Auf drei Kundgebungen am 19. Januar, dem Tag des Anschlags, gedachten zahlreiche Berliner:innen den Opfern des rassistischen Massakers in Hanau. Jeweils mehrere hundert Antifaschist:innen hatten sich vor dem Rathaus Neukölln, auf dem Oranienplatz in Kreuzberg und auf dem Leopoldplatz in Wedding versammelt. Für den nächsten Tag, Samstag, den 20. Januar, rief ein breites Bündnis zu einer Demonstration auf, darunter die Initiativen ‚Migrantifa Berlin‘, ‚Aktionsbündnis Antirassismus‘, ‚Kein Generalverdacht‘, ‚Roma Trial‘, ‚Young Struggle‘ und ‚We’ll Come United‘. Aus dem Aufruf vom ‚Bündnis Berlin für Hanau‘: „Ein Jahr Hanau – und immer noch gibt es zu wenig Antworten auf zu viele Fragen. Die Umstände und der Kontext, in dem die rassistischen Morde passiert sind, wurden immer noch nicht vollständig aufgeklärt. […] Der Umgang mit Angehörigen und Betroffenen rassistischer Gewalt durch Polizei, Behörden und Politik ist von Ignoranz, Respektlosigkeit und Unwillen gezeichnet. […] Hanau ist überall!“
Auftakt sowie Verlauf des Demonstrationszuges waren symbolträchtig ausgewählt. Treffpunkt war der S-Bahnhof Herrmannstraße, die Route führte durch den Bezirk Neukölln, um am Oranienplatz in Kreuzberg zu enden.
Der Bezirk Neukölln sorgte auch bundesweit für Schlagzeilen durch die seit Jahren anhaltende faschistische Terrorwelle. Sie wurde bis heute nicht aufgeklärt, obwohl der Kreis, aus dem die Täter stammen, unter den Betroffenen bekannt ist. Hinweisen auf deren Verbindungen in die Polizei und sogar in die Staatsanwaltschaft wurde nicht nachgegangen. Bis heute versuchen „Untersuchungskommissionen“, die unter dem Druck der Öffentlichkeit gebildet wurden, die Verbindungen zwischen der rechtsextremen Szene und der Polizei eher unter den Teppich zu kehren als aufzuklären. Dagegen schüren die großangelegten Razzien in Shisha-Bars, begründet mit dem Kampf gegen die Clan-Kriminalität, einen latenten Rassismus unter Teilen der Bevölkerung des Bezirks und sind Wasser auf die Mühlen der rechtsextremen Szene. Eine Tat wie in Hanau ist auch in Neukölln vorstellbar. Wie in Hessen sind auch hier die rechtsextremen Strukturen und Denkmuster vorhanden, ebenso der mangelnde Wille bzw. die Unfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden an Aufklärung und Vorbeugung.
Der Oranienplatz ist in Berlin zu einem Symbol der antirassistischen Solidarität geworden, nachdem Geflüchtete 2013 den Platz besetzt und über Monate ihr Camp errichtet hatten. Das Camp wurde im Frühjahr 2014 durch die Berliner Polizei geräumt.
Zurück zum Demo-Geschehen. Mit bis zu 1.000 Teilnehmenden hatten Organisatoren und die Polizei gerechnet; die tatsächliche Beteiligung übertraf die Erwartungen. Der „Tagesspiegel“ (20.02.2021, 19:26 Uhr) berichtete folgendes: „Kaum hatte sich die Hanau-Gedenk-Demo am Samstagnachmittag auf der Neuköllner Hermannstraße in Bewegung gesetzt, stoppte sie schon wieder. Zu viele Menschen strömten aus dem S-Bahnhof, um bei der größten Berliner Gedenkveranstaltung für die Opfer des Anschlags von Hanau vor einem Jahr teilzunehmen. Weitere 15 Minuten vergingen, bis sich der Protestzug endgültig aufgestellt hatte und mehrere Tausend vor allem junge Berliner:innen in Richtung Kreuzberg zogen. […] Die Polizei sprach zum Beginn der Demo von mindestens 4000 Teilnehmenden und weiter starkem Zustrom zur Demonstration. Am frühen Abend korrigierte sie auf 6.000, der Veranstalter gab 20.000 Teilnehmer:innen an. […] In mehreren Redebeiträgen wurde die behördliche Aufklärung des Anschlags von Hanau kritisiert. ‚Was der Staat nicht macht, machen wir selber‘, sagte eine Rednerin in der Flughafenstraße und fügte hinzu: ‚Für Deutschland bleiben wir immer Fremde. Was wir brauchen ist organisierter, migrantischer Antifaschismus‘.“
Nach den Demonstrationen zu Black-Lives-Matter und anlässlich des Brandes im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos, die im Sommer 2020 während der Lockerungen des Lockdown stattfanden, war es die größte linke Manifestation seit einem Jahr. Auffällig ist die rege Beteiligung vieler junger Menschen bei antirassistischen und antifaschistischen Veranstaltungen und die breite Beteiligung an den Kundgebungen. Ihr Engagement drückt sich auch in den zahlreichen kreativen und selbst gestalteten Demo-Plakaten aus.
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