»Globaler Klimastreik« am 20. September in Paderborn und Darmstadt

Korrespondenz

Der Klima-Protest in Paderborn

Zu den Protesten waren 600 Teilnehmer erwartet worden, es kamen dann 1700, aus dem Kreis der Organisatoren war sogar von 2700 die Rede. Gegenüber den 30 Teilnehmern an der ersten Kundgebung im Februar diesen Jahres kann auch für Paderborn eine sehr deutliche Ausweitung festgehalten werden. Damit war sie sicherlich nicht die größte Protestveranstaltung der letzten Jahrzehnte, erreichte aber durchaus die Größenordnung von Veranstaltungen der Friedensbewegung oder derjenigen aus dem Antifa-Spektrum.

Auffällig gegenüber den bisherigen FfF-Veranstaltungen war die stärkere Beteiligung Erwachsener – insbesondere fielen auch die Älteren auf -, »Eltern« und »Omas« haben inzwischen ihre eigenen Vorbereitungsgruppen installiert. Die mittlere Altersgruppe blieb wohl wegen der Arbeitsverpflichtungen nur gering repräsentiert. Die ganz überwiegende Mehrzahl wurde von Kindern/Jugendlichen gestellt, unter denen (wie seit Beginn der Aktionen) die Mädchen mit sicherlich mehr als 60% dominierten. Die Schülerinnen m 2 0 – S e p t e m b e r kamen fast ausschließlich aus den Gymnasien, Haupt-, Real- oder Berufsschüler blieben die Ausnahme ebenso wie Studenten.

Die Eltern der Mitglieder des Organisationskommitees kommen durchgängig von den Grünen bzw Umweltgruppen, die Grünen hielten sich als Partei jedoch offensichtlich bewusst im Hintergrund. Die Organisation der bisherigen Protestveranstaltungen lag wechselnd jeweils in den Händen eines Gymnasiums. Zudem beteiligten sich an jeder neuen Demonstration 10% erstmalig.

Dass da nichts von außen gesteuert wurde, zeigte sich an den Protestplakaten. Während bei anderen Demostrationen professionell aufgemachte dominieren, sind es hier handgemalte, auf Pappe, damit sie leichter recyclebar sind. Bei den Parolen gab es im Laufe der Protestwelle eine merkliche Veränderung. Denn zu Anfang waren die Slogans ganz überwiegend auf Englisch formuliert, inzwischen sind das nur noch ein Drittel. Wenn dann aber die Hauptparole wiederum auf Englisch geschrieben war, weist das auf eine zumindest kulturelle Klassendistanz hin.

Die Specherinnen kamen von der Linksjugend, den Falken und den Grünen, zudem durfte die Gründerin eines Unverpackt-Ladens ihr Beispiel für aktuelle Veränderungsmaßnahmen präsentieren. Der Kapitalismus wurde durchgängig für viele Umweltprobleme verantwortlich gemacht und ein anderes Wirtschaftssystem gefordert. Gleichzeitig blieben die konkretisierten Maßnahmenkataloge ganz überwiegend auf individuelle Veränderungen orientiert.

Das Ausmaß der prinzipiellen Kompromissbereitschaft zeigte sich eine Woche später bei einem Termin des Organisationsteams mit dem CDU-Bürgermeister, einem Hobby- Imker. Von den Planungen der Stadt wie Ausbau von Radwegen und des ÖPNV oder der Festlegung der Stadt (mit Eigenbetrieben und Gesellschaften) auf CO2-Neutralität bis 2035 waren die Schüler beeindruckt. Sie selbst organisieren Müll-Räumaktionen im Stadtgebiet und entsprechen damit sicherlich einer verbreiteten Grundausrichtung vieler Bürger.

Bezeichnend ist auch das Verhalten der Polizei. Mit dem Orga-Team besteht ein unproblematischer Arbeitskontakt. Die Polizei korrigierte die Teilnehmerzahlen keineswegs nach unten, sondern stützte die Zahlenangaben im oberen Bereich. Auf Seiten der Schüler führte das zu bewusstem Ordnungs-Verhalten: Keine Sticker auf Privatautos oder Müll wegräumen, andererseits aber auch zu Demo-Pausen vor dem Rathaus oder auf Kreuzungen.

Von den Schulleitungen gab es keinen relevanten Druck, denen wurde allerdings mit Veranstaltungsterminen ab 13 oder 14 Uhr entgegengekommen, so dass Drohungen und Disziplinarmaßnahmen bisher unterbleiben konnten. Als Alternativ-Unterricht, Schulausflug oder Exkursion deklariert, gaben die Schüleraktionen, die obendrein von vielen Lehrern wohlwollend begleitet wurden, dazu auch keinen Anlass. Etwas anders die Situation an den Schulen im Umland, da die unvermeidliche Fahrzeit weiteren Stundenausfall bedeutet hätte. Die Interventionen der Schulleitungen hatten dann kleinere lokale Demonstrationen zu Folge.

Auf Konfrontationskurs ging eindeutig die Mehrzahl der CDUler, insbesondere aus dem Handwerksbereich, ähnliches gilt für FDP-Mitglieder. Unterschiede zur AFD sind da nur im Tonfall auszumachen, deren Anhängerschaft verteufelte die Schüler in Leserbriefen regelrecht. Anscheinend finden solche Positionen bei Beschäftigten und Hartz IV-Beziehern durchaus Unterstützung.

Die hiesigen Gewerkschaften ließen zwar ihre prinzipielle Sympathie erkennen, hielten sich ansonsten weitgehend zurück. Zum Mitmachen aufgerufen hatte nur ver.di, allerdings mit der wenig überraschenden Ausschließung eines politischen Streiks und der Vorgabe: Teilnahme nur als Privatperson und in der Freizeit. Das Ergebnis war entsprechend, wäre aber wohl auch z.Z. kaum anders vorstellbar. Einige Freiberufler (Ärzte oder Rechtsanwälte) haben ihre Praxen dichtgemacht, in Bielefeld allerdings hielten die Kinderärzte lediglich einen Notdienst aufrecht. Die Schüler haben die Gewerkschaften für diese Vorgehensweise bislang nicht kritisiert.

Mitglieder von »Aufstehen« und Attac nehmen natürlich auch an den Demonstrationen teil, bleiben auf die Anzahl gesehen aber sehr überschaubar.

Die Proteste werden sicherlich noch eine Weile anhalten, denn wenn selbst in den Ferien Aktionen organisierbar waren, dürfte eine schnelle Aufgabe nicht zur Debatte stehen. Die weitere Entwicklung vor dem Hintergrund sehr moderater Klimabeschlüsse auf Bundesebene bei gleichzeitig heftigem Widerstand der Arbeitgeberseite und der gewerkschaftlichen Fixierung auf den Dreiklang Soziales- Ökonomie-Ökologie wird durch genau diese Rahmenpositionen und die Auseinandersetzung mit ihnen vorgegeben werden.

Kapitalismuskritischer Ansatz in Darmstadt

Am 20.9.2019 fanden weltweit Demonstrationen für Klimaschutz statt. Aufgerufen dazu hatten Aktive aus der mittlerweile international vernetzten Bewegung »Fridays for Future«. Bekannt geworden ist sie einerseits durch die schwedische Schülerin Greta Thunberg, andererseits durch immer wiederkehrende Schulstreiks am Freitag mit zum Teil überraschend großem Zulauf. Da einige der SprecherInnen auf Bundesebene Mitglied der Grünen Jugend sind, steht die Bewegung bei vielen Linken im Verdacht, grüne Inhalte zu transportieren. Interessant sind deshalb Entwicklungen, die es im Vorfeld der Demonstration vom 20.9. in Darmstadt gab.

Schon frühzeitig bildete sich ein Bündnis, in dem sich die SchülerInnen von Fridays for Future, andere von Jugendlichen geprägte Umweltinitiativen und Leute aus dem linken Spektrum zusammenschlossen. Ein Anliegen war es, die Proteste gegen die Klimapolitik zu verknüpfen mit anderen Bewegungen und Themen. Zu diesem Zweck wurden drei Demonstrationszüge mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten angemeldet, die sich dann zu einer gemeinsamen Abschlusskundgebung mit anschließendem Fest vereinigten sollten.

Ein Demonstrationszug hatte das Motto »Sozialer und Ökologischer Wandel«, forderte »Klimagerechtigkeit«, kritisierte Freihandelsabkommen wie CETA oder Mercosur und formulierte eine Kapitalismuskritik, die allerdings mit den Alternativen »systems-change« und »climate justice« sehr schwammig blieb.

Der zweite Demonstrationszug sollte die Verbindung mit feministischen und antirassistischen Initiativen (Klimazerstörungen als Hauptfluchtgründe) herstellen.

Schließlich gab es noch einen Zug unter dem Motto »Demokratie für Alle«, in dem kritisiert wurde, dass die »wirtschaftlich und politisch Verantwortlichen« die Forderungen der Klimabewegung ignorieren.

Diese Orientierung ging manchen Gruppen zu weit, die es wichtig fanden, die »bürgerliche Mitte« mit einzubeziehen: traditionelle Naturschutzverbände oder ökologisch ausgerichtete Unternehmen. Sie wollten den Demonstrationsaufruf ausschließlich auf das Thema Klimaschutz beschränken, was aber vom Bündnis abgelehnt wurde. »Parents for Future« und der DGB beteiligten sich daraufhin nicht am Bündnis und auch bei »Fridays for Future« gab es heftige Diskussionen über den Aufruf. Aus dem gewerkschaftlichen Spektrum schloss sich lediglich ver.di dem Bündnis an.

DGB und andere Einzelgewerkschaften (außer IG BCE) riefen dennoch zur Demonstration auf, verbreiteten jedoch eigene Aufrufe, meistens abgeschrieben von den Aufrufen ihrer Zentralen und ganz klar sozialpartnerschaftlich ausgerichtet. Auch Organisationen wie der BUND, Nabu, Kirchengemeinden und die GRÜNEN forderten ihre Anhänger auf, an der Demonstration teilzunehmen. Sie orientierten alle zum Demonstrationszug »Demokratie für Alle«, der ihnen als der unpolitischste galt. Mit etwa 6.000 Personen war er auch der mit Abstand stärkste Zug. Die anderen hatten 1.500 bis 2.000 TeilnehmerInnen. Kämpferische und kapitalismuskritische Reden und Transparente prägten das Erscheinungsbild der Demonstrationen. Mit insgesamt etwa 10.000 Menschen war es die mit Abstand größte Demonstration in Darmstadt seit vielen Jahren, wenn nicht sogar nach 1945.

Den GRÜNEN wurde wegen ihrer inkonsequenten Klimapolitik ein Infostand auf dem Fest verweigert. Intern wurde an dieser Regelung wohl heftige Kritik geäußert und auch gegenüber Einzelnen aus dem Bündnis beklagten sich führende Grüne. Nach außen wurde aber keine Kritik am Bündnis geäußert. So konnten sie sich weiter als Bestandteil der großen Demonstration präsentieren. Und den meisten DemonstrantInnen blieben die Differenzen zwischen dem Bündnis und grün-bürgerlichen Positionen wahrscheinlich sowieso verborgen. Kapitalismuskritische Positionen waren zwar sehr präsent, drückten aber keineswegs das Bewusstsein der Masse aus. Das zeigt auch das Ergebnis einer Umfrage von Soziologiestudenten der TU Darmstadt. Sie konnten 450 Fragebögen auswerten, in denen auch die »Sonntagsfrage« gestellt wurde. Demnach würden 62 der Teilnehmenden die Grünen wählen.

Angesichts der hohen und unerwarteten Zahl von Teilnehmenden nicht nur in Darmstadt herrscht bei einem Teil der Aktivisten geradezu Euphorie. Sie sehen in der Bewegung die Möglichkeit, den herrschenden Konsens in Frage zu stellen und fordern weitergehende Schritte: Sie erhoffen sich noch mehr TeilnehmerInnen und fordern Steigerung der Aktionen zivilen Ungehorsams.

Dass die Bewegung organisatorisch auf schwachen Füßen steht und die kapitalismuskritischen Inhalte in der Bewegung nicht verankert sind, wird nicht geleugnet. Aktionismus scheint bei den meisten Aktivisten aber die vorrangige Perspektive zu sein.


aus: Arbeiterpolitik Nr. 3/4 2019

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