Berliner Krankenhausbewegung:
Die gewerkschaftliche und politische Mobilisierung wird aufrechterhalten

Korrespondenz

Der 12. Mai war nur ein vorläufiger Höhepunkt der Mobilisierung. Seither vergeht keine Woche, in der nicht die Berliner Krankenhausbewegung mit weiteren Aktionen versucht, den Druck auf die Leitungen von Vivantes und Charité sowie den Berliner Senat aufrechtzuerhalten und zu erhöhen. So fanden und finden weiterhin gut organisierte Kundgebungen vor den Standorten der Krankenhäuser in den einzelnen Stadtbezirken statt. Dutzende Beschäftigte der jeweiligen Kliniken nahmen in ihrer dienstfreien Zeit daran teil. Mit besonderem Applaus begrüßten sie die Redner:innen, die sie persönlich aus ihrem Arbeitsbereich kannten und die eindringlich die Arbeitsbedingungen auf den Klinik-Stationen schilderten und die Berechtigung und Dringlichkeit der aufgestellten Forderungen vermittelten. So zeigte sich durch die Stadtteil-Kundgebungen die Breite und Kraft der gewerkschaftlichen und politischen Mobilisierung.

An den Kundgebungen nahmen, neben den Krankenhausbeschäftigten, auch eine Reihe von Unterstützer:innen teil. Sie kamen aus den verschiedenen Initiativen
des Gesundheitswesens; aber auch einzelne Gewerkschafter:innen der IGM, IG BAU und GEW nahmen teil sowie die Initiative für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen!«. Nach den Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen kamen die Initiativen zur Unterstützung ihres Kampfes zu Wort. Vor dem Krankenhaus Neukölln solidarisierte sich beispielsweise eine Abordnung von »Tasmania 1900 Berlin« mit der Krankenhausbewegung. Tasmania ist vor allem im Bezirk Neukölln bekannt und beliebt, und bundesweit bekannt durch die bis heute schlechteste Punktebilanz einer Mannschaft aus der Bundesligasaison 1965/66.

Gegen Ende der Kundgebungen erhielten die Vertreter der örtlichen Parteigliederungen das Wort – oft Mitglieder und Kandidaten des Bezirks für das Abgeordnetenhaus oder den Bundestag. Angesichts der geschilderten Zustände und der Entschlossenheit der Krankenhausbeschäftigten bekannten sie sich verbal zu den aufgestellten Forderungen und wagten es meist nicht, ihre Unterschrift auf den ausgelegten Unterstützungslisten zu verweigern.

A.B., 16.06.2021


Beispiel Krankenhaus Benjamin Franklin in Berlin Steglitz

Am 16. Juni trafen sich die Aktivist:innen der Krankenhausbewegung vor dem Krankenhaus Benjamin-Franklin in Berlin Steglitz, um auch in diesem Stadtteil ihren Protest gegen die schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen vorzubringen. Das Krankenhaus in Steglitz war das zentrale Krankenhaus für die Stadt zu Westberliner Zeiten, wurde aber nach dem Anschluss der DDR in die Charité integriert. Es ist der Freien Universität angeschlossen und so nicht nur für die Grundversorgung der in den westlichen Teilen der Stadt lebenden Bevölkerung der Stadt zuständig, sondern auch Lehrkrankenhaus.

An der Kundgebung vor dem Eingangsportal des Klinikums nahmen knapp zweihundert Beschäftige und einige wenige Unterstützer teil. Die ersten Beiträge wurden von Kolleg:innen gehalten. Sie machten vor allem auf ihre schwierige Arbeitssituation aufmerksam. Alle fühlten sich durch die schlechte Personalausstattung in der Pflege überfordert und gaben an, dass sie ständig am Rande der Erschöpfung arbeiteten. Besonders eindrucksvoll war die Schilderung einer Kollegin aus dem Bereich der Intensivmedizin. Sie wies darauf hin, dass sie nie eine optimale Versorgung der Patient:innen leisten könne. Ständig müsse sie Abwägungen treffen, welcher Patient vorzuziehen sei, wohl wissend, dass dies zu lebensbedrohlichen Problemen bei den zurückgestellten Patient:innen führen könne. Dies belaste sie nicht nur körperlich, da sie sich kaum eine Ruhepause gönnen könne, auch seelisch sei sie wie ihre Kolleg:innen ständig bis an die Grenze des Möglichen strapaziert. Sie gehe fast jeden Tag mit dem Gefühl nach Hause, die ihnen anvertrauten Patient:innen nicht ausreichend versorgt zu haben. Besonders schlimm sei dies im Spätdienst, wenn man genau wisse, dass der Nachtdienst unterbesetzt sei und allenfalls eine Notversorgung leisten könne. Wer unter diesen Bedingungen nicht nach Ende der Arbeitszeit abschalten könne, lande früher oder später in einer ausweglosen Krise. Und diejenigen, die zwischen Arbeit und Freizeit gut trennen können, hätten das Problem, dass sie von ihrer Arbeit derart erschöpft seien, dass ein normales Freizeitleben kaum mehr möglich sei. Freunde, Kinder und Familie litten mit.

Bei den folgenden Redebeiträgen, die von Unterstützern gehalten wurde, fiel besonders die Rede des Seniorenvertreters des Bezirks, einem gewählten Gremium, auf. Er hob hervor, dass insbesondere die älteren Mitbürger auf eine gute Krankenversorgung angewiesen seien. Gerade für sie müsse Zeit eingeplant werden etwa für ein einfühlsames Gespräch, da nicht alle ihre Probleme durch die Hochtechnologiemedizin gelöst werden könnten. Steglitz, der Stadtteil mit dem höchsten Altersdurchschnitt aller Berliner Bezirke, brauche noch dringlicher als andere eine gute Krankenversorgung, die nur über ausreichende Personalausstattung der Kliniken sichergestellt werden könne.

Der Vertreter von ver.di wies darauf hin, dass die Bewegung ihre genauen Ziele noch formulieren müsse. Nach den derzeit laufenden Diskussionen an der Basis werde man sich Anfang Juli im Stadion von Union Berlin auf einen gemeinsamen Forderungskatalog einigen. Die gewerkschaftliche Organisierung mache derzeit große Fortschritte, müsse aber angesichts der schlechten Ausgangssituation in den nächsten Wochen noch deutlich verbessert werden. Er zeigte sich aber optimistisch, da in den bisherigen Umfragen zur Arbeitssituation etwa zwei Drittel der Beschäftigten Zustimmung zur Forderung eines Entlastungstarifvertrages signalisiert habe. Er erinnerte daran, dass die derzeitige Bewegung an den Krankenhäusern zwei Grundforderungen habe. Einmal die Verbesserung der Personalsituation in der Pflege durch einen Entlastungstarifvertrag, zum anderen die Tarifierung aller in den Krankenhäusern Berlins beschäftigten Kolleg:innen unter den TVöD. Hier gebe es etwa beim Klinikum Vivantes und beim sog. Labor, das u. a. für die Krankenhäuser der Stadt die Covid-19 Analysen durchführt, noch erheblichen Handlungsbedarf.

Den Gegenpart zu den Ausführungen des Gewerkschaftsvertreters nahm Finanzsenator Kollatz in der folgenden Runde der Parteienvertreter ein. Er sprach auch für die SPD. Kollatz wies darauf hin, dass der aktuelle Senat sich zum Ziel gesetzt habe, tariffreie Zonen im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen abzuschaffen. Er blieb aber die Antwort schuldig, weshalb dies trotz des Konsenses darüber in der Senatskoalition noch nicht umgesetzt sei. Zu der speziellen Forderung eines Entlastungstarifvertrages wies er darauf hin, dass dafür nicht die Klinken selber zuständig seien, sondern der Kommunale Arbeitgeberverband. Der aber, dies sagte er nicht, hat vom Gesamtverband zwischenzeitlich die klare Anweisung erhalten, dass kommunale oder regionale Vereinbarungen zu dieser Frage bei Strafe von Sanktionen des Verbandes nicht abgeschlossen werden dürfen, sondern nur eine bundesweite Regelung möglich ist. Dies macht deutlich, dass die Forderung der Beschäftigten mittlerweile auf höchster Ebene angekommen ist und ernst genommen wird. Es macht aber auch klar, dass eine akzeptable Vereinbarung nur abgeschlossen werden kann, wenn die Mobilisierung über die einzelnen Großstädte hinaus die gesamte Republik erfasst. Die Berliner haben durch ihren Ansatz schon ihren Beitrag geleistet. Jetzt kommt es darauf an, ihn zu verbreitern.

Die andere Parteien erklärten sich, wie vor den Wahlen nicht anders zu erwarten war, solidarisch mit den Forderungen der Krankenhausbeschäftigten, wobei die Vertreterin der Linken noch mit Abstand die klarsten Aussagen traf.

H.B., 18.06.2021


aus Arbeiterpolitik Nr. 4 / 2021

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