Kolleg*innen des Oetker Konzerns in Unruhe
Massenkündigung bei Durstexpress

Korrespondenz

Am 04.02.2021 hatten sich vor der Zentrale des Getränkeauslieferers Durstexpress in der Stralauer Allee 11 im Berliner Bezirk Friedrichshain knapp zweihundert Kolleg*innen unter den Fahnen der NGG versammelt. Sie kamen mehrheitlich aus Berlin. Vertreten waren aber auch Kolleg*innen aus anderen ostdeutschen Niederlassungen des Unternehmens, aus Leipzig, Dresden und Halle. Trotz nasskalten Wetters hielten sie die anderthalbstündige Kundgebung tapfer durch. Ihre Gesichter waren gezeichnet von Wut und Enttäuschung über den Arbeitgeber, signalisierten aber auch Entschlossenheit, sich dem Vorgehen des Unternehmens entgegen stellen zu wollen.

Was war geschehen?

Vor einigen Monaten hatte der Oetker Konzern für satte 800 Millionen Euro die Firma Flaschenpost gekauft, obwohl er selbst auf dem Markt der Getränkeauslieferung mit der Firma Durstexpress vertreten ist. Flaschenpost hat etwa 6.000 Beschäftigte, Durstexpress ca. 3.500.

Wer nun geglaubt hatte, es komme zu einer ordentlichen Fusionierung beider Unternehmen, sah sich bald eines Besseren belehrt. Nach Einschätzung des Unternehmens arbeitet die Firma Durstexpress nicht effektiv genug und erreiche bei weitem nicht die Produktivität und Effizienz der Firma Flaschenpost und müsse deshalb liquidiert werden.

Doch scheint dieses Argument im boomenden Markt der Getränkeauslieferung nur vorgeschoben. Die Geschäftsentwicklung der Firma war in den letzten Jahren, speziell aber in den Monaten des Jahres 2020, positiv. Das Unternehmen stellte im vergangenen Jahr laufend neue Leute ein.

Kolleg*innen verbrennen Kopien ihrer Kündigungsschreiben

Der entscheidende Grund für die Liquidierung von Durstexpress ist vielmehr, dass Oetker die besser bezahlten Beschäftigten von Durstexpress los werden will. Überall dort, wo Durstexpress und Flaschenpost gemeinsam ausliefern, werden die Filialen von Durstexpress geschlossen. Die KollegInnen können sich dann bei den Niederlassungen von Flaschenpost bewerben, müssen aber bei Einstellung mit einem geringeren Stundenlohn, einer gekürzten Wochenarbeitszeit und einem befristeten Vertrag rechnen. Dies betrifft vor allem die Niederlassungen in Leipzig, Bochum und in Berlin die Auslieferung in Tempelhof. Und überall dort, wo Durstexpress bisher alleine ausgeliefert hat, sollen die Kolleg*innen zwar übernommen werden, doch unbekannt ist, zu welchen Konditionen. Sie befürchten, dass auch sie gekündigt werden und sich neu bewerben müssen.

Arbeitstätigkeit

Mit dem Angebot einer Lieferzeit von zwei bis drei Stunden nach Bestellung hatte Durstexpress in den Zeiten des Lockdowns genau das richtige Angebot. Da viele Kunden aus beruflichen wie privaten Gründen pandemiebedingt häufiger zu Hause blieben und den Weg zum Händler scheuten, um Ansteckungen zu vermeiden, bestellten sie im Internet ihre Getränke.

Während der Kunde bei der Lieferung an die Haustüre den Aufwand für Kauf und Transport spart, haben die Beschäftigten der Auslieferfirmen die Last, schwere Gegenstände transportieren zu müssen. Nicht immer kann eine Sackkarre zur Arbeitserleichterung genutzt werden. In Berlin gibt es viele Altbauten, die keinen Fahrstuhl besitzen. Da müssen die Getränkekisten bis in den fünften Stock geschleppt werden. Ein Knochenjob.

Gewerkschaftliche und betriebsrätliche Organisierung

Bisher war dieser Bereich der Dienstleistungen gewerkschaftlich Niemandsland. Die Beschäftigten der Nahrungs- und Genussmittelindustrie sind überwiegend in kleineren und mittleren Betrieben tätig. Entsprechend rüde ist der Umgangston. Wer sich nicht dem vom Arbeitgeber bestimmten Betriebskonsens unterordnet, wird schnell aussortiert und gemobbt. Niedrige Löhne, kaum geregelte sonstige Tarifleistungen und eine unzulängliche Arbeitszeiterfassung sind hier gang und gäbe. Diese Firmen arbeiten mit einem Heer von befristet Beschäftigten, die schnell ausgewechselt werden können. Nicht einmal Betriebsräte gibt es in vielen dieser Unternehmen. Entsprechend niedrig ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad.

Da aber die Gewerkschaft NGG fast nur solche Betriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich hat, muss sie sich diesen Bedingungen stellen, um als Gewerkschaft zu überleben. Und dies hat sie in den letzten Jahren auch getan. Mittlerweile verfügt sie über eine Vielzahl von Erfahrungen. Bei der Nudelfabrik in Riesa konnte sie zunächst einen Betriebsrat gründen und dann einen recht passablen Haustarifvertrag mit den Beschäftigten durchsetzen. Auf den Weg gemacht haben sich auch die Kolleg*innen der Firmen Sonnländer Getränke in Rötha, Frosta-Tiefkühlwerk Lommatzsch, Cargill-Ölwerk Riesa sowie Bautzner Senf.  Auch bei dem Konflikt im Wombat Hotel in Berlin war die NGG präsent und unterstützte die Kolleg*innen beim Kampf um die Einrichtung eines Betriebsrates und dem Abschluss eines Tarifvertrages[1].

Bei der Firma Durstexpress gab es bisher keinen Betriebsrat, bei der Firma Flaschenpost nur in der Zentrale in Münster und der Niederlassung in Düsseldorf. Tarifvertragliche Regelungen gab es in beiden Firmen nicht.

Noch zu Beginn der Pandemie hatten die Durstexpress Kolleg*innen von ihren Chefs lobende Worte gehört. Sie seien Helden und mit ihrem aufopferungsvollen Einsatz in schwierigen Zeiten das Rückgrat der Firma. Diese Worte schienen vielen glaubwürdig zu sein, weil sie von einer Firma kamen, die sich selbst in der Außendarstellung als Familienunternehmen präsentiert

Die Massenkündigung durch den Oetker Konzern rüttelte die KollegInnen beider Firmen wach. Sie traten in großer Zahl der NGG bei. In den Niederlassungen der Firma Durstexpress Tempelhof in Berlin und in Leipzig richteten sie mit der Gewerkschaft Wahlvorstände ein, um eine Betriebsratswahl durchführen zu können. Am 28.01.2021 organisierten NGG und FAU in Leipzig eine Kundgebung, um für den Erhalt der Arbeitsplätze einzutreten[2].

Auf der Kundgebung in Berlin stellten sie mit einem Flyer ihre Forderungen vor. Ihr Ziel ist es, dass es bei der Zusammenführung beider Unternehmen keine Verschlechterung der bisherigen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen geben dürfe. Sie verlangten ferner, die Fragen des Zusammenführung beider Unternehmen mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Und sie forderten, dass es bei den anstehenden Wahlen zu den örtlichen Betriebsräten keine Behinderung seitens der Unternehmen geben darf.

Breite Solidarität

Die NGG hatte es in Berlin geschafft eine recht große Zahl von Beschäftigten für ihre Kundgebung zu mobilisieren. Auffällig war, dass der Konflikt in den Medien wahrgenommen wurde. So hatte die Gewerkschaft sowohl Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen auf den Konflikt aufmerksam gemacht. Sie war auch in den sozialen Medien aktiv. Außerdem gelang es ihr, vier (!!!) Bundestagsabgeordnete zur Abgabe einer Solidaritätserklärung zu gewinnen, drei von den Linken (Petra Pau, Pascal Meißner, Gesine Lötzsch) und eine von der SPD (Cansel Kiziltepe). Grußadressen kamen vom Betriebsrat der zum Oetker Konzern gehörenden Brauerei Kindl Schultheiß wie von der Eisenbahnergewerkschaft EVG wie vom DGB Berlin-Brandenburg.

Der Oetker Konzern wird in den kommenden Wochen bei der Zusammenlegung beider Firmen nicht auf eine unterwürfige Belegschaft treffen, sondern auf eine, die sich wehrt.

H.B., 11.02.2021


  1. Vgl. Arpo 3‘19
  2. Vgl. Korrespondenz aus der UZ

aus Arbeiterpolitik Nr. 3 / 2021

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*