertiefende Erläuterungen hätten machen können. Das Wort „endlich“ sollte ausdrücken, dass von Beginn des Weltkriegs an (etwa mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten) die drängende Frage auftauchte, wie die antimilitaristische, sozialistische Linke innerhalb der damals so nicht erwarteten Wende der SPD ins imperialistische Lager ihren Oppositionskurs zum Ausdruck bringen und in welche organisatorische Form sie ihn gießen müsse. Die Bildung der Gruppe Internationale innerhalb der USPD und ihre weitere Festigung als Spartakusgruppe mit eigenen Publikationen, die Beteiligung an der Zimmerwald-Bewegung etc. waren erste notwendige Schritte. Sie führten selbstverständlich zu Diskussionen in der Anhängerschaft darüber, ob man nicht „endlich“ die Konsequenz ziehen sollte, die kommunistische Bewegung ganz von der diskreditierten Sozialdemokratie zu trennen und zu verselbständigen, um dem revolutionären Proletariat eine reale Alternative vor Augen zu führen. Im Einzelnen können wir diese Entwicklung, die sich in rasendem Tempo vollzog, hier auf knappem Raum nicht darstellen.

Eine Begründung, weshalb die dann zur Jahreswende vollzogene Parteigründung „zu früh“ erfolgt sein soll, wird im Leserbrief nicht angeführt. Üblicherweise wird in Diskussionen und Meinungen darauf verwiesen, dass mit längerem Zuwarten die Chance bestanden hätte, größere Massen von revolutionär gestimmten Proletariern von der USPD (und der SPD?) abzuziehen und mitzureißen. Das ist spekulativ. Es wird auch der „Gluthitze der Revolution“ nicht gerecht, in der sich die Anforderungen sehr viel unmittelbarer und zwingender stellen als im Nachhinein mehrerer Jahrzehnte vom Schreibtisch aus.

Uns zeigen vielmehr die Vorgänge der Monate November und Dezember 1918, dass trotz der revolutionären Stimmungen und Erwartungen die Spartakusführung nur wenig realen Einfluss auf die Bewegungen der Massen und die Entscheidungen von Regierung, Parteien und Militärführung hatte. Auch dies können wir hier nicht im Detail ausbreiten, sondern verweisen etwa auf den Abschnitt „Unklare Vorstellungen von Sozialismus“ in unserem Artikel. Eine zentrale Frage für den Fortgang der Revolution bis hin zur Einleitung sozialistischer Umwälzung war die Alternative „Nationalversammlung oder Rätesystem“, die sich im ersten Rätekongress im Dezember stellte. Die Spartakusführung forderte vom USPD-Vorstand einen Sonderparteitag, um hier ihre Vorstellungen einzubringen und eine politische Klärung noch vor Kongressbeginn zu erreichen. Das Ergebnis ist bekannt: Der USPD-Vorstand verweigerte diesen Parteitag, im Kongress gab es in dieser Frage eine schwere Niederlage, und im Endeffekt trat die USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten aus und überließ der SPD das Feld. Diese Entwicklung war der wesentliche Hintergrund und das ausschlaggebende Motiv zur Gründung der KPD.

Der Spartakusbund zog daraus die Konsequenz, die kommunistische Bewegung organisatorisch und politisch zu verselbständigen. Er bereitete sich damit auf eine Rolle in der nun unvermeidlichen bürgerlichen Republik vor. Das war selbstverständlich umkämpft. Hier muss noch einmal hingewiesen werden auf die zentrale Aussage im Gründungsprogramm, Spartakus wolle „… nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland …“. Das war die Ausrichtung darauf, die große Masse der Arbeiterklasse in einem längerfristigen Prozess zu sich herüberziehen zu wollen. Als ersten Schritt forderte Rosa Luxemburg, die vor dem Rätekongress selbstverständlich die Nationalversammlung abgelehnt hatte, nun dazu auf, an den unvermeidlich gewordenen Wahlen teilzunehmen und sie zu benutzen, revolutionäre Propaganda und kommunistische Politik zu machen. Die Ablehnung dieses Antrags durch den Gründungsparteitag sprach Bände für den „unfertigen“ Zustand der Partei. Aber waren die Verhältnisse in der USPD besser?

Diese Parteigründung als „zu früh“ anzusehen, ignoriert wohl, dass die revolutionären Auseinandersetzungen der Monate November und Dezember 1918 etwas ganz anderes sind als das Einstellen auf die Politik in den sich etablierenden Bedingungen der bürgerlichen Republik und erst recht als die kühle, rationale Analyse im Nachhinein vom Schreibtisch aus.

Hier hinkt übrigens nicht unser Vergleich mit Russland: „Es dürfte also damals nicht mehr als ein paar tausend Kommunisten (in Deutschland) gegeben haben – sicher viel im Vergleich zu heute, aber wenig im Verhältnis zu den Anforderungen der Revolution (die Bolschewiki hatten im Oktober 1917 300.000 bis 400.000 Mitglieder).“ Er bezieht sich auf die Eckpunkte des Kampfes um die Macht: In Russland stürzte das Proletariat im Februar 1917 die Monarchie, musste aber aufgrund unzulänglicher politischer und organisatorischer Reife die Regierung den bürgerlichen Parteien und den Menschewiki überlassen. Im Oktober erkämpften dann die Bolschewiki aufgrund ihrer im revolutionären Prozess erreichten organisatorischen Stärke und Verankerung im Proletariat die Macht – das sind immerhin acht Monate. Dem entsprach in Deutschland die Entwicklung vom 9. November 1918 bis Mitte Januar 1919, die in der Niederlage endete – nicht einmal zehn Wochen. Der Vergleich verdeutlicht die unterschiedlichen Voraussetzungen noch einmal auf der Zeitschiene. Aber nicht die Parteigründung war hier „zu früh“, sondern der Kampf um die Macht im Januar 1919. Die Kritik Rosa Luxemburgs und anderer am Verhalten Karl Liebknechts verdeutlicht das.

Einen Blick werfen wir noch auf den einleitenden Satz des Leserbriefs: „Nicht die privilegierte Stellung der Facharbeiter war Ursache des deutschen Reformismus.“ Das haben wir auch keineswegs behauptet. Wir schrieben vielmehr: „Insgesamt ging es der Masse der Arbeiterklasse besser, aber der zuletzt beschriebenen Schicht besonders. Es ist mit Sicherheit eine falsche Gleichung, die sogenannten Arbeiteraristokraten schlichtweg mit den Sozialdemokraten ineinszusetzen. Aus den Reihen der besser bezahlten, qualifizierten und betrieblich schwer ersetzbaren Fachkräfte entwickelten sich schließlich auch viele KommunistInnen. Aber im Großen und Ganzen lässt sich ein Trend beobachten, dass die ArbeiterInnen und Angestellten nicht mehr nur ihre Ketten zu verlieren hatten.“ Wir sehen hier drei Tendenzen: a) die Verbesserungen für die Kampffähigkeit und Konfliktbereitschaft der Arbeiterbewegung; b) die Voraussetzungen für ein Sich-Einrichten in den Verhältnissen; c) eine Ausdifferenzierung, die sich aber nicht entlang den sozialen Grenzlinien Facharbeiter – Massenarbeiter festmachen lässt, sondern komplizierter ist. Hier ist der Ansatz für kommunistische Politik zu suchen.

Was ist der politische Ertrag aus dieser Auseinandersetzung über die Frage des Zeitpunkts bzw. der Funktion der Gründung der KPD für uns in unseren heutigen Verhältnissen? Ganz allgemein besteht er darin, dass kommunistische Politik nichts zu gewinnen hat, wenn sie Mehrheiten und vermeintlichen Massenströmungen hinterherläuft. Vielmehr geht es darum, inhaltliche Position zu beziehen und dafür die geeigneten Methoden, Instrumente und Organisationsformen im Bedarfsfall zu entwickeln. Es ist keine Frage, dass das hohe Anforderungen stellt und schwierige Diskussionen herausfordert.

F.HU. 26.2.2019


aus: Arbeiterpolitik Nr. 2 / 2019

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