‚Gorilla‘- Rider treffen auf Arbeitsminister Heil

Korrespondenz

Das Treffen mit dem Arbeitsminister in Kreuzberg

Am Dienstag den 20.07.2021 fand im früher alternativen Berliner Stadtteil Kreuzberg eine Begegnung der besonderen Art statt. Dort, wo in den Jahren vor der Corona-Pandemie sich die Jugend Europas am Wochenende einfand und Party feierte, traf Bundesarbeitsminister Heil am Lausitzer Platz auf eine Gruppe von etwa 50 Rad fahrenden Kurieren (auch Rider genannt) der Firma ‚Gorilla‘, die in den vergangenen Wochen durch mehrere Streikaktionen auf sich aufmerksam gemacht hatten. Der außergewöhnliche Charakter dieses Treffens wurde dadurch unterstrichen, dass die nationale wie internationale Presse mit einer Heerschar von Kameraleuten, Reportern und sonstigem Personal gekommen war.

Heil traf auf eine Welt, die ihm völlig fremd war. Schon bei der Kontaktaufnahme musste er feststellen, dass die Kommunikationssprache der Beschäftigten englisch ist. Sie stammen aus aller Herren Länder. Viele von ihnen verfügen nur über eine befristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik, die ihnen erst ausgesteilt wurde, als sie einen Arbeitsvertrag vorweisen konnten.

Deshalb sind die bei ‚Gorilla‘ abgeschlossenen für sie eine Zumutung. Denn die Verträge sind befristet und laufen nur über ein Jahr. Sie enthalten eine halbjährige Probezeit, in der sie jederzeit ohne Angaben von Gründen gekündigt werden können. Verlieren sie ihre Arbeit, müssen sie die Bundesrepublik verlassen. Die Tücken dieser Regelung musste vor kurzem der Kollege ‚Santiago‘ erfahren, der unten fadenscheinigen Gründen innerhalb der Probezeit entlassen wurde. Sein Rauswurf war der Anlass für den ersten Streik der Beschäftigten.

Wer ist ‚Gorilla‘?

Will man den Unmut der Rider verstehen, muss man sich kurz mit dem Charakter des Unternehmens beschäftigen, in dem sie arbeiten. ‘Gorilla’ gehört zu den Unternehmen der sog. Plattform-Ökonomie. Das spezielle des Konzeptes von ‘Gorilla’ besteht darin, die Lieferzeiten der bestellten Waren dramatisch zu verkürzen. ‘Gorilla’ verspricht in Berlin eine Lieferzeit von 10 Minuten. Diese Zusage kann das Unternehmen nur einhalten, wenn die Kunden in der Nähe seiner Warenlager wohnen. Im Internet sind die jeweiligen Lieferbezirke genau beschrieben. Da erst wenige Depots eröffnet wurden, kann ‚Gorilla‘ aktuell in Berlin noch keine flächendeckende Lieferung anbieten. Dies soll sich bald ändern. Die schnelle Expansion in der Metropole Berlin, auf jeden Fall im Kern der Stadt, ist für das Unternehmen überlebenswichtig.

Das Warenangebot von ‚Gorilla‘ ist auf die wesentliche Dinge des Alltags beschränkt. Reaktionsschnelle Picker stellen nach Auftragseingang die Waren in den Depots zusammen und hochsportliche Radfahrer bringen sie zum Kunden.

Lohn- und Arbeitsbedingungen bei ‚Gorilla‘

In den Mittelpunkt des Gespräches zwischen Bundesarbeitsminister Heil und den Beschäftigten rückten anfangs die Lohnzahlungen und die Arbeitsbedingungen. Die Rider und die Picker monierten, dass die Lohnzettel häufig nicht fristgerecht zum Monatsende erstellt würden und sie deshalb ihren Lohn verspätet überwiesen bekämen. Auch seien viele Abrechnungen falsch. So würde mit den Nachzahlungen aus den Vormonaten, ein kaum mehr nachvollziehbarer Gehaltsstreifen entstehen. Nachfragen zu den einzelnen Posten könnten kaum gestellt werden, da die zuständige Abteilung schlecht erreichbar sei.

Ihre Stundenlöhne würden zwischen 10,50 € und 12 € liegen, wobei sie nicht erkennen könnten, nach welchen Kriterien Unterschiede in der Bezahlung gemacht würden.

Die Depots, so die Beschäftigten, hätten häufig keine Pausenräume. Die Sanitäreinrichtungen seien unzureichend ausgestattet. Das Geschirr werde in der Toilette gewaschen, Duschmöglichkeiten fehlten. Da auch die Belüftung in den Warenlagern unzureichend sei, hätten sie nur die Möglichkeit, sich zwischen den Fahraufträgen draußen aufzuhalten. Dies sei im Sommer angenehm, bei schlechtem Wetter aber unzumutbar.

Große Mängel weise auch die Arbeitskleidung auf. Zwar würde das Unternehmen ihnen welche stellen, doch sie müssten diese mit anderen Kolleg:innen teilen, die häufig eine andere Kleidergröße wie sie hätten. Häufig sei die Kleidung verdreckt. Die von ‚Gorilla‘ gestellten Regencapes würden bei leichtem Nieselregen ausreichend sein, bei stärkeren Niederschlägen aber keinen Schutz bieten.

Anlass zu Kritik gäbe auch die Aufbewahrung von Batterien für die vom Unternehmen gestellten Elektro-Fahrräder. Die Akkus würden nicht sachgerecht gelagert, so dass schnell gefährliche Situationen entstehen könnten. Erst vor wenigen Tagen sei in einem Depot eine Batterie in Brand geraten. Nicht durch Rauchmelder, die es in den Lagern nicht gäbe, seien sie gewarnt worden, sondern durch das beherzte Eingreifen eines Kollegen. Da Feuerlöscher in den Betriebsräumen nicht vorhanden seien, habe er die Batterie in den Hof gebracht und dort das Feuer gelöscht. Ob giftige Dämpfe ausgetreten seien, entziehe sich ihrer Kenntnis.

Die Fahrräder selbst würden mangelhaft gewartet und Schäden nicht umgehend behoben. Das bereite ihnen große Probleme, so die Rider, da sie aufgrund des engen Zeitfensters für die Warenlieferung auf ein funktionsfähiges und sicheres Fahrrad angewiesen seien.

Versagen der Berliner Arbeitsschutzbehörden

Auf den Einwand von Heil, dass es doch in der Bundesrepublik für all die Probleme Gesetze, Tarifverträge, Verordnungen und im Notfall kontrollierende Behörden gäbe, musste er sich eines Besseren belehren lassen. So hätten sich die Berliner Arbeitsschutzbehörden und die Gewerbeaufsicht, monierten die Fahrer, bisher nicht um die von ihnen angeführten Mängel gekümmert, obgleich diese mittlerweile durch ihre Streiks und ihre Präsenz in der Presse hinlänglich bekannt seien.

Innerbetriebliche Hinweise würden mit Phrasen abgespeist. Und wenn sie doch einmal Zusagen auf Verbesserung der Arbeitsbedingungen erhielten, würden diese unzureichend umgesetzt. Tarifverträge erkenne das Unternehmen nicht an.

Heil versprach, sich mit der von den Linken gestellten Arbeitssenatorin Breitenbach in Verbindung zu setzen. Diese Zusage hat er wohl eingehalten. Nach etwa zwei Wochen war in der Berliner Presse zu lesen, dass ‚Gorilla‘ eine Geldstrafe wegen erheblicher Mängel beim Arbeitsschutz zahlen müsse. Welche Unzulänglichkeiten aber im Behördenbescheid aufgelistet und welche Fristen zu ihrer Behebung dem Unternehmen gestellt worden sind, wollte die Senatsverwaltung aus ‚Datenschutzgründen‘ nicht mitteilen. So kann niemand kontrollieren, ob das Schreiben an das Unternehmen auch alle Mängel enthalten hat, die von den Fahren beanstandet wurden. Und weder die Beschäftigten noch die Öffentlichkeit kann kontrollieren, ob ‚Gorilla‘ auch die im Bescheid genannten Unzulänglichkeiten auch beseitigt.

In Pankow wurde das Gesundheitsamt erst aktiv, als eine Anzeige von vom Verein ‚arbeitsunrecht‘ einging. Es stellte erschreckende hygienische Mängel in einem Warenlager fest.

Schwierigkeiten der Betriebsratsgründung

Da es der Belegschaft an Druckmitteln fehle, sie über keine Rechte auf Information zu den Planung des Unternehmens verfügten und die einzelnen Aktivist:innen kaum Schutzrechte besäßen, hätten sie beschlossen, so die Rider, einen Betriebsrat zu gründen.

Doch dies stieß schnell auf Schwierigkeiten. So war bei einer anberaumten Betriebsversammlung Streit über die Frage ausgebrochen, wer denn Zugang zu dieser habe. Mehrere Mitglieder der Geschäftsleitung, die rechtlich leitende Angestellte seien, wollten mit einem Mal gewöhnliche Beschäftigte sein. Die Ausgabe von qualifizierten Listen über den Status der Mitarbeiter, verweigerte das Unternehmen.

Die erhoffte Unterstützung der etablierten Gewerkschaften, ver.di und NGG, blieb aus, da sie sich erst bei einer 50%igen gewerkschaftlichen Organisierung einschalten wollten.

Doch dieses Argument ist vorgeschoben. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen, dass bei der Gründung von Betriebsräten ein hoher Organisationsgrad noch nie eine Voraussetzung für eine Unterstützung seitens der DGB-Organisationen gewesen ist. Sobald in einem Betrieb eine entschlossene Kerntruppe bereit war, einen Betriebsrat zu gründen, haben die Gewerkschaften sie rechtlich beraten und ihnen finanziell geholfen. Das Kalkül der Gewerkschaften war immer, dass über eine ‚ordentliche‘ Betriebsratsarbeit neue Mitglieder gewonnen werden könnten.

Der wirkliche Grund für die Zurückhaltung der DGB-Gewerkschaften ist ein anderer. Die Beschäftigten haben gestreikt und erklärt, unter bestimmten Bedingungen die Arbeit erneut nieder zu legen, ohne jeweils einen Tarifvertrag zu fordern oder wenigstens tarifvertragsfähige Forderungen aufzustellen.

Auch hier wusste Heil keinen Rat und erging sich in nichtssagenden Appellen an den guten Willen aller Beteiligten. Für die Kolleg:innen war am Ende des Gespräches klar, dass sie von der Bundesregierung in absehbarer Zeit keine Verbesserung ihrer Lage zu erwarten haben.

H.B. 25.08.2021


aus Arbeiterpolitik Nr. 5/6 2021

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