Zum Jahrestag der Ermordung von neun migrantischen Jugendlichen in Hanau gab es in Darmstadt eine Kundgebung und kurze Demonstration des „Bündnisses gegen Rechts“ (BgR). In diesem Bündnis sind verschiedene linke, antifaschistische und antirassistische Initiativen, Gruppen aus dem migrantischen Spektrum, aber auch der örtliche DGB und die Jusos vertreten. Die Beteiligung von DKP und Interventionistischer Linken (IL) war für den Darmstädter Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) der offizielle Grund, mit diesem Bündnis keine gemeinsame Gedenkfeier durchzuführen. Das Bündnis suchte im Vorfeld nämlich eine Abstimmung mit der Stadt, um eine gemeinsame Aktion durchzuführen. Vorgeschlagen wurde, vom Langen Ludwig, einem hohen Denkmal im Zentrum der Stadt, ein Transparent mit den Namen der Ermordeten herabzuhängen. Dieses Anliegen wurde jedoch von Oberbürgermeister Partsch brüsk abgelehnt. In einem Brief ließ er mitteilen, dass das Bündnis angesichts der Beteiligung von DKP und IL für die Stadt nicht als Kooperationspartner infrage komme. Dieser Brief wurde auch in der örtlichen Presse veröffentlicht.
Die Reaktion der Stadt ist eigentlich nicht überraschend. Im letzten Jahr nach dem Attentat in Hanau konnte sich die grün-schwarze Koalition in der Stadt nicht einmal durchringen eindeutig den Rechtsextremismus zu verurteilen, der dem Attentat ja zugrunde lag. Stattdessen wurde ganz allgemein der Extremismus verurteilt. Dieser Resolution konnte dann ohne Probleme auch die AfD-Fraktion zustimmen. Wer anlässlich der Hanauer Attentate rechts und links nicht unterscheidet, der wird natürlich auch nicht mit linken Gruppen zusammenarbeiten wollen.
Das Verhalten des OB passt auch zu einem Plakat seiner Partei zu den anstehenden Kommunalwahlen am 14.März. „Gegen Hetze und Gewalt nur mit Recht und Gesetz“. Wohlgemerkt: Nicht „im Rahmen von Recht und Gesetz“, sondern „nur mit Recht und Gesetz“. Engagement von unten wirkt bei dieser Sichtweise natürlich störend, besonders wenn dort Gruppen mitwirken, die grundsätzliche Kritik an den gesellschaftlichen Strukturen üben. Sie werden dann als „Radikale“ mit denen in einen Topf geworfen, die andere Menschen bedrohen und verfolgen. „Recht und Gesetz“ wird natürlich vollzogen durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte, also Institutionen, deren Angehörige zum Teil selbst im Verdacht stehen durch Racial Profiling oder mit NSU 2.0 unterschriebenen Drohbriefen zur Hetze gegen Minderheiten beizutragen. Die Ermittlungen zu den Morden des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) verliefen jahrelang in die falsche Richtung, da die Ermittelnden selbst rassistische Vorurteile gegenüber den Opfern hatten. Auch die vom NSU 2.0 mit dem Tode Bedrohten können sich nicht auf diese Institutionen verlassen. Dieser Slogan der GRÜNEN erinnert an das Schlagwort von „Recht und Ordnung“, das früher das Markenzeichen der CDU war. Die Koalition von GRÜNEN und CDU kann so auch für den Bund vorbereitet werden.
Gedenkrede des OB
Statt einer öffentlichen Aktion entschied sich die Stadt dafür, den Gedenktag auf eine Rede des OB zu beschränken, die als Video im Internet zu sehen war. Obwohl Jochen Partsch eine Zusammenarbeit mit dem „Bündnis gegen Rechts“ ablehnte, nannte er diese Rede „Gemeinsames Gedenken“. Auf der Webseite werden eine ganze Reihe von Einrichtungen und Gruppen genannt, die diese Form des Gedenkens unterstützt haben. Doch sind dies zum großen Teil keine zivilgesellschaftlichen Organisationen, sondern offizielle Institutionen wie die Kirchen oder Hochschulen.
In seiner Rede blieb der OB beim Gedenken an die Opfer und bei der Verurteilung der Tat. Allerdings verurteilte er eindeutig Rechtsextremismus und Rassismus, verkniff sich Hinweise auf „Linksextremisten“. Konsequenzen für heute und morgen wurden nicht gezogen.
Gedenken – Gerechtigkeit – Aufklärung – Konsequenzen
Genau um diese Konsequenzen ging es jedoch bei der vom BgR organisierten Kundgebung auf dem Luisenplatz am selben Tag. Etwa 500 Menschen nahmen daran teil. Mehrere Redner*innen des BgR und von darin vertretenen Gruppen nahmen Stellung zum Attentat und den damit verbundenen offenen Fragen. Immer wieder wurde betont, dass Sonntagsreden nicht ausreichen um Rassismus zu bekämpfen. Es wurde darauf hingewiesen, dass es in Hessen schon vor den Morden in Hanau eine Reihe von Anschlägen auf Migrant*innen und aufrechte Antifaschist*innen gab und die Betroffenen und Hinterbliebenen nur unzureichend Hilfe erfahren haben. Auch Aufklärung wurde gefordert: Wie könne es sein, dass der Mörder, welcher im Internet aus seiner faschistischen und rassistischen Gesinnung keinen Hehl machte, einen Waffenschein besaß? Weshalb war am Abend des 19.2.1920 der polizeiliche Notruf in Hanau nicht besetzt? Zustimmend wurde die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano zitiert: „Wer gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen„.
Weitere Reden gab es am Mathildenplatz. Dieser Ort wurde nicht zufällig gewählt, da sich dort in der Nähe ein Polizeirevier befindet. So sollte noch einmal auf rechte Netzwerke in den Sicherheitsorganen hingewiesen werden. Neben der Interventionistischen Linken und der Linkspartei kamen hier unter anderem auch Fridays for Future, Migrantifa und eine Vertreterin des „Feministischen Strikes“ zu Wort. Community for All, eine Gruppe, die sich vor allem für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt, betonte, Rassismus manifestiere sich nicht nur in den Morden, sondern auch in den unhaltbaren Zuständen wie z.B. im Lager Moria in Griechenland. Beeindruckend auch die Reden von jungen Migrant*innen, die schilderten, wie sie selbst immer wieder Rassismus erleben müssen.
Es ist bemerkenswert, wie viele Gruppen und Organisationen sich an der Kundgebung beteiligten. Sie war auch ein Zeichen für eine eigenständige antifaschistische Mobilisierung von unten, die sich nicht auf die Unterstützung von offizieller Seite verlässt. Es ist zu hoffen, dass diese Zusammenarbeit auch danach fortgesetzt wird.
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