Volksbegehren ‚Deutsche Wohnen und Co. enteignen‘ hat begonnen:
»Offensichtlich haben wir den Nerv der Zeit getroffen.«

Das sagte Michael Prütz, zusammen mit Ruzbeh Taheri einer der Initiatoren der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, im Interview der Zeitung Junge Welt am 30/31/03.2019. Sie sprechen damit der Berliner Mieterschaft, die am 6. April zu Tausenden auf die Straße gegangen ist, aus der Seele. Noch immer wohnen ca. 85 Prozent der Berliner*innen zur Miete und die erleben in den letzten Jahrzehnten einen Albtraum.

»Und solange die kapitalistische Produktionsweise besteht, solange ist es Torheit, die Wohnungsfrage (…) einzeln lösen zu wollen. Die Lösung liegt aber in der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, in der Aneignung aller Lebens- und Arbeitsmittel durch die Arbeiterklasse selbst.«

Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage, MEW, Bd. 18, S.262

Als 1988 die Mietpreisbindung in (damals noch) West- Berlin aufgehoben wurde, kostete eine durchschnittliche Altbauwohnung 2,73 €/m2 netto kalt. In den letzten 10 Jahren sind die Mieten förmlich explodiert: von 5,15 € in 2008 auf 9,87€€ in 2018. Kostete eine Wohnung mit 70 m2 vor 30 Jahren umgerechnet unter 200 €, so kostet heute dieselbe Wohnung fast 700 €. Lohn- und Gehaltsentwicklung können mit diesen Steigerungen nicht mithalten. Die Miete frisst einen immer größer werdenden Teil der verfügbaren Einkommen.

Es sind besonders die Modernisierungsumlage von jährlich 11 Prozent (ab 2019 auf 8 Prozent gesenkt) und die sog. Kappungsgrenze von 10 Prozent Mieterhöhung bei Neuvermietung, die in den Mietspiegel eingehen und damit die Mieten nach oben treiben. Selbst das genügt manchen Vermieter*innen nicht, weshalb sie seit 2013 mitunter erfolgreich vor Gericht Abweichungen vom Mietspiegel nach oben erstreiten. Trotz der steigenden Mieteinnahmen vernachlässigen viele private Vermieter*innen ihre Instandhaltungspflichten und unterlassen alles, was nicht zur Mietsteigerung taugt. Nicht selten setzen große und kleine Miethaie lange dauernde Baumaßnahmen, das Abstellen von Gas, Wasser oder Heizung als Mittel ein, um Bestandsmieter*innen zu verdrängen und bei Neuvermietung höhere Einnahmen zu erwirtschaften. Wer das nervlich oder finanziell nicht durchsteht, muss die angestammte Umgebung verlassen und ist schlimmstenfalls von Zwangsräumung und Obdachlosigkeit bedroht. Ähnliches betrifft Mieter*innen, die von Eigenbedarfskündigung betroffen sind. Nach dem letzten Urteil des BGH (Entscheidung am 22.5.2019 im Fall einer Berliner Seniorin, die nach 45 Jahren ihre Wohnung räumen soll) schützen weder hohes Alter noch Krankheit vor der Verdrängung. Die Suche nach einer neuen Bleibe ist in Berlin für Gering- oder Durchschnittsverdienende zur Zerreißprobe für die Nerven und das Haushaltsbudget geworden. Auch der von der Landesregierung kürzlich gefeierte geringere Anstieg der Angebotsmieten bei Neuvermietung von 2018 auf 2019 wird den Mieter*innen nicht viel bringen, weil gleichzeitig im neuen Mietspiegel etliche einfache Wohnlagen zu gehobenen aufgewertet wurden, was natürlich Mietpreisanhebungen nach sich ziehen wird.

Die Mietpreisbremse – ein Mietpreisbeschleuniger

Eigentlich soll die Mietpreisbremse verhindern, dass für Mieten bei Neuvermietung mehr als 10 Prozent über dem Mietspiegel verlangt wird, sog. Kappungsgrenze. Aber diese Bremse ist ein bürokratisches Monster, das den Miethaien durch Ausnahmeregelungen Möglichkeiten eröffnet, ordentlich Gas zu geben. • Wenn der/die Vormieter*in schon zuviel bezahlt hat, darf weiter kassiert werden (»Bestandsschutz«). • Bei Neubauten und nach umfassender Modernisierung gibt es keine Kappungsgrenze • Zuschläge für Möblierungen dürfen über die Kappungsgrenze gehen, müssen aber nicht ausgewiesen werden. Nach Erhebungen wird bei 70 Prozent der Neuvermietungen die Mietpreisbremse nicht eingehalten.

Quelle: Dr. B.B.Schön im Blog Finanztip, 24.01.2019

 

Eine Goldgrube für Investoren

Da Berlin in den 90`er und 00`er Jahren zu den einkommensschwächsten Regionen Deutschlands gehörte, hinkten auch die Berliner Mieten hinter denen vergleichbarer Metropolen her (»arm, aber sexy«, so der damalige Regierende Bürgermeister Wowereit). Das war nicht nur jungen, kreativen Leuten aus aller Welt aufgefallen, sondern natürlich auch den international agierenden Finanzanalysten. Die Verheißung hoher Renditen durch stark steigende Mieteinnahmen lockte Anlagemöglichkeiten suchendes Kapital nach Berlin. Investitionen in »Betongold« wurden in der nach der Finanzkrise einsetzenden Niedrigzinsphase besonders attraktiv, da sich die Kreditaufnahme verbilligte. Dazu kam, dass der sog. rot-rote Senat aus SPD und Linkspartei, um den Schuldenberg los zu werden, den sein Vorgänger fahrlässig aufgehäuft hatte, gerade alles auf den Markt schmiss, was die Stadt an Tafelsilber hatte. So wurden z. B. die landeseigenen Wohnungen der Gesellschaften GSW und GEHAG für 405 Mio. € (plus Schulden) verkauft, die sich heute im Bestand der Deutschen Wohnen befinden.

Enteignen – eine Sünde?

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« hat eine Debatte befördert, die seit dem Untergang der DDR abgehakt schien, der Sozialismus und alles, was danach aussieht, war doch erledigt, abgewickelt, vergangen. Augenscheinlich haben aber viele Menschen kein Problem mit der Vergesellschaftung marktbeherrschender Unternehmen, denn Umfragen zufolge unterstützt eine Mehrheit der Berliner*innen die Enteignung von Deutsche Wohnen & Co.

Das rief die Politiker*innen der bürgerlichen Parteien auf den Plan und alle versicherten, Enteignungen würden gar nicht helfen oder schlimmer, sie erinnerten an den Sozialismus der DDR. Auch das Medienecho war enorm und der Jusovorsitzende Kevin Kühnert setzte noch eins drauf: Er könne sich vorstellen, Konzerne wie BMW zu vergesellschaften. Nun schlugen sie auf Kühnert ein, u. a. der BMW-Gesamtbetriebratsvorsitzende Schosch, der gleich die ganze SPD nicht mehr für wählbar hielt. Schosch sollte mal in die Satzung seiner Gewerkschaft schauen, wo es im §2 Abs.4 heißt, die IG Metall fordere die »Überführung von (…) markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum.« Kühnert nimmt nur seinen Auftrag als Juso-Chef wahr, den linken Rand an die Partei zu binden. Das haben andere vor ihm auch schon getan, wie z. B. Gerhard Schröder, der als Juso-Vorsitzender von sich sagte, er sei Marxist.

Enteignen – kann das gelingen?

Ziel der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« ist, dass das Berliner Abgeordnetenhaus ein Gesetz zur Enteignung der zehn größten Wohnungskonzerne erlässt. Der erfolgreiche Start in die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren zeigt, dass die Mieter*innen Berlins wollen, dass dem Mietenwahnsinn etwas entgegengesetzt wird, was auch immer. Ihr Vertrauen, dass die Politik das tut, ist zerstört. Das Ziel Enteignung zu erreichen, dafür besteht aber nur eine theoretische Chance, die der Art. 15 des Grundgesetzes (GG) eröffnet. Er postuliert die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes: Vergesellschaftung ist unter bestimmten Bedingungen zulässig. Er ist aber in den letzten 70 Jahren nie angewendet worden. Heute, nach der Abwicklung der Staatsbetriebe in der DDR, erscheint der Art. 15 manchen, z. B. der FDP, so sehr »aus der Zeit gefallen« dass sie ihn am liebsten ganz streichen würde. »Artikel 15 passt nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Er ist ein Verfassungsrelikt und wurde aus gutem Grund nie angewandt.«1 Eine Änderung des Grundgesetzes geht jedoch selbst vielen in der GroKo zu weit. Man möchte doch dem Volk noch ein wenig die Illusion erhalten.

Wenn die Initiative für das Volksbegehren ihre Kampagne auf das Sammeln von Unterschriften für ein Enteignungsgesetz verengt, wird sie, falls ein Gericht oder der Senat und das Parlament ein solches Gesetz für verfassungswidrig erklären, in Depression verfallen, weil ihr dann alternative Mittel fehlen. Die Unterschriftensammlung kann nur als Anknüpfungspunkt dienen, sie muss den Aktionen der Mieter*innen gegen die kleinen und großen Miethaie untergeordnet werden. Nur der massenhafte Zusammenschluss der Mieter*innen im Haus, im Wohnblock, im Kiez, auf der Straße kann dazu führen, dass sich Senat und Abgeordnetenhaus gezwungen sehen, Mieterschutzgesetze zu erlassen oder ein Enteignungsgesetz zu erarbeiten.

A./R., Berlin, 25.5.2019

Das Grundgesetz zu Sozialisierungen und Enteignungen

Zwei Bestimmungen des Grundgesetzes enthalten die Möglichkeit der Enteignung.

  • Artikel 14: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.«
  • Artikel 15: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.«

Die Aufnahme der entsprechenden Artikel war der allgemeinen Stimmung der unmittelbaren Nachkriegszeit geschuldet. Vor allem in der Arbeiterklasse gab es ein deutliches Bestreben, die Ursachen für den Faschismus und den verlorenen Weltkrieg zu beseitigen, die in den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen liegen. Die parlamentarische Versammlung kam nicht umhin, dieser Stimmung im Mai 1949 mit der Verabschiedung entsprechender Artikel im Grundgesetz Rechnung zu tragen. Selbst SPD und Gewerkschaften hielten an der Forderung nach Sozialisierunge fest – allerdings nur verbal. Angewendet zur Beschränkung des gesellschaftlichen Einflusses der großen Konzerne wurden diese Artikel nie.

Nur im Interesse staatlicher, kapitalistischer Strukturmaßnahmen wurde und wird der Artikel 14 angewandt – etwa wenn ein störrischer Bauer oder Hausbesitzer sich weigert, seinen Besitz zu Gunsten von Autobahnplanungen oder der Ausweitung beispielsweise des Braunkohletagebaus zu verkaufen. Das verstehen die politischen Repräsentanten unserer Gesellschaftsordnung unter dem »Wohl der Allgemeinheit«. Der Schutz von Mieter*innen vor der Vertreibung durch die diversen Finanzgesellschaften gehört für sie nicht dazu.

 


 

  1. Christian Lindner im ‚Tagesspiegel‘ vom 24.04.2019

aus: Arbeiterpolitik Nr. 2 / 2019

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