Bemerkenswert ist schon die Entstehung dieses Buches. Balodis und Hühne „forschen und berichten seit über dreißig Jahren zu den Themen Rente und Altersvorsorge„, haben als Fachautoren zahlreiche Ratgeber und mehrere Bücher veröffentlicht, „sind als Vortragreisende unterwegs und erstellen Studien zu Fragen der Rente und Altersvorsorge“ (S. 4). Es geht ihnen „um die Mobilisierung all jener, die höhere Renten fordern und Altersarmut verhindern wollen“ (S. 6). Aber: „Es war nicht einfach, dieses Buch zu realisieren„, weil die Verlage „bei diesem gesellschaftlich hoch relevanten Thema keineswegs Schlange“ standen (S. 7). Deshalb wählten sie zur Finanzierung das Verfahren „Crowdfunding“: Bis September 2019 wurde Geld gesammelt. Den SpenderInnen wurde für den Fall, dass das Buch nicht realisiert werden könne, die Rückzahlung ihres Beitrags zugesichert. Die gemeinschaftliche Finanzierung wurde eine zusätzliche Motivation für die Autoren. Im hinteren Teil des Buches sind die Namen von rund 250 individuellen SpenderInnen sowie einigen gewerkschaftlichen Gliederungen, Sozialverbänden und Initiativen als spendende Organisationen aufgeführt.
Wie der Untertitel: „So kann es klappen„, nahelegt, ist das Buch sehr pragmatisch auf gesellschaftliche Mobilisierung angelegt, ohne die bestehenden Schwierigkeiten herunterzuspielen. Es gliedert sich in drei Teile, von denen der erste das Konzept vorstellt, der zweite den gegenwärtigen Zustand beschreibt und der dritte die Positionen von unterstützenden Organisationen wiedergibt. Zu letzteren sei hier vorab bemerkt, dass sie sich aus drei Gruppen gesellschaftlicher Akteure zusammensetzen: gewerkschaftliche Gliederungen (DGB, IG Metall, ver.di u.a.), Sozialverbände (Paritätischer Wohlfahrtsverband, Sozialverband Deutschland u.a.), Initiativen (Rente zum Leben, Rhein-Main-Bündnis, Seniorenaufstand u.a.). Damit findet das Buch seinen Ausdruck als Bündnisprojekt, auch wenn die Vorstellungen der Partnerorganisationen politisch im Einzelnen durchaus unterschiedlich sein können.
Im ersten Teil „A: Rente rauf!“ skizzieren Balodis/Hühne die systematische Demontage der lebensstandardsichernden, umlagefinanzierten Gesetzlichen Rentenversicherung, wie sie bis 1992 noch bestand. Die Gründe, ihre zentrale Stellung in der Altersvorsorge zu beseitigen, lagen materiell in der wachsenden Arbeitslosigkeit (damit sinkenden Beiträgen), dem Verlangen des Kapitals, sogenannte Lohnnebenkosten zu minimieren, (die BRD galt zeitweise als „kranker Mann Europas“) und speziell dem Interesse des Versicherungskapitals an neuen Anlagesphären. Deshalb wurde behauptet, dass hohe Rentenbeiträge die Arbeitslosigkeit verursachten, private Altersvorsorge höhere Renditen brächten und die gesetzliche Rentenversicherung am „demografischen Faktor“ scheitern werde. Es war dann die SPD/Grüne Koalition, die mit Riesterrente und Hartz-Gesetzgebung den Weg zum sogenannten Dreisäulenmodell freimachte: Neben der gesetzlichen Rentenversicherung sollen prinzipiell gleichgestellt Betriebsrente und Privatrente stehen, obwohl besonders letztere für die Versicherten teuer und ineffektiv ist.
Die Widerlegung solcher Lügen ist in dem Buch gekoppelt mit der Darstellung der Verhältnisse in anderen europäischen Ländern, insbesondere Österreich, Schweiz, Frankreich und Niederlande. Das wird eindrucksvoll mit Zahlen belegt. Aber hierbei geraten Balodis/Hühne geradezu ins Schwärmen, weshalb diese Kapitel auch mit gewisser Skepsis gelesen werden sollten. Denn eine solide Einschätzung sollte nicht auf die schlichte Aussage reduziert werden, was in Österreich möglich sei, müssen wir hier doch auch hinkriegen. Die Stellung der Rente in anderen Ländern muss in deren gesamten gesellschaftlichen Voraussetzungen (ökonomisch wie politisch) gesehen werden. Diese Darstellung ist auf wenigen Seiten im Buch nicht machbar.
Im nächsten Schritt beschreiben sie die Entwicklung des Widerstandes gegen die Altersarmut und den Stand der Bewegung (Gewerkschaften, Verbände, Initiativen) für eine Rentenwende, die wieder zu einer lebensstandardsichernden gesetzlichen Rentenversicherung führen soll. Sie skizzieren ein Acht-Punkte-Konzept, um das zu erreichen: 1. Beitragssatz anheben (statt in „Riester“ und ähnlichen Unsinn zu investieren); 2. Erwerbstätigenversicherung (Beitrag zur Stärkung der Finanzgrundlage und Abschaffung ungerechtfertigter Gruppenprivilegien); 3. Bundesanteil erhöhen (insbesondere zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen, die der Rentenkasse aufgebürdet wurden); 4. politisch verordnete Einnahmeverluste beenden (Korrekturen in der Rentenanpassungsformel, Beseitigung prekärer Arbeitsverhältnisse); 5. Erwerbspotenzial besser ausschöpfen (der schwächste Punkt im Konzept: Appell an öffentliche und private Arbeitgeber); 6. Riesterrente abschaffen (klare Aussage, auch der DGB fordert das); 7. Beitragsbemessungsgrenze aufheben (liegt momentan bei 6900 €); 8. Mindestrente einführen (nicht die Heil’sche Grundrente).
Damit erklären sie: „Bessere Renten sind finanzierbar, und zwar ohne Überlastung der Beitragszahler.“ Dass diese Feststellung nicht reicht, wissen sie: „Wem das nun alles ein wenig zu einfach klingt, der hat nicht unrecht: Es ist machbar, aber in unserem komplexen Politikbetrieb natürlich nicht per Federstrich umzusetzen. Es sind gewaltige gesellschaftliche Widerstände zu überwinden, vor allem bei Gewinnern der jahrzehntelangen Rentenzerstörung. Und es ist viel Aufklärungsarbeit zu leisten, vor allem bei jenen, die den Glauben an gute und bezahlbare Renten schon aufgegeben haben. (S. 87)“
Im Teil „B: Rente kompakt“ folgen Informationen und Wertungen zum gegenwärtigen System („Wie funktioniert die gesetzliche Rente?„) und zu Begriffen wie Rentenniveau, Umlageverfahren, Kapitaldeckung, Riester-Rente, Entgeltumwandlung. Hier wird „mit einigen Vorurteilen“ aufgeräumt und mehr Klarheit zu Begriffen und Worthülsen geschaffen, die in ihrer realen Bedeutung hinterfragt werden müssen.
Ein Buch alleine schafft keine Bewegung. Es kann nur in einer bereits vorhandenen Strömung wirken, Informationen vermitteln, zu Diskussionen führen, Verbindungen und Orientierung schaffen, Handlungen initiieren und anleiten. Diese praktischen Zwecke erfüllt das Buch. In seiner übersichtlichen Gliederung kann es auch als Nachschlagewerk dienen.
HU – 2.2.2020
Holger Balodis/Dagmar Hühne, Rente rauf! So kann es klappen,
Frankfurt 2020, 204 Seiten, 18 €
Hinterlasse jetzt einen Kommentar