»Lohnkämpfe sollen nicht Schule machen«

Korrespondenz

Thessaloniki: wochenlanger Arbeitskampf im Stahlwerk SIDENOR

Wir dokumentieren hier den Bericht und den Spendenaufruf der gewerkschaftlichen Soli-Gruppe, die im Oktober 2019 Griechenland besucht hatten.

Am 19. Oktober trafen wir zwei Kollegen des Arbeiterkomitees (betrieblicher Gewerkschaftsvorstand) von Sidenor in Thessaloniki, u.a. den Gewerkschaftsvorsitzenden Lefteris. »Sidenor ist einer der führenden Stahlerzeuger in Europa für die Fertigung von gewalzten Langprodukten in Edelbaustahl und ein weltweit bedeutender Hersteller von Stahlguss- und Schmiedeteilen.« Die Marke SIDENOR ist der VIOHALCO S.A. untergeordnet. Vorsitzender des Konzerns ist der Oligarch Nikos Stasinopoulos. Der Konzern hat seinen Sitz im Jahr 2013 von Athen nach Brüssel verlegt. Zusammen mit dem Oligarchen Evangelos Mytilineos beherrscht er die griechische Stahl-, Metall- und Aluminiumbranche. Die Niederlassung von Sidenor im westlichen Industriegebiet Thessalonikis wurde als erster Betrieb des Unternehmens bereits 1964 gegründet. Der Gewerkschafter Lefteris arbeitet seit über 37 Jahren in der zweiten Generation in diesem Betrieb. Das Arbeiterkomitee besteht aus sieben Personen.

Nachdem die Verhandlungen über Lohnerhöhungen gescheitert waren, trat am 7. Juni dieses Jahres die Belegschaft in einen Streik. Gefordert wurde ein Stufenplan; im ersten Jahr sollten die Löhne um 6 und im zweiten Jahre um 8 Prozent erhöht werden. Zusätzlich sollte die Produktivitätsprämie im ersten Schritt um 10 Prozent, im zweiten um 20 und im dritten um 30 Prozent erhöht werden. Nach 2008, dem Beginn der Finanzkrise, wurden die Löhne um 30 bis 35 Prozent gesenkt, zuletzt nochmals im Jahre 2013 um 15 Prozent. Der Bonus in Höhe von 350 Euro wurde komplett gestrichen. Dies ist deshalb bedeutsam, weil zuvor Lohnerhöhungen immer nur über die Bonusprämien realisiert wurden.

2012 waren in Griechenland mehrere Stahlbetriebe geschlossen worden. Auch bei Sidenor in Thessaloniki wurden 100 Kolleg*innen mit Abfindungen entlassen. Derzeit arbeiten noch 270 Leute im Betrieb. Von 2008 bis 2017 hat der Betrieb rote Zahlen geschrieben; seit 2017 ist er wieder in der Gewinnzone. Deshalb wurden 2019 die Forderungen erhoben.

Die erste vierstündige Arbeitsniederlegung hat am 17. Juni 2019 stattgefunden. Das Unternehmen reagierte mit einer Aussperrung am 23. und 24. Juni (100% Kurzarbeit). Das Gesetz in Griechenland erlaubt den Arbeitgebern bis zu drei Monaten im Jahr auszusperren. Die neue Taktik der Gewerkschaft bestand nun darin, jeweils zwei Stunden zu streiken und dann wieder zwei Stunden die Arbeit aufzunehmen. In einem Stahlwerk führt dies zum Stillstand.

Es gab Demos vor dem Werkstor mit externer Unterstützung durch politische Aktivist*innen. So wurde die Nationalstraße von Thessaloniki nach Veria am 17. September blockiert. Bei jeder Kundgebung war die Polizei massiv präsent. Der Kommissar (Einsatzleiter) hatte auf den illegalen Charakter der Veranstaltungen hingewiesen. Außerdem wurden zwei Grillfeste veranstaltet; beim zweiten Mal waren auch die Familien der Streikenden dabei.

Wegen der Blockaden hat es zwei Strafanzeigen gegeben. Das Unternehmen hat die Gewerkschaft wegen des Produktionsausfalls auch auf Schadensersatz verklagt. Es wurden jeweils 5000 Euro pro ausgefallene Arbeitsstunde gefordert. Die Gesamtforderung beläuft sich inzwischen auf 60.000 Euro! Das Gericht hat den Charakter der Streiks zwar als rechtswidrig bewertet; die Streiks seien nicht zweckgerichtet und daher illegal. Aber auf der anderen Seite konnte sich auch das Unternehmen mit seiner Forderung nach einem sofortigen Verbot des Arbeitskampfes nicht durchsetzen.

Bis heute hat der Sidenor-Vorstand alle Forderungen kategorisch abgelehnt. Er war nicht einmal zu Verhandlungen bereit. Sein Argument: »Ihr seid nur 300, aber im ganzen Land würden danach auch andere Belegschaften ihre Ansprüche erheben.« Ein erfolgreicher Streik soll nicht Schule machen. Erfolg oder Niederlage in diesem Arbeitskampf, das hat Bedeutung nicht nur für die Kolleg*innen in der griechischen Stahlbranche.

Die Kolleg*innen beschlossen, wegen der Blockadehaltung von Sidenor mit Bussen nach Athen zur Unternehmenszentrale zu fahren. Just für diesen Tag hatte die Werksleitung wichtige Termine angesetzt, um die Protestfahrt zu behindern, so dass nicht alle Beschäftigten teilnehmen konnten. Die ganze Strecke über wurden die Busse von »Security« begleitet. Die Streiks gingen dann im Juli weiter. Trotz der Drohungen der Unternehmensleitung gab es nur wenige Streikbrecher. Die streikbedingten Stillstandszeiten wurden vom Unternehmen für Wartungsarbeiten genutzt. Eine finanzielle Streikunterstützung durch die Gewerkschaften gibt es in Griechenland nicht. Ab August bröckelte der Streik deshalb ab, denn vielen Familien fehlte schlicht das Einkommen zum Überleben. Im August wurde eine Schlichtungskommission aus Vertretern von Gewerkschaft, Unternehmen und Staat eingesetzt. Die Schlichtung dauert nun schon über zwei Monate – ohne Ergebnis.

Der Regierungswechsel hat die Bedingungen erschwert. Die Pläne für die neuen Arbeitsgesetze unter dem Ministerpräsidenten der Nea Dimokratia stellen einen weiteren Angriff auf das Streikrecht dar. Solidarität ist notwendig, um Sidenor Zugeständnisse abzuringen.

Der Arbeitskampf hat die Kolleg*innen zusammengeschweißt. Unterstützung aus Griechenland kam u.a. von der Kommunistpschen Partei (KKE); auch Varoufakis, der ehemalige Finanzminister, war schon da und ein Vertreter des Arbeitsministeriums. Aus Großbritannien kamen Solidaritätserklärungen von der Labourparty.

Zum Schluss betonte Lefteris nochmals, wie wichtig für ihn das Gespräch mit uns war. Sie sind bereit, den durch die Schlichtung ausgesetzten Arbeitskampf wieder aufzunehmen. Dabei sind sie auf Solidarität angewiesen. Er hofft, dass die öffentliche Berichterstattung in Deutschland und die Solidarität der Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall, den Druck auf die Unternehmensleitung verstärken und die Moral der Belegschaft heben könnte. Nicht zuletzt unterstrich Lefteros einen weiteren Aspekt seiner Streikmotivation: »Ich möchte, dass mein Sohn nicht auswandern muss, sondern auch in Griechenland eine bessere Zukunft für sich findet.«

Zur Unterstützung des Streiks und für Prozesskosten übergaben wir eine Spende aus dem Solidaritätskonto.

Weitere Spenden sind erwünscht unter dem Stichwort »Sidenor« an:
Manfred Klingele-Pape, IBAN DE81 2005 0550 1211 4789 10, BIC HASPDEHHXXX

Solidaritätsadressen bitte an:
somatiosidenor@gmail.com, cc elkiose@gmail.com.


aus: Arbeiterpolitik Nr. 3/4 2019

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