»Deutsche Wohnen & Co. enteignen« –
Der Volksentscheid wird kein Selbstläufer

Demo Berlin, 23.05.2021
Quelle: heba

Der Wahltermin rückt näher und damit auch der Tag des Volksentscheids. Wenn am 26. September eine Mehrheit der ca. 2,5 Mio. Abstimmenden, mindestens aber ~ der Abstimmungsberechtigten, das sind ca. 620 000, für Enteignung stimmen, muss die Enteignung nicht 1: 1 umgesetzt werden. Laut Gesetz muss sich das neue Abgeordnetenhaus nur mit der Frage beschäftigen. Im Fall des Tempelhofer Feldes war das was anderes, damals lag ein konkreter Gesetzestext zur Abstimmung vor, der die erforderliche Mehrheit fand. Selbst bei einer Mehrheit beim Volksentscheid ist die Enteignung also keineswegs beschlossene Sache. Wenn die Angelegenheit den Parteien im Parlament überlassen bleibt, wird eher das Gegenteil eintreten. Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man die Äußerungen Berliner Spitzenpolitiker*innen hört.

Demo Berlin, 23.05.2021
Quelle: Peter Homann, Gegendruck

Die SPD wird einen erfolgreichen Volksentscheid ignorieren. Die Spitzenkandidatin Franziska Giffey twitterte: „Enteignungen sind für mich nicht der richtige Weg, um die große soziale Frage des bezahlbaren Wohnens zu lösen und wecken kein Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Berlin. Wir müssen bessere Lösungen finden.“(Tagesspiegel, 30.07.21) SPD-Vorstand Kevin Kühnert verteidigt den ablehnenden Parteitagsbeschluss (Tsp., 20.08.21) und Rayed Saleh, Co-Vorsitzender der Berliner SPD, legt nach: „Es ist falsch, Unternehmen zu enteignen, nur weil sie eine bestimmte Anzahl von Wohnungen besitzen. Das ist Willkür…“ (Tsp., 23.08.21)

Anlässlich der öffentlichen Vorstellung eines Konzepts der Grünen, wie der Wohnungsnot in Berlin begegnet werden soll, „Der Berliner Mietenschutzschirm“, hat Bettina Jarasch, die Spitzenkandidatin, durchblicken lassen, wie ihre Partei wohl mit einem Volksentscheid umgehen würde. Die Berliner Grünen sind in der Frage „Enteignen … “ gespalten. Einige sind dafür, andere dagegen. Bettina Jarasch hat geäußert, sie werde am 26. September mit ,Ja“ stimmen. „Jein“ wäre vielleicht die passende Auswahlmöglichkeit für sie gewesen, denn „Vergesellschaftungen (sind) für mich Ultima Ratio“ (Tsp., 30.07.2 J). Selbst der Mitbegründer der Enteignungsinitiative Rouzbeh Taheri scheint bereit, kleine Brötchen zu backen. Er kommentierte:“ Wir freuen uns, dass Frau Jarasch mit Ja stimmt und damit die Grünen-Wähler dazu aufruft. Wenn man unsere Initiative dazu benutzt, Druck auf die Vermieter aufzubauen, kann uns das nur freuen.“(ebd.) Über CDU, FDP und AfD brauchen wir in diesem Zusammenhang kein Wort zu verlieren, allein die Linkspartei steht hinter der Initiative und wirft den Grünen vor, sie offenbarten „gerade ein merkwürdiges Verständnis von direkter Demokratie.“(ebd.)

Demo Berlin, 23.05.2021
Quelle: Peter Homann, Gegendruck

Bei den Grünen lohnt es, genauer in das Konzept vom Mietenschutzschirm zu schauen. Den Volksentscheid wollen die Grünen als „Weckruf‘ verstanden wissen, als eine Art unverbindliche Anregung für ihr Konzept der Versöhnung von Mieter*innen-und Vermieter* inneninteresse. Der Berliner Wohnungsmarkt ist „vollkommen aus den Fugen geraten“: Über die Hälfte der Berliner Mieter*innen haben Angst, aus ihrem Zuhause vertrieben zu werden. Massive Mietsteigerungen, unzureichende Investitionen in Neubau und Instandhaltung, Missbrauch von Modernisierungen, explodierende Nebenkosten, exzessive Bodenspekulation und unberechtigte Eigenbedarfskündigungen sind an der Tagesordnung, so steht es vollkommen richtig im „Berliner Mietenschutzschirm“ beschrieben. Diesen Wohnungsmarkt wollen die Grünen jetzt nach Wiener Vorbild befrieden, indem sie 50% gemeinwohlorientierten Wohnraum schaffen. „Der Berliner Mietenschutzschirm“ unterscheidet nicht zwischen „großen“ und „kleinen“ Vermieter*innen, sondern zwischen fairen und solchen, die nach Gewinnmaximierung streben. Er macht den privaten Eigentümer*innen ein politisches Angebot, wie sie ohne Vergesellschaftung davon kommen. Sie sollen gemeinwohlorientiert wirtschaften, d. h. die Mieten sollen eingefroren, der Mietspiegel eingehalten, Mietwohnungen nicht in Eigentumswohnungen umgewandelt, Dividenden ausgesetzt werden usw. Um das Vermieter*innen schmackhaft zu machen, soll ihnen auch was geboten werden: Zuschüsse, Darlehen, bessere Zinskonditionen, bevorzugten Grundstücksvergabe u. ä. Das sind typisch grüne Träumereien, das Kapital wird nicht freiwillig auf Profit verzichten, die Aktionär*innen sind schließlich eingestiegen, um Dividende zu kassieren. Wien hat 100 Jahre gebraucht, schreiben die Grünen selbst im „Berliner Mietenschutzschirm“. Enteignen geht schneller! Die Mieter*innen Berlins können sich darauf einrichten, dass ein erfolgreicher Volksentscheid von den Parteien, sind diese erstmal gewählt, bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet wird. Auch das Bundesverfassungsgericht wird möglicherweise wieder bemüht. Mit dem Argument, in der Berliner Verfassung gebe es keinen Enteignungsparagrafen, liegt das passende Argument schon parat. Man dreht den Entscheid über den Mietendeckel einfach um (Berlin ist nicht zuständig, ein Mietendeckel ist Bundesangelegenheit). Aber auch die 3. Gewalt urteilt nicht ohne Berücksichtigung der politischen Lage und der Kräfteverhältnisse und die kann die Mieter*innnenbewegung mitbestimmen. Wenn sie sich nicht unterbuttern lassen will, muss sie sich einmischen.

R.B. 23.08.21


aus Arbeiterpolitik Nr. 5/6 2021

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