Am 16. Juni 2021 organisierte die Hamburger Krankenhausbewegung per Zoom eine Stadtversammlung. »Entlastung – wann wenn nicht jetzt« lautete es in der Einladung. Zunächst gab es eine Übersicht über die Lage in verschiedenen Krankenhäusern der Hansestadt, die sich kaum unterschieden von entsprechenden Schilderungen aus Berlin. Die Lage ist gekennzeichnet durch die Flucht aus dem Beruf und die politische Ingnoranz des Hamburger Senats, so die Berichte z.B. auch aus der Asklepios Klinik St. Georg. Die Klinik wurde durch die versuchte Entlassung von Romana Knesevizs stadtbekannt. Der stadtweite Widerstand förderte die Stärkung und Profilierung der Hamburger Krankenhausbewegung.
Nach den Klinik-Berichten sprachen zwei Kollegen aus der ver.di-Betriebsgruppe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zu ihren konkreten gewerkschaftlichen Vorgehen bei der Aufstellung von Forderungen nach Entlastung. Ergänzt wurde dieser Erfahrungsbericht durch eine Kollegin der Berliner Krankenhausbewegung, die von den Erfahrungen aus der Hauptstadt berichtete und Vertreter:innen aus Hamburg einlud zu einer größeren Delegiertenversammlung der Beschäftigten von Vivantes und Charité. Sie findet am 9. Juli – coronagerecht – im Fußballstadion von Union statt. Der Verein hat der Krankenhausbewegung sein Stadion zu Verfügung gestellt.
Der Schauspieler Rolf Becker, ver.di-Mitglied in Hamburg, sprach in seiner Rede an, worum es auch den zahlreichen Unterstützer:innen aus der Stadtgesellschaft geht, wie beispielsweise den Vertrauensleuten der Hochbahn, der Lufthansa Technik oder der Stadtteilinitiative St. Georg:
»Schluss mit dem Profitsystem im Gesundheitswesen
Krankenhäuser können nicht dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit verpflichtet werden. Das geht entweder auf Kosten der Patientinnen und Patienten oder der Beschäftigten, meist zu Lasten beider.
Seit neoliberales Denken in der herrschenden Politik alle Bereiche der öffentlichen Daseinsversorgung dem Profitdenken unterworfen hat und seit ca. 20 Jahren das Regime der Fallpauschalen die Krankenhäuser endgültig zu Wirtschaftsbetrieben gemacht hat, wird an allem gespart, was keinen Gewinn bringt:
Personal, Zeit für Patienten, Therapien seltener Erkrankungen, Behandlung nicht versicherter Patientinnen und Patienten, gesundes Krankenhausessen usw. Es wird nicht gefragt, wie helfen wir der Patientin bzw. dem Patienten, sondern was bringen uns die Patienten. Resultat dieser Politik: Laut ARD-Nachrichten von heute vergrößerte sich der Profit der privatisierten Krankenhäuser im Vergleich zum Vorjahr während der Pandemie um 15 %!
Betten frei machen für den nächsten großen operativen Eingriff, ein Kaiserschnitt ist lukrativer als eine natürliche Geburt, usw. Dass Krankenhäuser Profite erwirtschaften müssen – diese Logik wollen wir als ver.di-Mitglieder mit der Unterstützung der Krankenhaus-Beschäftigten und des Pflegepersonals durchbrechen.
Die bisherige Zurückhaltung fast aller Gewerkschaften, denen die Entwicklung des Krankenhauswesens so vertraut ist wie uns, hat ihre Ursache in ihrer vor 20 Jahren erteilten Zustimmung zur Privatisierung des Gesundheitswesens. Zeit zur Umkehr, entsprechend unsere Forderungen:
- Beseitigung der Fallpauschalen!
- Rückführung ausgegliederter Töchter in das Mutterunternehmen!
- Erhöhung des Einkommens und des Betreuungsschlüssels der Pflegekräfte!
- Mehr Einstellungen – statt durch schlechte Arbeitsbedingungen und Sparmaßnahmen aus dem Beruf drängen!
Die Rückführung von Gesundheit und Pflege aus dem marktorientierten Profitsystem in eine staatliche Daseinsvorsorge ist nur durch den gemeinsamen Einsatz aller Gewerkschaften möglich!
Für ihren Widerstand verdienen die Krankenhaus-Beschäftigten gewerkschaftliche und gesellschaftliche Unterstützung: Mehr von Ihnen ist zugleich mehr für uns alle!
‚HÖRT AUF UNS’«
Manifest für würdige Bedingungen in unseren Krankenhäusern
Wir bleiben und kämpfen, denn es muss sich alles ändern! Wir dürfen uns an den Notstand in der Versorgung unserer Patientinnen und Patienten nie gewöhnen. Wir dürfen uns niemals daran gewöhnen, dass der Personalmangel uns zu gefährlicher Unterversorgung zwingt, dass wir Medikamente zu spät geben oder dass Patientinnen und Patienten alleine sterben müssen.
Die Pandemie hat für viele Kolleginnen und Kollegen das Fass zum Überlaufen gebracht. Von Politik und Arbeitgebern im Stich gelassen, häufig ohne ausreichenden Schutz für sich selbst und die Patientinnen und Patienten, sind viele weit über ihre Grenzen gegangen.
Jetzt müssen wir zusehen, wie die Besten gehen, weil sie nicht mehr können. Wir werden weniger statt mehr! Wir kennen die Gründe dafür:
- Ein Finanzierungssystem, das Einsparungen, Fusionen, Krankenhausschließungen und Gewinnmaximierung befördert.
- Fehlende Regelungen zur Personalbemessung, ohne die die Berufsflucht nicht aufzuhalten ist!
Nur solche verbindlichen Regelungen können uns Sicherheit geben, jetzt und in Zukunft unseren Beruf so ausüben zu können, wie es unserem beruflichen Selbstverständnis entspricht.
Aber die politisch Verantwortlichen in Hamburg heben nur die Hände und erklären uns, sie können nichts tun. Wir akzeptieren diese Gründe für den Notstand in der Versorgung unserer Patientinnen und Patienten nicht länger.
- Wir bleiben, solange wir noch können, und kämpfen!
- Wir kämpfen um menschenwürdige Versorgung unserer Patientinnen und Patienten und dafür, dass in den Kliniken das Wohl der Menschen statt der Taschenrechner Priorität hat. Wir wissen, dass wir in diesem Kampf nicht allein sind:
160 Menschen aus den verschiedensten Bereichen dieser Stadt haben sich im Februar in Videoversammlungen versprochen, Seite an Seite gegen Einschüchterungen kritischer Kolleginnen und für menschenwürdige Bedingungen an unseren Krankenhäusern zu kämpfen.
Unser gemeinsamer Kampf ist in diesen Tagen notwendiger denn je.
Wir sehen die Vielen in dieser Stadt, die aufgrund der Pandemie gerade existenziell bedroht sind, weil staatliche Hilfen vor allem den Unternehmern zugutekommen.
Wir sehen den Widerspruch zwischen einschränkenden Maßnahmen im privaten Leben und unzureichendem Infektionsschutz in den Betrieben.
Wir erleben, wie Eigentumsschutz bei Impfpatenten wichtiger ist als der Gesundheitsschutz.
Das muss sich alles ändern, um Menschenleben zu retten. Der gemeinsame Kampf um eine würdige Gesundheitsversorgung ist ein wichtiger Teil davon, und wir laden alle ein, sich daran zu beteiligen.
Weil sich alles ändern muss in unserem Gesundheitssystem, gehen wir jetzt in den ersten Hamburger Kliniken in die tarifliche Entlastungsbewegung.
Wir nehmen die Bedingungen selber in die Hand.
Alle Unterstützenden dieses Manifests sind Teil dieser Bewegung und nehmen auch die Hamburger Regierung in die Pflicht,
- als Arbeitgeberin im UKE,
- als Anteilseignerin bei Asklepios
- und in ihrer Verantwortung für Kontroll- und Regelungspflichten.
Geht endlich mit uns Beschäftigten darüber ins Gespräch, dass es würdige Bedingungen in unseren Krankenhäusern braucht!
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