Keine Fortschritte für die Beschäftigten
In Berlin verliefen die Wahlen zum Bundestag vergleichbar zu denen im gesamten Bundesgebiet.
Die parallel zu ihnen abgehaltenen Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus zeichneten ein anderes Bild vom Rückhalt der Parteien bei den Wählern, wobei hier das Vergleichsjahr nicht wie bei der Bundestagswahl 2017 war, sondern 2016. Bei den Abgeordnetenhauswahlen verlor die SPD minimal, die CDU verzeichnete leichte Stimmenzuwächse und die Grünen gewannen drei Prozentpunkte. Die AfD verlor nahezu die Hälfte ihrer Wähler. Die Linke hielt sich mit einem Verlust von 1,6%-Punkten überraschend gut. Sie konnte den Absturz, den sie mit einem Verlust von sieben Prozentpunkten bei den Bundestagswahlen zu verzeichnen hatte, vermeiden.
Gründe für die relative Stabilität der Linken
Betrachtet man das Wahlergebnis der Linken zu den Abgeordnetenhauswahlen näher, so ist auffällig, dass sie vor allem in den östlichen Bezirken der Stadt stark verloren hat. Ihr Anteil in Marzahn-Hellersdorf ging um 5,6%-Punkte zurück, in Lichtenberg um 5,9, in Treptow-Köpenick um 4,0 und in Pankow um 2,9. Dagegen lagen ihre Verluste in den westlichen Stadtteilen unter 1%-Punkten. In Neukölln gewann sie sogar 0,8%-Punkte, in Tempelhof-Schöneberg 0,1.
Die Linke hat einen Teil ihrer traditionellen Wähler aus dem Osten der Stadt verloren, die ihr seit dem Anschluss der DDR die Treue gehalten hatten. Gerade in Berlin, der Hauptstadt der DDR, gab es viele, die Funktionäre der SED wie der ihr nahestehenden Massenorganisationen waren, zentrale Positionen im Staatsapparat, im diplomatischen Dienst oder in den Sicherheitsorganen innehatten. Sie wurden nach 1990 entlassen und fanden nur schwer eine Arbeitsstelle.
Eine Reihe von ihnen ist mittlerweile verstorben. Einige dürften sich mit den neuen Verhältnissen arrangiert haben und nunmehr andere Parteien bevorzugen. Für diejenigen aus dem Ostteil der Stadt, die weiterhin die Linke wählen, bilden ihre Erfahrungen aus den Zeiten der DDR nicht mehr den alleinigen Maßstab für ihre Wahlentscheidung. Ihre Motive ähneln mittlerweile denen der Wähler der Partei aus dem Westteil Berlins.
In den westlichen Stadtbezirken lässt sich die relative Stabilität der Linken im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückführen. Einmal ihr Engagement im Wohnungssektor, speziell ihr Eintreten für einen Mietendeckel und ihre Unterstützung für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen enteignen!«. Zum anderen ihr Einsatz für die Beschäftigten in den prekären Arbeitssektoren der Stadt und hier besonders für die Lohnabhängigen in den senatseigenen Unternehmen.
So gelang es ihr, den Mindestlohn für die vom Senat vergebenen Aufträge und damit für alle Unternehmen des Senats in Etappen auf 12,50 Euro anzuheben. Nach jahrelangen Kämpfen der jeweils betroffenen Belegschaften setzte sie durch, dass die Ausgliederung der CFM (Charité Facility Management) wie der CPPZ (Charité Physiotherapie und Präventionszentrum GmbH) aus dem Klinikum Charité und des Botanischen Gartens aus der Freien Universität rückgängig gemacht wurde. Die Beschäftigten der CPPZ und des Botanischen Gartens erhalten sogar wieder den TVÖD der Länder. Ganz gelang dies bei den Töchtern der städtischen Kliniken Vivantes und Charité nicht, doch immerhin konnten bei ihnen Tarifverträge zu Entgelten und manteltarifvertragliche Regelungen abgeschlossen werden, die in der Struktur denen des TVÖD ähnlich sind und materiell etwa 90-95% von deren Leistungen sichern. Ohne die Unterstützung der Linken wäre es auch für die Krankenhausbeschäftigten schwieriger gewesen, bei beiden städtischen Kliniken die Tarifverträge »Entlastung« durchzusetzen.
Einige dieser Ziele waren bereits in der Koalitionsvereinbarung 2016 grob beschrieben worden, doch stieß deren Umsetzung im Senat, den beteiligten Verwaltungen sowie den betroffenen Unternehmen und Institutionen auf energischen Widerstand. Erst nach monatelangen, erbitterten Auseinandersetzungen konnten die Beschäftigten ihre Forderungen umsetzen. Bei all diesen Kämpfen stand die Linke an der Seite der Kolleg:innen. Vielleicht hier und da nicht energisch genug, doch knickte sie nie ein. Diese Haltung machte auf die Lohnabhängigen wie auf die in der Stadt politisch aktiven Kräfte Eindruck und verschaffte der Partei sogar in den Gewerkschaften Anerkennung.
Doch ist die Bilanz der Linken nach fünf Jahren Koalition in den für die lohnabhängig Beschäftigten wichtigen Fragen nicht ungetrübt. Sie akzeptierte nahezu
widerstandslos die von den Grünen geforderte Ausschreibung der S-Bahn Linien[1] und die Vergabe des Schulneubaus an die mit privaten Bauträgern zusammenarbeitende städtische Wohnungsbaugesellschaft HOWEGE.
Die Koalitionsverhandlungen
Mit dem relativ guten Wahlergebnis im Rücken hätte die Linke mit einigem Selbstbewusstsein in die Sondierungs- und folgend in die Koalitionsverhandlungen gehen können, zumal die SPD in Berlin nicht gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen war. Mit den Berliner Grünen, die im Spektrum der Bundespartei auf dem linken Flügel angesiedelt sind, hätte es kaum Probleme gegeben. Eine Vielzahl ihrer Wähler leidet unter den prekären Beschäftigungsverhältnissen, die sich gerade bei jungen ›innovativen‹ Unternehmen durchgesetzt haben, dem Lohndumping, den explodierenden Mieten wie dem Fehlen von Wohnraum. Sie sind offen für eine Stadtpolitik, die sich wie bei der Linken von sozialstaatlichen Vorstellungen leiten lässt. Im Gegenzug war die Linke wie schon in den letzten Jahren bereit, die ökologischen Vorhaben der Grünen im Bereich Energie und städtische Mobilität zu unterstützen.
Doch die SPD machte diese Überlegungen der Linken zunichte. Sie konnte schon bei den Sondierungsverhandlungen zentrale Themen ihrer Agenda platzieren, weil ihre Spitzenkandidatin, die Ex-Doktorin Franziska Giffey, zunächst eine Koalition mit den Grünen und der FDP bilden wollte. Da aber die Grünen dies ablehnten und erhebliche Teile der SPD für eine Fortsetzung der Koalition der letzten fünf Jahre eintraten, sah sie sich genötigt, die von ihr gehasste Linke mit ins Boot zu nehmen. Sie setzte aber durch, dass die Linke keines ihrer zentralen Wahlversprechen im Koalitionsvertrag unterbringen konnte und schließlich bei der Postenbesetzung im Senat auch ins Hintertreffen geriet.
Ein Katalog unverbindlicher Absichtserklärungen
Schaut man sich den Koalitionsvertrag näher an, so zeichnet er sich durch seine blumige Sprache aus. Nur wenige Vorhaben der nächsten Jahre werden inhaltlich präzis bestimmt. Es fehlt häufig ein Datum, bis zu dem sie verwirklicht werden sollen.
Ganz besonders trifft dies auf die Vereinbarungen zu, die für die Beschäftigten der Stadt von Bedeutung sind. Sie finden sich im Koalitionsvertrag unter der Kapitel-überschrift »Arbeit«.
Die guten Ansätze der Koalitionsvereinbarung von 2016 zu diesem Thema werden zwar in dem neuen Koalitionsvertrag nicht in Frage gestellt, doch sie werden auch nicht weiterentwickelt.
Verbindliche Aussagen gibt es nur wenige. Zu ihnen gehört die Zusage, auch zukünftig bei Neueinstellungen in den Unternehmen des Landes auf sachgrundlose Befristungen zu verzichten, und das Versprechen, keine Ausgründungen zum Zwecke der Tarifflucht aus den Unternehmen des Landes vornehmen zu wollen.
Bekenntnisse zu schönen Grundsätzen gibt es dagegen viele. Dazu gehört z. B. die Aussage, dass der »Missbrauch bei Kettenbefristungen einzudämmen« ist. Doch was das für die Vergaberichtlinien des Senats oder für die Arbeitsverträge an den Universitäten und der Rundfunkanstalt Berlin Brandenburg[2] bedeutet, wird nicht erläutert.
Eine klare Aussage zum Arbeitsverbot an Sonntagen fehlt. Mit Zustimmung der Linken haben die Geschäfte in Berlin schon seit Jahren an mehreren Sonntagen im Jahr geöffnet, angeblich um Messekunden Einkaufsmöglichkeiten zu bieten. Obwohl die Frage der Sonntagsarbeit bereits im Arbeitszeitgesetz klar geregelt ist, will der Senat »die bestehenden Regelungen zur Sonntagsöffnung rechtssicher gestalten«, also Öffnungen weiter erlauben.
Ebenfalls bleibt die Aussage: »Für uns gilt das Prinzip ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘, auch im Sinne einer schrittweisen Angleichung des Tarifniveaus von Tochterunternehmen landeseigener Unternehmen oder anderer Landesbeteiligungen an das Tarifniveau ihrer jeweiligen Mutterunternehmen«, schwammig. Weder lässt sich daraus ablesen, dass dies in der aktuellen Legislaturperiode geschehen soll, noch dass für die Töchter die Integration in den TVÖD, die mit der Bewegung 2021 nicht gelang, in den nächsten vier Jahren erfolgen wird. Wenn es überhaupt eine Annäherung an die Bezahlung nach TVÖD geben wird, dann in einem Haustarifvertrag.
Interessant ist, dass sich die Koalitionsvereinbarung lediglich auf den Lohn bezieht, nicht aber auf die sonstigen tariflichen Leistungen. So mussten die Beschäftigten der Töchter von Vivantes in der Auseinandersetzung 2021 akzeptieren, dass die Klinikleitungen sich kategorisch weigerten, auch für sie die VBL, die Zusatzrentenversicherung für die tariflich Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, einzuführen. Bei steigernder Altersarmut könnten viele Beschäftigte in den unteren Tarifgruppen mithilfe der VBL vielleicht doch noch eine Gesamtrente bekommen, die sie von der Grundsicherung unabhängig macht.
Bei der Umsetzung der Lohnangleichung gab es schon in der letzten Legislaturperiode seitens der SPD erheblichen Widerstand. Trotz der Streiks der Krankenhausbewegung konnten etwa bei Labor Berlin, einem Tochterunternehmen der städtischen Krankenhäuser Vivantes und Charité, keine tariflichen Regelungen für die Entgelte und einen Manteltarifvertrag getroffen werden. In beiden Kliniken saßen im Aufsichtsrat Vertreter des Senats, die Mitglieder der SPD sind. Sie hätten über eine Gesellschafteranweisung beide Unternehmen zur Aufnahme von Tarifverhandlungen verpflichten können. Doch sie nahmen diese Möglichkeit nicht wahr. Bis heute gibt es deshalb für die Beschäftigten von Labor Berlin keine Tarifverhandlungen.
Unverbindlich bleibt eine Vielzahl weiterer Versprechungen wie etwa die, dass sich der Senat für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Soloselbständigen einsetzen wird. Was das im Einzelnen in Berlin heißen soll, wird nicht deutlich.
Gleichermaßen vage sind die Aussagen zur Plattform-Ökonomie. Hier wird dem Bund die Regelung dieser Arbeitsverhältnisse zugeschrieben bzw. die Festlegung des Status der Beschäftigten. Dass der Berliner Senat aber schon jetzt unabhängig von der noch zu treffenden Entscheidung der Bundesregierung Möglichkeiten hat, die Lage der Beschäftigten dieser Branche zu verbessern, wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. So sind die Behörden des Landes bereits jetzt in der Lage, die Pausenräume in den Betriebsstätten, den Brandschutz, die Sicherheit der Arbeitsmittel (Fahrräder z. B.) und die hygienischen Zustände der Sanitäranlagen auf die Einhaltung gesetzlicher Standards zu prüfen. Diese Kontrollmöglichkeiten sind schon in den letzten Jahren, bis auf einige Fälle bei Gorillas[3], nicht erfolgt und sollen wohl auch künftig nur in Ausnahmefällen wahrgenommen werden.
Für die landeseigenen Unternehmen wie für die Vergabe von Senatsaufträgen wird im Koalitionsvertrag der Mindestlohn auf 13 Euro festgelegt. Damit erhöht er sich um 50 Cent gegenüber dem seit 2020 geltenden, also um 4%. Angesichts der aktuell galoppierenden Inflation ist dies noch nicht einmal ein Ausgleich für die Preissteigerungen der letzten beiden Jahre. Weitere Anhebungen soll es in der aktuellen Legislaturperiode geben, abhängig von der allgemeinen Lohnentwicklung.
Die Überführung der beiden Krankenhäuser in Unternehmen des öffentlichen Rechts will der Senat lediglich prüfen. Überlegungen zur Rekommunalisierung anderer Unternehmen des Öffentlichen Dienstes, wie etwa der BSR (Stadtreinigung), fehlen. An der in der letzten Legislaturperiode auf Druck der Grünen beschlossenen Ausschreibung von Teilen der S-Bahn wird festgehalten. Sollten private Unternehmen den Zuschlag bekommen, werden sich für die betroffenen Beschäftigten nach einer Übergangsfrist auch die Tarifstandards ändern.
Mit der Entscheidung, in Berlin eine Sonderstaatsanwaltschaft einzurichten, die Verstöße bei Betriebsratsgründungen verfolgt und Behinderungen der Betriebsratsarbeit sanktioniert, folgt der Senat nur den Koalitionsbeschlüssen im Bund. Zukünftig sollen Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz nicht mehr als Antrags- sondern als Offizialdelikte behandelt werden.
Einfluss der Linken nicht erkennbar
Die Linke ist die einzige Partei, die sich in Parteitagsbeschlüssen und öffentlichen Erklärungen gegen die Senkung sozialer Standards und den Abbau von Arbeitnehmerrechten durch die Agenda 2010 gestellt hat. Sie hat in ihren programmatischen Erklärungen immer wieder gefordert, diese Entscheidungen rückgängig zu machen. Schaut man sich an, was sie davon im Berliner Koalitionsvertrag umgesetzt hat, so ist außer luftigen Bekenntnissen nicht viel zu finden.
Für die Lohnabhängigen wird es von Seiten des Senats in den kommenden Jahren keine substantiellen Veränderungen ihrer Lage geben. Wollen sie diese verbessern, müssen sie selber betrieblich wie gewerkschaftlich aktiv werden und Bündnisse mit den ihnen verbundenen politischen Kräften wie gesellschaftlichen Organisationen schließen.
Die Linke hat in den aktuellen Koalitionsvereinbarungen die Positionen nicht weiterentwickelt, die sie in der letzten Legislaturperiode relativ stark gemacht hatten. Mut macht immerhin, dass sich bei der parteiinternen Abstimmung über den Koalitionsvertrag Mitte Dezember ein Viertel der Mitglieder gegen diesen Kurs ausgesprochen hat.
H.B., 28.12.2021
[1] Vgl. Arpo 3-4’20
[3] Vgl. Arpo 5-6’21, S. 16f. und Arpo 1’22
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