Zur neuen Klimabewegung „Fridays for Future“

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Mit den Mitteln der Digitalisierung kann eine politische Bewegung offenbar sehr schnell mobilisiert werden. Die „Gelbwesten“ in Frankreich kamen auf diese Weise scheinbar aus dem Nichts zusammen. Ähnlich ist es bei „Fridays for Future“. Eine 16-jährige Schülerin in Schweden fing damit an, protestierte vor dem Parlament, twitterte, und nun ist es eine weltweite Bewegung. Es gibt stabile Kommunikationsstrukturen, einige etwas mehr bekannte Persönlichkeiten, aber eine feste Organisation oder gar eine ausformulierte politische Richtung sind nicht erkennbar.

Die Absprache, gemeinsam immer freitags zu demonstrieren, die Beharrlichkeit, die Risikobereitschaft gegenüber der Repression der Schulbehörden ebenso wie gegenüber der eigenen Lebensplanung – das alles spricht für Ernsthaftigkeit. Nach einem in der Sozialistischen Zeitung (SoZ) im März 2019 veröffentlichten Interview schätzen sie ihre Wirkung „überraschend groß“ ein. Die Presse berichtet, sie wurden von der Kohlekommission eingeladen, sprachen mit Kultusministern der Länder und erhalten Unterstützung von NGO’s wie „Greenpeace“, „Campact“ und „Plant for the Planet“ (letztere eine von der UN initiierte Kinder- und Jugendinitiative, die mit Baumpflanzungen versucht, Bewusstsein für den Klimawandel zu schaffen). All das sind Anzeichen, wie stark Teile dieser Generation die Bedrohungen der Grundlagen menschlichen Lebens und ihrer eigenen Zukunft empfinden.

Wer sind die bestimmenden Kräfte, und in welche Richtung wollen sie ggf. hin? Naturgemäß können wir bei diesem Stand noch nicht viel sagen. Das ist eine sehr wesentliche Feststellung, die grundsätzlich am Beginn einer neuen Erscheinung dieser Art stehen sollte. Wer zu Veranstaltungen der „Fridays for Future“ geht, um sich an der Quelle zu informieren, trifft an deren Rand auch auf manche Linke meist der älteren Generation, die ihr Urteil schon fertig zu haben scheinen, ohne es für nötig zu befinden, sich anzuschauen und anzuhören, worum es geht. In ihrem ausdrücklichen Urteil handelt es sich bei den jungen AktivistInnen um „Bürgerkinder“, um „Ableger der Grünen“, um frühe „Karrieristen“ etc., allein wegen des Umstands, dass GymnasialschülerInnen und Studierende in den Aktionen überwiegen.

Sogenannte höhere Schulbildung hat in der heutigen Zeit, in der mehr als 50 % eines Schulabgängerjahrgangs Abitur machen (1972 waren das erst 15 %), einen anderen Stellenwert. Damit verliert dieser Abschluss tendenziell seinen bürgerlich-exklusiven Charakter und wird für immer mehr Kinder aus Bürger- wie Arbeiterfamilien eine notwendige Voraussetzung für eine qualifizierende Berufsausbildung.

Es kommt nicht darauf an, diese Bewegung so schnell wie möglich politisch einzusortieren oder ihre Perspektiven ausloten zu wollen. Es geht zunächst darum, dass eine solche neu auftretende, auf ein bestimmtes Problem reagierende, sonst aber noch nicht festgelegte Strömung politische Räume öffnet. In der Auseinandersetzung mit den Herrschenden und ihren Machtpositionen wird sich unvermeidlich die Spreu vom Weizen trennen, werden Illusionen zerstört und Lernprozesse angeregt.

Der Unterschied zu der Entstehung der Grünen als Bewegung und Partei liegt auf der Hand: In den siebziger Jahren ging es – bei aller Härte etwa in den Auseinandersetzungen um die Atomanlagen – um Fragen der Lebensqualität auf diesem Planeten. Dass die Grünen damals bis zur endgültigen Etablierung des „Realo“-Flügels unter Fischer noch einen linken, teils antikapitalistischen Flügel hatten, war das Erbe eines Teils der traditionsmarxistischen Strömung der 68er-Bewegung. Bei den Grünen wurde dies längst wieder aussortiert.

Bei „Fridays for Future“ geht es dagegen um wirkliche Existenzangst, bezogen auf den Planeten insgesamt. Vorbilder der politischen Orientierung scheint es nicht zu geben. Ob sich hier eine Bewegung entwickelt und welche Richtung sie einschlägt, ist also offen. Dieser Stand ist zunächst Ausdruck der seit dem Ende der bipolaren Systemauseinandersetzung andauernden Orientierungslosigkeit in gesellschaftlichen Fragen. Einerseits brechen überall Krisen auf, andererseits fehlen anerkannte Perspektiven.

Ein Widerspruch unserer Zeit

Es ist ein charakteristischer Widerspruch unserer Zeit, dass der Klimawandel zwar als menschengemachter, nämlich kapitalistisch erzeugter Beitrag eine Klassenfrage ist, aber in unserer gegenwärtigen Realität aufgrund fehlenden Klassenbewusstseins als „Gattungsfrage“ wahrgenommen und politisch bearbeitet wird. Fridays for Future ist eine Schüler- und Studierendenbewegung, deren Basis gefühlte Zukunftsangst ist. Umweltbewegung erscheint daher als bürgerliche Bewegung. Unsere Haltung darf sich aber nicht in der Pflege alter Erkenntnisse erschöpfen, die bzgl. der Grünen noch gestimmt haben. Richtiger ist es, sich ein fundiertes Urteil über die aktuellen Bewegungen zu bilden. Unter Umweltinitiativen gibt es klar antikapitalistisch orientierte Strömungen (z. B. „Ende Gelände“, die auf die Beendigung der kohlebasierten Energieproduktion abzielt, und innerhalb der „Fridays for Future“ die Plattform „Change for Future“), die aber meist mit Gewerkschaften nichts am Hut haben, nicht zuletzt deswegen, weil sie z. B. von der IG BCE als „Umweltterroristen“ gebrandmarkt werden.

Selbstverständlich reden wir nicht grünen Reformkonzepten das Wort. Wenn Waren, Produktionsverfahren und Verteilungswege politisch reguliert, Eigentumsverhältnisse und Markt aber beibehalten werden, ändert sich nicht viel. „Grüner Kapitalismus“ ist nur ein weiteres kapitalistisches Akkumulationsmodell, das die vorherrschenden Produktionsmethoden und Konsumgewohnheiten lediglich soweit an angestrebte neue Wirtschafts- und Lebensformen anpassen soll, dass grundlegende Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht infrage gestellt werden (vgl. Brand/Wissen, Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München 2017, Kapitel 7: Falsche Alternativen. Von der grünen Ökonomie zum grünen Kapitalismus?). Auch unter Berücksichtigung dieser Beschränkungen ist es jedoch offensichtlich, dass im Kapitalismus um strukturelle Verbesserungen („Reformen“) im Interesse der Lohnabhängigen als der großen Masse der Gesellschaft gekämpft werden muss.

Mit der Buchbesprechung zu Kohei Saito, Natur gegen Kapital in Arbeiterpolitik 5/6 2018 haben wir dargelegt, wie Marx in seiner Zeit an Fragen herangegangen ist, die wir heute als ökologisch bezeichnen. Der Kapitalismus des 19. Jahrhunderts bot ihm dafür zwar noch nicht das Anschauungsmaterial, das uns heute bedrängt. Aber die gründliche Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Fragen vor dem Hintergrund seines eigenen Ansatzes ließ ihn wissen, worauf die Konfrontation der kapitalistischen Profitlogik mit den Grenzen der natürlichen Umwelt hinausläuft. Die Arbeiterklasse würde sich mit dem Kapital nicht nur wegen der Befreiung von Ausbeutung in der Lohnarbeit, sondern auch wegen der Gefährdung der Existenzgrundlagen für sich selbst und die ganze Menschheit auseinandersetzen müssen.

Wie ist mit der heutigen Lage unter den hier aufgeführten Beschränkungen umzugehen? Inzwischen sind über 90 % der WissenschaftlerInnen weltweit überzeugt, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Auch weitere Themenkomplexe, die nicht unmittelbar bzw. ausschließlich mit Klimafragen zusammenhängen wie Artensterben, Verseuchung des Grundwassers, Vermüllung der Meere etc. und Migrationsströmungen aus diesen Gründen, werden in ähnlicher Weise beurteilt. In linken wissenschaftlichen Beiträgen (z. B. Brand/Wissen, Imperiale Lebensweise) gelten sie als systemlogische Folgen der kapitalistischen Produktionsweise und werden in dem Begriff „multiple Krise“ (Vielfachkrise in Ökonomie, Ökologie, soziale Reproduktion) zusammengefasst.

Blinder Alarmismus führt zwar nicht weiter. Schnelle Lösungen kann es nicht geben. Andererseits darf dies nicht als Alibi dienen, die Problematik gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Zerstörung des natürlichen Umfeldes und der gesellschaftlichen Reproduktionsfähigkeit geschieht schleichend, differenziert und auf negative Weise „nachhaltig“. Der Kapitalismus wird nicht plötzlich und umfassend zusammenbrechen. Die Gesellschaft wird nicht insgesamt untergehen. Aber es wird absehbar immer (nach Ländern, nach Regionen, nach gesellschaftlichen Klassen und Schichten, nach Kapitalfraktionen und Berufsgruppen) Profiteure und Verlierer (für die es sich katastrophal auswirkt, vgl. etwa Überflutungen in Bangladesch oder Mosambik) geben. Die Kämpfe um die entsprechenden Positionen werden an Schärfe zunehmen.

Das gilt auch in den Gewerkschaften. Es geht um die Interessen der Lohnabhängigen, wobei schwierige Widersprüche und Konflikte selbstverständlich sind, aktuell etwa beim Kohleausstieg: Der ist inzwischen beschlossen, und für die Betroffenen muss es gute Lösungen geben. Darüber hinaus muss es strategische Debatten geben, die sich nicht nur um Löhne und Arbeitsbedingungen bewegen, sondern auch um Vorstellungen gesellschaftlich nützlicher Arbeit, die in dieser Hinsicht etwa an Konversionsdebatten vergangener Zeiten anknüpfen können. Dafür ist freilich ein langer Atem gefragt: In unserer Situation werden auf absehbare Zeit untaugliche Konzepte des „grünen Kapitalismus“ (etwa das E-Auto) die gesellschaftliche Diskussion bestimmen. Die Herrschenden in Wirtschaft und Politik werden sich derweil unbeeindruckt an Verwertungsinteressen orientieren.

F. HU., 12.5.2019


aus: Arbeiterpolitik Nr. 2 / 2019

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