Die Wahlen zur hamburgischen Bürgerschaft am 23.2.2020 bestätigten die Senatskoalition aus SPD und Grünen, die seit 2015 regierten. Vor der Wahl waren zwei Drittel der Befragten mit der Senatskoalition zufrieden. Bei der Wahl entfielen auf SPD und Grüne demnach auch fast zwei Drittel der Stimmen (63,4%).
Vor der Wahl bezeichneten 86% die wirtschaftliche Lage als gut, in der Wahl wählten 78,5% die bürgerlichen Parteien SPD, Grüne, CDU und FDP, wenn man die Linkspartei auch als bürgerliche wertet, sogar 87,7%. Eine Wechselstimmung lag also nicht in der Luft und die zeigte sich auch nicht bei der Wahl.
Die bürgerliche „Volkspartei“ CDU und die FDP mussten nach dem Thüringen-Desaster Federn lassen. Die CDU verlor über 20000 Stimmen und ging von 15,9 auf 11,2% zurück. Die FDP verlor etwa 12000 Stimmen und flog mit 4,9% (2015: 7,4%) ganz aus der Bürgerschaft.
Es gab allerdings eine Wählerverschiebung innerhalb der Senatskoalition. Die SPD ging von 45,6% auf 39,2% zurück, während die Grünen von 12,3 auf 24,2% zulegten. Auffällig ist dabei das Alter der jeweiligen WählerInnen: Während die SPD in der Gruppe über 45 und insbesondere bei den Rentnern dominiert, werden die Grünen stärker, je jünger die WählerInnen werden. Das Thema Klimawandel treibt ihnen die Wählerinnen zu, die hoffen, die Wirtschaft könne ökologisch wachsen, ohne dass man das kapitalistische System angreifen muss. Es scheint bei den Jüngeren keine Rolle zu spielen, dass die grüne Partei bei der Prügelorgie der Polizei während des G20-Gipfels 2017 mit im Senat saß und nicht protestierte. Die Grünen sind zur Zeit die Wohlfühlpartei schlechthin. Fast könnte man sagen: Für die Sicherheit wird die SPD gewählt, für die Umwelt Grüne.
Die Wahlbeteiligung stieg von 56,1 auf 63,3% an, was etwa ein Plus von 100 000 Stimmen ausmacht. Dieser Anstieg hat sicher auch etwas mit den Ereignissen in Thüringen kurz vor der Wahl zu tun, weil viele Menschen sich wohl deswegen zur Wahl entschieden. In absoluten Zahlen verlor die SPD nur ein paar tausend Stimmen, während die Grünen über 100 000 dazu gewannen, die aus allen Gruppen kamen. Was die SPD an die Grünen verlor, konnte sie in etwa mit Wählerstimmen aus den früheren Nichtwählern wettmachen.
Die AfD bekam fast exakt so viel Stimmen wie 2015, was sie fast unter die fünf Prozentmarke rutschen ließ (5,3%). Das sind immerhin über 40 000, die sich auch von Thüringen und Hanau nicht abschrecken ließen. Man kann höchstens vermuten, dass diese beiden Ereignisse verhinderten, dass mehr Leute die AfD wählten. Den höchsten Anteil hatte die AfD bei den Arbeitern(14%) bzw. bei den mit der wirtschaftlichen Lage Unzufriedenen (11%).
Die Linkspartei gewann etwa 13 000 Stimmen dazu, was aber nur zu einem Anstieg der Stammwähler von 8,5 auf 9,1% reichte (obwohl die „linke“ SPD ja verlor). Auch sie war bei den Arbeitern (11%) und bei den wirtschaftlich Unzufriedenen (18%) am stärksten. D.h. die Proteststimmen verteilten sich ziemlich gleichmäßig auf AfD und Linke.
Wahlkampf: Profilvermeidung
Die zwei wichtigsten Themen vor der Wahl waren Verkehr und Mietpreisexplosion. Hamburg erlebt, wie andere Metropolen, einen Zuwachs an EinwohnerInnen (über 50 000 in den letzten vier Jahren), während viele ländliche Gebiete an Auszehrung leiden. Entsprechend nehmen die Probleme auf dem Wohnungsmarkt und auf der Straße zu. Der zunehmende innerstädtische Autoverkehr vergiftet die Atemluft und trägt zum Klimawandel bei. Die Umwelt schonenden Verkehrsmittel wie Fahrrad und Roller engen den Verkehr noch mehr ein. Während die Grünen die Verkehrswende (z.B. mehr Fahrradwege) propagieren, die die SPD mittlerweile mitträgt, versprach die SPD jährlich 10 000 neue Wohnungen zu genehmigen, was wiederum die Grünen mittragen. Das Versprechen des Neubaus hielt der Senat auch ein, was natürlich zur Verdichtung des Wohnraums führt und zur Bebauung von innerstädtischen Grünflächen. Die SPD behauptet, dadurch werde der Mietpreisanstieg abgebremst, aber die Grundstückspreise und damit die Baukosten (und damit auch die Mieten) steigen trotzdem unaufhaltsam.
Die SPD gab sich staatsmännisch: Bürgermeister Tschentscher habe „die ganze Stadt im Blick“, also das Bürgertum und die Unternehmer besonders im Hafen bräuchten sich nicht zu fürchten („Die Welt“ empfahl der SPD für die Bundestagswahl die Parole „Das ganze Land im Blick“). Die Grünen waren vielleicht noch inhaltsleerer: „Erste Frau, erste Grüne, erste Wahl“ war der Slogan, der ihrer Spitzenkandidatin auf den Bürgermeistersessel hieven sollte. Vor der Wahl wurde alles Kontroverse abgeschliffen. So hatte das vom Grünen-Parteitag beschlossene Wahlprogramm gefordert, die Vermummung bei Demos nur als Ordnungswidrigkeit und nicht als Straftat zu werten. Allerdings strich die Spitzenkandidatin diesen Passus, als das Geheul von Polizeigewerkschaft, CDU und AfD losging. So war ein Wahlplakat der Grünen: „Demokratie ohne Alternative“, das gegen die AfD gemünzt war, unfreiwillig selbst entlarvend. Kommen doch die Hamburger Grünen aus der ehemaligen Grün-Alternativen-Liste, wobei die „Alternativen“ frühere Kommunisten waren. Dieses Element ist mittlerweile entsorgt.
Auch die Linke vermied tunlichst mit sozialistischen Inhalten zu provozieren. Ihr Kernsatz: „einfach machen“, z.B. den Mietendeckel. Den haben sie von der Berliner Regierungskoalition aus SPD/Linke/Grüne übernommen. Natürlich sind in Hamburg SPD und Grüne dagegen, was auch geht, da es keine starke Mieterbewegung gibt. Diese fehlende Bewegung kann auch die Linke nicht ersetzen.
Innerhalb der Linken gibt es den Versuch einen Volksentscheid auf den Weg zu bringen: Weg mit der Schuldenbremse! Hamburg soll sich wieder mehr verschulden dürfen, um mehr Ausgaben für Soziales, Bildung, öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung zu haben. Dass jetzt die Linken mehr Staatsverschuldung als Ausweg sehen, ist gewissermaßen neu. Früher war ja eher die Forderung nach der Besteuerung der Reichen populär. Immerhin zählt Hamburg zur Zeit 45 000 Millionäre, unter ihnen elf Milliardäre. Aber auch hier gilt: Lieber nicht anecken.
Nachtrag Mitte März:
Dabei ist Hamburg mit ca. 33 Mrd. € verschuldet, also etwa 1600€ pro Kopf. Der Schuldendienst belief sich 2019 auf etwa drei Milliarden Euro, das sind rund 20% der Haushaltsausgaben. Dank der üppigen Steuereinnahmen der letzten Jahre war das kein Problem, der Senat konnte sogar Schulden tilgen. Das ist jetzt aber mit der ausgebrochenen Krise, ausgelöst durch die Corona-Epidemie, vorbei. Hamburg schlittert hochverschuldet in diese Krise hinein.
HH
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