„Das Letzte, was wir brauchen, ist eine weitere Aufrüstung!“

aus Betrieb & Gewerkschaft

Betriebsversammlung bei VW in Braunschweig

Etwa 2.200 Beschäftigte versammelten sich am 10. März 2022 im Braunschweiger „Eintracht-Stadion“ zur Betriebsversammlung. Vier Redner*innen wandten sich gegen eine weitere Aufrüstung und für eine Befriedung der Außenpolitik. Der internationale Klassenstandpunkt (Liebknecht usw.) wurde angesprochen. Der VK-Leiter und die erste Bevollmächtigte der IG Metall haben das ganze abgerundet, indem sie mit ihrer Sicht der Dinge die Aufrüstung scharf kritisiert haben. In seiner Rede, die wir hier dokumentieren, griff Lars Hirsekorn auf die Erfahrungen eines Bildungsurlaubs in Odessa 2016 zurück. Es gab danach guten Applaus, keine stehenden Ovationen, aber Zuspruch. Das Wichtige war in vielen persönlichen Gesprächen, dass sogar viele alte Sozialdemokrat*innen, sehr schockiert über die Aufrüstungsdebatte sind und unbedingt etwas tun wollen. Die Gefahr eines neuen Weltkrieges wird durchaus gesehen und es gab viele Stimmen, die sich darüber bewusst waren, das uns die nächste Aufrüstungswelle dem nur näher bringt.

„Guten Morgen liebe Kolleginnen und Kollegen.

Eigentlich wollte ich noch etwas Wahlwerbung für die IG Metall machen und von meinem Bildungsurlaubsseminar in der letzte Woche berichten. Und zur Situation in der Kostenstelle seit der letzten Betriebsversammlung wollte ich auch noch was sagen, aber, 5 Minuten, da gibt es die Konzentration aufs wesentliche.

 Bildungsurlaub

Beim Bildungsurlaub entsteht immer der Streit, ob es nun mehr Bildung oder mehr Urlaub ist. Für mich bedeutet die Kombination von Bildung und Urlaub eigentlich immer Horizonterweiterung. Auch wenn einige wohl der Meinung sind, ich wäre eher engstirnig, so erweitere ich doch sehr gerne meinen Horizont.

2016 wollte ich eigentlich nach Istanbul fahren, um über die politische Situation in der Türkei zu diskutieren. Doch kurz vor der Reise kam dann der Putschversuch. In der darauf folgenden Repressionswelle verschwanden alle unsere geplanten Gesprächspartner entweder im Knast oder sind geflohen.
Etwas ziellos habe ich mich entschieden, stattdessen nach Odessa zu fahren. So ging es im September 2016, mit dem Reiseveranstalter „Ex oriente Lux“ zur Perle am Schwarzen Meer. Da ich mich davor nur am Rande mit der Situation in der Ukraine auseinandergesetzt habe, bin ich also in den Buchladen, habe mir 10 Bücher gekauft und fleißig gelesen.

Ihr könnt euch nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie froh ich heute bin, dass ich es mir auch hier leisten konnte, vor ein paar Jahren meinen Horizont zu erweitern.
Auch wenn ich immer noch etwas ratlos vor euch stehe, so hilft mir diese Reise doch unheimlich, Nachrichten einzuordnen.
„Ex oriente Lux“ ist Spezialist für Ost-Europareisen und steht dabei den sogenannten Farbenrevolutionen eher positiv gegenüber. Entsprechend waren auch die Leute drauf, mit denen wir uns vor Ort getroffen haben.
Auch wenn ich vorher schon in einigen Büchern gelesen habe, welchen großen Einfluss die ukrainischen Nationalisten bei den Maidan-Unruhen hatten, war ich doch von dem nationalen Größenwahn unserer Gesprächspartner ehrlich überrascht. Schließlich war ja davon auszugehen, das das gemäßigte Leute waren, mit denen wir uns da trafen. Zu einer friedlichen Verhandlungslösung zum Beispiel im Bezug auf Luhansk und Donezk gab es keinerlei Bereitschaft. Im Gegenteil. Lediglich bedingungslose Kapitulation wurde als Alternative zu einer militärischen Lösung gesehen. Dabei wurde dann auch mehrfach Unverständnis darüber geäußert, warum die Ukraine von Deutschland und der EU nicht endlich Waffen bekäme, um die abtrünnigen Gebiete zu erobern. Auf meine Anmerkung, dass die faschistischen Bataillone innerhalb der ukrainischen Armee absolut inakzeptabel seien, gab es ihrerseits nur die Antwort, das seien die Helden der Ukraine und über jegliche Kritik erhaben.

Wie unsere Gesprächspartner, hat auch die Regierung der Ukraine jegliche Deeskalation abgelehnt. Das Minsker Abkommen wurde von Kiew nie umgesetzt und die Politik der letzten Jahre war nur auf Revanche ausgerichtet. Am Freitag haben die USA öffentlich gemacht, das sie allein in 2021 Waffen für über eine Milliarde Dollar an die Ukraine geliefert haben.

Zudem werden faschistische Kriegsverbrecher aus dem 2. Weltkrieg als nationale Ikonen stilisiert.
Die Ukraine ist ein tief zerrissenes Land und die Bundesregierung sollte sofort darauf drängen, dass alle das Land verlassen dürfen, die diesen Krieg nicht mitmachen wollen.

 Die Deserteure, das sind die Helden dieses Krieges!

 Damit will ich in keiner Art und Weise den Angriff Russlands rechtfertigen. Tatsächlich muss ich gestehen, dass ich der russischen Regierung mehr Verstand zugetraut habe. So einen Krieg anzufangen, zeugt von absolutem Größenwahn und einer „nach uns die Sinnflut“-Einstellung gegenüber der gesamten Menschheit.

Menschlich eine Tragödie, politisch eine Katastrophe, ökologischer Wahnsinn.

 Ich schildere meine Erfahrungen, um zu verdeutlichen, dass hier keine Waffen helfen.

Dieser Krieg muss gestoppt werden und zwar schnell.

 Diplomatie ist das Gebot der Stunde!

 Dazu bedarf es einer weltweiten Initiative für eine sofortige Befriedung der Politik.

Jede weitere Bewaffnung wird uns nur weiter an den Abgrund führen.

Jede aggressive Wirtschaftspolitikpolitik, wie die der USA, die auf das Plattmachen anderer Staaten abzielt, gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Wenn Kanzler Scholz jetzt 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgeben will, dann geht das völlig in die falsche Richtung. Die jährlichen Militärausgaben der NATO Staaten sind jetzt schon vier mal so hoch wie die von China und Russland zusammen.

Auch die Nato-Staaten haben seit Jahren das Völkerrecht und die Vereinten Nationen mit Füßen getreten. Sie haben den Irak und Syrien in Schutt und Asche gelegt, Libyen zerstört und mit deutschen Waffen wird der momentan verheerendste Krieg auf dieser Welt, im Jemen, geführt.

Diese Kriege sind nicht zu gewinnen.

 Die Klimakrise wird uns in den nächsten Jahrzehnten alles abverlangen, da ist das Letzte, was wir brauchen, eine weitere Aufrüstung.                              

 Die Waffen nieder, und zwar alle!“


aus Arbeiterpolitik Nr. 3 / 2022

2 Kommentare

  1. Danke für diesen Artikel!!!
    Bei der allgemeinen Antirusslandhaltung wagt man gar nicht mehr,auf diese Geschichte hinzuweisen, und das Natomitglied Türkei kann weiter ungestört Rojawa angreifen.

  2. Meine Sympathie gilt nicht Russland, meine Sympathie gilt nicht der Nato. Meine Sympathie gilt aber den Ukrainern, die ihr Selbstbestimmungsrecht verteidigen:
    ​„Solange ein lebensfähiges Volk von einem auswärtigen Eroberer gefesselt ist, wendet es alle seine Kraft, alle seine Anstrengungen, alle seine Energien notwendig gegen den äußeren Feind; solange bleibt also sein inneres Leben paralysiert, solange bleibt es unfähig, für die soziale Emanzipation zu arbeiten.“ K. Marx, Über Polen, MEW 18, 574.

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