Gewerkschaften und Klimaschutzbewegung – erste Ansätze einer notwendigen Zusammenarbeit?

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Menschengemachter Klimawandel ist als Tatsache mittlerweile in der Öffentlichkeit, also Wissenschaft, Publizistik, Politik und weiten Teilen der Bevölkerung anerkannt. Eine Tageszeitung wie die Frankfurter Rundschau etwa bringt jeden Tag eine „Klimaseite“ zu vielen Themen rund um das Klima und die offizielle Klimapolitik. Das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad, „idealerweise“ 1,5 Grad vor der vorindustriellen Zeit ist allgemein bekannt und als grobe Orientierung akzeptiert. Alle Staaten der Erde (wohl mit Ausnahme Syriens und kurzzeitig der USA: Kündigung unter Trump, von Biden wieder zurückgenommen) erkennen es an. Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) veröffentlicht regelmäßig Sachstandsberichte zum Klimawandel. Es gibt staatliche Umsetzungskonzepte wie „Inflation Reduction Act“ in den USA oder „European Green Deal“ der EU, in Deutschland den heiß umstrittenen Entwurf zum Gebäudeenergiegesetz, in der linken Diskussion Vorschläge wie „Green New Deal“ (Grüner Kapitalismus), Ökosozialismus oder „Degrowth“ (Wachstumskritik) und vieles mehr. Zunehmend etabliert sich in linken politikwissenschaftlichen Debatten der Begriff „sozial-ökologische Transformation“, unter dem die ökologische mit der sozialen Frage verbunden werden soll, damit nicht die einkommensschwachen Schichten und Regionen am meisten belastet, sondern nach Möglichkeit entlastet werden, um ihre Akzeptanz zu erreichen. Aber wie sieht es im Alltag aus?

Da gibt es zum einen die Politik der Staaten: Der Weltklimarat kritisiert in seinen regelmäßigen Berichten immer wieder den Rückstand zu den offiziellen Verlautbarungen, so etwa im März 2023. Deutlich wie nie zuvor wird hier vor dem Klimawandel gewarnt und werden drastische Maßnahmen gefordert, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Die 1,5-Grad-Grenze werde schon im nächsten Jahrzehnt überschritten. Der Klimawandel schreite schneller voran und seine Folgen seien verheerender als lange Zeit gedacht. Zum anderen sind die Folgen für den Lebensstandard der Menschen sehr unterschiedlich. Hier zeigt sich die „Klimakrise als Klassenfrage“ (so der Bericht in ver.di-Publik 3/2023 zu einer Tagung von Gewerkschafts- und Klimaaktivist:innen in Wien im April 2023).

 

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Ökologische und soziale Fragen

Lohnabhängige mit durchschnittlichen bis geringen Löhnen, Rentner:innen mit schmalen Altersbezügen, Erwerbslose, Studierende, zur Miete Wohnende usw. müssen fürchten, dass im normalen kapitalistischen Wirtschaftsgeschehen die Kosten und andere Nachteile letztlich bei den Endverbrauchern hängen bleiben, also die ökonomisch Schwächsten relativ am stärksten belasten. Wir greifen beispielhaft einige Bereiche heraus, deren Rahmenbedingungen im einzelnen sehr unterschiedlich sind:

  1. Verkehr: Die Probleme sind vielfältig. Jahr für Jahr werden in der EU 35000 Menschen im Straßenverkehr getötet. Der Flächenverbrauch für Autos ist viermal höher als für öffentliche Verkehrsmittel (Bahn, Bus, Straßenbahn). Elektroautos haben kaum eine bessere Emissionsbilanz als Verbrennerautos, weil für sie in der Herstellung und im Stromantrieb klimaschädliche Stoffe und Produktionsverfahren angewendet werden müssen und sie im Betrieb die Straßen genauso vollstopfen wie bisher. Viele Beschäftigte, vor allem auf dem Land lebende, sind aber auf das Auto angewiesen, andere wollen grundsätzlich Mobilität in ihrer Lebensführung nicht missen. Es besteht also die Notwendigkeit einer Alternative zum Individualverkehr. Sie kann nur im Ausbau des öffentlichen Verkehrs (nah und fern) gesehen werden. Dies erfordert viel Zeit, Planung, Ressourcen, Umbau und vor allem politischen Willen und Kraft, auch gegen das Interesse der gerade in Deutschland so mächtigen Autoindustrie anzugehen (man sehe sich im Vergleich dazu das gut funktionierende Bahnsystem in der Schweiz an, die keine heimische Autoindustrie hat). Die Aufgabe der Transformation des Individualverkehrs in öffentlichen Verkehr hat also eine gewaltige Dimension.
  2. Energieversorgung: Dieser weite Bereich, der die Industrieproduktion und andere Wirtschaftsbereiche ebenso umfasst wie die Versorgung der Privatwohnungen, ist von großen Veränderungen betroffen. Der Klimawandel erzwingt eine Umstellung von fossilen Brennstoffen, die historisch für den Aufstieg des Industriekapitalismus von entscheidender Bedeutung waren, auf andere Energieträger. Das bedeutet eine Abkehr vom bisherigen Bezug vergleichsweise billiger Brennstoffe (Gas und ÖL) aus Russland, auf dem das deutsche Wirtschaftsmodell ganz wesentlich beruhte. Der Wirtschaftskrieg gegen dieses Land beschleunigt diese Entwicklung, führt aber auch zu absurden, für den vorgeblichen Klimaschutz kontraproduktiven Entscheidungen wie der Einrichtung von LNG-Terminals zum Bezug teuren US-amerikanischen Flüssiggases. Das Gebäudeenergiegesetz des grünen Wirtschafts- und Klimaministeriums macht vielen Menschen Angst, von den Kosten überfordert zu werden (bis hin zur Obdachlosigkeit). Eine Wärmepumpe kostet 14000 bis 18000 Euro, und damit ist es nicht getan. Um ihre Wirksamkeit zu garantieren, muss das Haus gut gedämmt sein (bzw. werden). Das kann in Häusern des Altbestandes zu Kosten führen, die bis in einen sechsstelligen Betrag gehen (vgl. Jens Berger: „Ein Land im Wärmepumpenwahn“ bei nachdenkseiten.de). Wer soll das bezahlen? Wieviel Zuschussförderung gibt es dafür und für wen? Was kommt auf die Mieter:innen zu?
  3. Arbeitsplätze: Ebenso besteht die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Hier wird der notwendig zu ziehende Zusammenhang von ökologischer Transformation, Konversion in der Produktion und Sicherung des sozialen Besitzstandes der Lohnabhängigen in dieser Umbruchszeit besonders deutlich. Hier haben die Gewerkschaften ihre besondere Aufgabe, die Interessen der arbeitenden und von Erwerbslosigkeit bedrohten Menschen zu sichern. Im Rahmen dieses Artikels können wir nur Beispiele ansprechen, nicht die Dimension insgesamt deutlich machen, die in der Zukunft ohnehin vom realen Verlauf der Planungen, Umsetzungen und Klassenkämpfe in den verschiedenen Branchen und Konfliktfeldern abhängig ist. So wird in der Autoindustrie und ihren Zulieferern mit einer wesentlich geringeren Produktionstiefe beim Elektromotor im Vergleich zum Verbrenner gerechnet. Dies wird zum Thema gewerkschaftlicher Konversionsstrategien werden müssen. Hier hat es einen bemerkenswerten Kampf in einem Bosch-Werk in München gegeben, in welchem es zu einem Bündnis mit Klimaschutzaktiven kam. Der Kern der Forderungen war dabei die nach Umstellung der Produktion nach ökologischen Gesichtspunkten. Eine diesbezügliche Petition wurde von der Mehrheit der Belegschaft unterzeichnet. Eine „abstrakte Offenheit für die Idee einer Konversion“ sei durchaus vorhanden gewesen (Prokla 210 S. 45). Auch von Verstaatlichung sei die Rede gewesen (allerdings als eher unrealistisch angesehen). Im Mai 2022 sei es zu einer Einigung gekommen, die zwar nicht die von der Werksleitung geplante Verlagerung von Produktion nach Tschechien verhinderte, aber den Standort als „Service- und Entwicklungsort“ erhalten habe.

Ähnlich sieht es im Braunkohletagebau aus. Es ist aus mehreren Gründen unumgänglich, dass er geschlossen wird: ökologisch, weil unter dem Stichwort der Dekarbonisierung Erzeugung und Einsatz von Energie so zu organisieren sind, dass dabei kein CO² in die Umwelt gelangt; wirtschaftlich, weil fossile Brennstoffe jetzt schon, vor allem aber in Zukunft immer teurer werden; materiell, weil sie irgendwann weitgehend erschöpft sein werden. Am 3. Juli 2020 beschlossen Bundestag und Bundesrat das sogenannte Kohleausstiegsgesetz (auf das wir hier nicht im einzelnen eingehen können). Die Perspektive eines „Ausstiegs“ bis spätestens 2038 ist weiter in der politischen Auseinandersetzung. Davon dürften im Braunkohletagebau etwa 20000 Beschäftigte betroffen sein, also eine überschaubare Zahl (von denen ca. 3000 über Frühverrentung ausscheiden könnten). Die jüngeren unter ihnen, die ihr Erwerbsleben zu einem beträchtlichen Teil noch vor sich haben, müssen aber abgesichert werden (einer von ver.di in Auftrag gegebenen Studie von 2016 zufolge würde das für jeden pro Jahr etwa 68000 Euro kosten). Da hiervon im Schwerpunkt einige Regionen in der Lausitz, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen betroffen sind, hat das für den Lebenszusammenhang der Menschen dort eine gravierende Bedeutung. Es kann jedoch nicht darum gehen, „um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen„, der in einer aus ökologischen wie ökonomischen Gründen absehbar untergehenden Branche besteht, sondern den Menschen eine Perspektive zum Kampf um ihre Interessen, damit auch ihre Wahrnehmung als Subjekte ihres Lebens und zur positiven Veränderung der Gesellschaft zu eröffnen.

Zum öffentlichen Nahverkehr kommen wir weiter unten. An diesem Beispiel kann gezeigt werden, welche Interessenverbindungen zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung hergestellt und wie sie in Aktionen umgesetzt werden können. Bei der Kampagne „Wir fahren zusammen“ von ver.di und Fridays for Future geht es nicht nur um einzelne Betriebe, sondern um eine ganze Branche und um gesellschaftspolitische Forderungen in einer Tarifrunde.

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Klimakrise und Klassenfrage

Wenn wir die Frage klären wollen, wie die Problematik des Klimawandels und überhaupt ökologische Themen vom Klassenstandpunkt her zu beurteilen sind, ist – von den oben gegebenen Beispielen abgesehen – ein grundsätzlicher Rückgriff auf Marx nützlich. Hierzu ist vor einigen Jahren eine wissenschaftliche Arbeit erschienen: Kohei Saito, Natur gegen Kapital. Marx‘ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus, Frankfurt/ New York 2016 (s. unsere Buchbesprechung in Arbeiterpolitik 5/6 2018). Diese Studie widerlegt gründlich den von Kritiker:innen des Marxismus häufig geäußerten Vorwurf, dass Marx in seinen Schriften einen unerschütterlichen Fortschrittsglauben predige, der sich darauf stütze, dass mit menschlicher Technik die Natur vollkommen beherrschbar sei, wenn nur erst die kapitalistische Gesellschaft revolutionär überwunden und die Profitlogik mit ihr verschwunden sei. Er habe wegen dieses „Produktivkraft-Fetischs“ zu Erkenntnissen über Ökologie und Umweltfragen nichts beigetragen und dazu nichts Schriftliches hinterlassen. Damit räumt Saito auf, indem er den Bogen weiter spannt und auch bisher unveröffentlichte Texte von Marx in seine Untersuchungen einbezieht.

Marx hat tatsächlich zu ökologischen Fragen wenig veröffentlicht: von einigen Stellen im ersten Band des „Kapital“ abgesehen im dritten Band den sechsten Abschnitt zu Grundrente und ihren abgeleiteten Formen, also zu Fragen der Landwirtschaft. Hierzu ist zu bemerken, dass der Industriekapitalismus im 19. Jahrhundert (Marx lebte 1818 – 1883) noch wenig entwickelt war, seine Umweltschäden – über lokal wirksame Verhältnisse hinaus – noch geringe Aufmerksamkeit erregten und man ihnen noch relativ leicht ausweichen konnte. Marx hätte also in seiner Zeit gar nicht genügend Anschauungsmaterial und zwingende Gründe gehabt, sich mit dem destruktiven Potenzial des Kapitalismus zu befassen, weil dieses Vorgehen weitgehend spekulativen Charakter gehabt hätte, was seine Sache nicht war.

Die Untersuchungen von Kohei Saito in den unveröffentlichten Texten (Manuskripte und Exzerpte) zeigen dagegen eine Entwicklung des Marx’schen Denkens und Erkenntnisfortschritte im Zeitverlauf in der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Forschungen seiner Zeit. „Marx produzierte ein Drittel seiner Exzerpte in den letzten zehn Jahren seines Lebens, wobei es in fast der Hälfte der Exzerpte um Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie, Botanik, Geologie, Mineralogie etc. geht (Saito, S. 17).“ Auf diese Weise zeigt sich, wie intensiv Marx sich mit dieser Thematik beschäftigte. Allerdings, so muss einschränkend gesagt werden, dachte Marx nicht von Anfang an „ökologisch“, sondern entwickelte seine Auffassung im Fortgang seiner Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Werken und Erkenntnissen. Durch die Rekonstruktion des Marx’schen Arbeitsprozesses entlang der naturwissenschaftlichen Exzerpte in diesem Buch wird – nach Auffassung Saitos, der wir uns in diesem Punkt anschließen – deutlich, wie in Marx’ Projekt die Ökologie stetig an Bedeutung gewann und er in der Konsequenz seine frühere optimistische Einschätzung des emanzipatorischen Potenzials des Kapitalismus (vgl. etwa die Position dazu im Kommunistischen Manifest von 1848) ganz bewusst korrigierte.

Aber schon im ersten Band des „Kapital“, herausgegeben 1867, steht der Satz, der allerspätestens in dieser unserer Gegenwart als Kernsatz Marx’scher Ökologie gelten muss: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter (Das Kapital, Bd. I., MEW 23, S. 529).“ Dieser Satz steht am Ende des längsten Kapitels, des 13. – „Maschinerie und große Industrie“ – im ersten Band des „Kapital“, schließt dieses ab und zieht das Resümee daraus. Er bezieht sich auf die Verwertungslogik, den Akkumulationszwang, den Expansionsdrang der kapitalistischen Produktionsweise, die auch mit grün gefärbten Methoden unausweichlich sind. Mit anderen Worten: Der Kapitalismus unserer Zeit erstickt an seiner Produktivität. Ökologische und soziale Fragen gehören zusammen, denn sie bestimmen über unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wer Umwelt- und Klimaprobleme lösen will, muss auch Klassenfragen einbeziehen. Die Lohnabhängigen müssen sich in ihrem Interesse dagegen wehren, dass die Klimakrise auf ihre Kosten bewältigt wird und das Kapital seine Verwertung auch unter sich verändernden Umständen weitertreiben kann. Soweit das in Kooperation mit einer an Klassenfragen interessierten Klimaschutzbewegung gelingt, ist damit auch Lebensfragen der Menschheit gedient.

Konversionsstrategien der Vergangenheit …

Der „menschengemachte“ Klimawandel ist ein kapitalistisch gemachter. In den Klimaschutzbewegungen ist aber die „Systemfrage“ bei weitem nicht abschließend geklärt, sondern umstritten. Gruppen wie „Ende Gelände“ und in letzter Zeit besonders die „Letzte Generation“ setzen auf spektakuläre Aktionen, mit denen sie immer weitere Teile der Bevölkerung und schließlich der bürgerlichen Politik aufzuwecken hoffen. Aktivist:innen aus solchen Kreisen weisen etwa auf Widersprüche zwischen dem Erhalt von Jobs und ökologischen Notwendigkeiten hin, für die sie keine befriedigenden Lösungen, daher offenbar kein Mobilisierungspotenzial sehen. In der mehr auf Masse zielenden Bewegung „Fridays for Future“ dagegen greift die Losung „System Change, not Climate Change!“ (Systemwechsel, nicht Klimawechsel!) um sich. Das ist die Erkenntnis, dass sich mehr ändern muss als politische und unternehmerische Strategien. Von hier ist der Weg nicht mehr weit, sich Gedanken darüber zu machen, wie und von wem grundlegende Veränderungen in der Produktion herbeigeführt werden müssen. Wer Autos baut, kann auch Busse, Straßenbahnen und vieles mehr fertigen.

Hierfür gibt es Vorbilder in der Vergangenheit, die unter dem Stichwort „Konversion“ eine Rolle spielten etwa im Organisationsbereich der IG Metall in den siebziger und achtziger Jahren des zwanzigsten  Jahrhunderts. Es begann in Großbritannien mit dem Luftfahrt- und Rüstungskonzern Lukas Aerospace. Produziert wurden komplexe Aggregate wie Düsentriebwerke und Bordcomputer  für Militärjets. Die Ankündigung von Massenentlassungen durch das Management beantwortete die Belegschaft zunächst mit der Forderung nach Verstaatlichung, dann – nachdem die Labour Party dies abgelehnt hatte – mit der Suche nach Lösungen durch Produktionsumstellung. Sie fragte bei Universitäten an, doch kaum eine half. Schließlich nahmen die Beschäftigten die Dinge selbst in die Hand. Arbeiter:innen und Ingenieur:innen entwickelten Prototypen ökologisch sinnvoller Produkte in den Bereichen Verkehr, Medizin und erneuerbare Energien. Letztlich scheiterte ihr Kampf an mangelnder Unterstützung in Politik und Gewerkschaften und damit auch am Widerstand der Unternehmensführung.

Aber das Vorgehen der Beschäftigten von Lukas Aerospace inspirierte weltweit Aktive in Betrieben und Gewerkschaften. In der IG Metall gründete sich 1981, ausgehend von Blohm & Voß Hamburg im Zuge der Werftenkrise, ein „Arbeitskreis Alternative Produktion„. Mit der weiteren Gründung von bis zu vierzig Arbeitskreisen setzte sich diese Entwicklung in den achtziger Jahren fort. Die Konversionsstrategie der siebziger/achtziger Jahre hatte einen Doppelcharakter: Zum einen war sie kapitalimmanent, weil sie die Grenzen, die das Privateigentum an Produktionsmitteln zieht, nicht überwinden konnte; zum anderen aber war sie tendenziell systemübergreifend, weil sie gebrauchswertorientiert war. Zudem hatte sie einen demokratischen Zug dadurch, dass sie die breite Mitwirkung der Belegschaft und die Unterstützung der Gewerkschaften erforderte.

… und Ansätze in der Gegenwart

Sie scheiterte jedoch langfristig an den gesellschaftlichen Machtstrukturen. So ergibt sich die Frage, wo wir heute stehen. Die Konversionsarbeitskreise der siebziger/achtziger Jahre zeigten Potenziale auf, aber sie sind nicht auf die heutigen Umstände eins zu eins übertragbar. Sie sind damals vor allem „von politisierten Kadern aus dem betrieblichen Vertrauenskörper initiiert worden, teilweise gegen bestehende Betriebsratsgremien durchgesetzt, vor allem aber erst im massiven Konflikt mit dem Kapital (Röttger, Rüstungskonversion und alternative Produktion, Vortrag 2017). Gesellschaftlich getragen wurden sie auch, soweit es um Rüstungskonversion ging, von der damaligen breiten Friedensbewegung. Diese Bedingungen – zu denen je nach Branche weitere zu nennen wären – aufzuführen bedeutet auch, ihr Fehlen in der heutigen Zeit festzustellen. Die Vielfachkrise des Kapitalismus in Ökonomie (Finanzkrise, Energiekrise, Wirtschaftskrieg gegen Russland), Ökologie (neben Klimakrise Verschmutzung des Grundwassers, Vermüllung der Meere, Artensterben, Migration aus diesen Gründen etc.) und gesellschaftliche Reproduktion (Zerfall der Infrastruktur in Verkehr, Gesundheit, Bildung) könnte Nahrung geben für eine oder mehrere gebrauchswertorientierte Bewegungen, die die derzeitige Produktions- und Lebensweise nachhaltiger in Frage stellen als die schwachen und zersplitterten Klimagruppen. Aber danach sieht es derzeit nicht aus: Linke Politisierung scheint heute viel geringer zu sein, die Rechte dagegen im Aufschwung.

Dennoch tut sich etwas. Ein Beispiel haben wir oben mit dem Bosch-Werk in München genannt. Eine ähnliche Situation besteht seit Juli 2021 in dem Werk des Autozulieferers GKN in Campi Bisenzio bei Florenz. Auch dort antwortete die Belegschaft auf Betriebsübergang und Massenkündigungen mit Besetzung des Werks und Versuch der Umstellung auf ökologische Produkte. Es wurde ein Fabrikkollektiv gebildet, das eine systematische Bündnispolitik verfolgt: Aufstellung eines Konversionsplans in Zusammenarbeit mit der Universität Pisa (z. B. mit „grünem“ Wasserstoff betriebene Busse), Solidaritätsstreiks der Metallgewerkschaft FIOM in der Region, gemeinsame Demonstrationen mit „Fridays for Future“ in Italien. Bisher jedoch scheint es nicht zum Erfolg zu führen. Die rasch aufeinander folgenden neuen Eigentümer -das Unternehmen Melrose Industries, das GKN Campi Bisenzio im Juni 2021 übernahm, und der italienische Industrielle Francesco Borgomeo, der den Betrieb im Dezember 2021 kaufte- blieben bisher hart, ebenso der italienische Staat, der eine geforderte Verstaatlichung des Werks ablehnt.

In Wolfsburg gibt es einen Arbeitskreis von Beschäftigten des VW-Werks und Klimabewegten unter der Bezeichnung „Amsel 44“. Sie deuten den Firmennamen neu: VW = „Verkehrswende“. Lars Hirsekorn vom Betriebsrat beantwortet die Frage, ob in Betriebsanlagen von VW auch Straßenbahnen gefertigt werden können, mit einem eindeutigen „Ja“. Vom 5. bis 13. Mai 2023 fand in der Wolfsburger Innenstadt ein Camp von VW-Beschäftigten und Klimabewegten statt. Zunehmend suchen Aktivist:innen den Kontakt zu in der Autoindustrie Arbeitenden und umgekehrt. Eine Massenerscheinung ist es jedoch noch nicht, und schwierig ist vor allem das Verhältnis zur IG Metall, die sich in der Klimafrage immer noch nicht zu bewegen scheint. Sie setzt vielmehr auf eine andere, nicht nachhaltige „Konversion“, den Elektromotor, mit dem sie den Profitinteressen der Autoindustrie entgegenzukommen hofft. Die Aktiven aus Wolfsburg und anderswo wissen daher, wie sehr es darauf ankommt, die Gewerkschaft in ihrer Gesamtheit zu erreichen.

ver.di und FfF: „Wir fahren zusammen“

An dieser Stelle ist ein weiteres Beispiel von Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und aktiven Gruppen der Klimaschutzbewegung zu nennen. Es handelt sich um ein noch zartes Pflänzchen, aber eins, das eine ganze Branche umfasst, nämlich den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). In der Tarifrunde ÖPNV von 2020 beabsichtigte ver.di, an Stelle der nur landesbezirksweiten TV-N (Tarifvertrag Nahverkehr) einen einheitlichen bundesweiten Manteltarifvertrag durchzusetzen. Im Vorfeld dieser Runde kam es zur bis dahin als unvorstellbar geltenden Kontaktaufnahme zwischen der Gewerkschaft und Teilen der Bewegung „Fridays for Future“ (FfF). Im Berufsleben stehende, im Durchschnitt um die 50 Jahre alte Männer und Frauen auf der einen, junge Klimaaktivist:innen, in der Mehrzahl Schüler:innen und Studierende, auf der anderen Seite fanden zusammen. Das Ergebnis war eben diese Kampagne: „#Wir fahren zusammen“.

Es ging um die Bedeutung des Verkehrs für die Klimaproblematik: In den letzten Jahrzehnten hat ausgerechnet dieser Sektor zur Reduzierung von CO²-Emissionen am wenigsten beigetragen, er war im Grunde auf dem Stand von 1990 stehen geblieben. Er muss also nachhaltig reduziert werden – bekanntlich gehen die Meinungen dazu weit auseinander, vom schlichten, aber ineffektiven Wechsel der Antriebskraft (Elektromotor) bis zur konsequenten Verringerung des Individualverkehrs. Der Verzicht auf das eigene Auto kann den Menschen jedoch begreiflicherweise nur zugemutet werden, wenn eine gut organisierte Alternative als öffentlicher Verkehr besteht. Dem gegenwärtigen ÖPNV aber geht es, von Seiten der Beschäftigten wie der Kunden gesehen, schlecht. Nach Jahren der Unterfinanzierung ist er durch schlecht bezahlte Arbeitsplätze, hohe Belastung durch Arbeitsverdichtung, Überstunden und Schichtarbeit, Personalmangel aufgrund dieser Bedingungen, schwache Infrastruktur vor allem in ländlichen Regionen gekennzeichnet, so dass er keine überzeugende Alternative zum Individualverkehr zu bieten vermag. Es geht also nicht um eine scheinbare individuelle Wahl, sondern um gesellschaftlich zu schaffende Rahmenbedingungen. Will man den Individualverkehr (aus klimapolitischen, aber auch anderen Gründen, etwa Sicherheit im Straßenverkehr) zurückdrängen, muss man den ÖPNV verbessern, und dazu gehören höhere Löhne und erträgliche Arbeitsbedingungen.

Diese Erkenntnis war die Grundlage für FfF, auf ver.di zuzugehen, und für die Bereitschaft der Gewerkschaft, sich darauf einzulassen. Es ging darum, nicht die soziale und die ökologische Frage gegeneinander auszuspielen (schon gar nicht vom kapitalistischen, aber auch nicht vom rein gewerkschaftlichen Standpunkt aus), sondern die Gemeinsamkeiten zu suchen: Fridays for Future haben Interesse an der Aufwertung des ÖPNV wegen Klimaschutz, Busfahrer:innen desgleichen wegen der Würdigung ihres Berufes, der Verbesserung ihrer Einkommen und Arbeitsbedingungen. Deshalb gingen FfF-Leute zu den Streikposten, um Kampfformen der Busfahrer:innen kennen zu lernen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und sie zu unterstützen. In der Tarifrunde 2020 ging das in ca. 30 Städten. In der letzten Tarifrunde von 2023 wurde die Zusammenarbeit noch ausgeweitet auf nunmehr ca. 40 Städte. Das große Ziel von ver.di in dieser Branche, den bundesweiten Manteltarifvertrag durchzusetzen, wurde zwar nicht erreicht, aber ein Anfang war gemacht, und in immerhin sieben von zehn Landesbezirken sind die Löhne der Busfahrer:innen des ÖPNV an die Lohnentwicklung im allgemeinen öffentlichen Dienst (TVöD) gekoppelt.

Als eigentlicher Erfolg der Kampagne in klimapolitischer Hinsicht gilt das Zustandekommen dieses neuartigen Bündnisses für sozialökologische Transformation zwischen einer Gewerkschaft und einer Klimaschutzbewegung. Die Bedingungen sind hier besser als in manchen anderen Wirtschaftsbereichen (wie etwa der Autoindustrie oder dem Braunkohletagebau), denn im ÖPNV geht es im Interesse des Klimaschutzes nicht um Abbau oder substanzielle Veränderung von Arbeitsplätzen, sondern um deren Verbesserung und Ausbau. Dennoch muss auch betont werden, dass es nicht im bloßen Selbstlauf zu gemeinsamer und einvernehmlicher Politisierung kommt. Die Bedingungen sind unterschiedlich in einer Großstadt wie Hamburg (gute Akzeptanz und Zusammenarbeit), einer ländlichen Region wie dem Münsterland (ambivalent) oder dem Einzugsbereich von Leipzig (sehr schwierig), wie eine Umfrage (Prokla 210, S.19) ergeben hat. Es kommt darauf an, in den gegebenen Verhältnissen die richtige Strategie auszuwählen, das Trennende zu überwinden und das Gemeinsame herauszufinden im Interesse der arbeitenden oder von Transfereinkommen lebenden Menschen, die keine großartigen Alternativen in der Wahl ihrer Lebensorte und -bedingungen haben.

  1. Mai 2023

Zur Repression gegen die „Letzte Generation“

Wir sehen den politischen Standpunkt und die Aktionsstrategie der Gruppe „Letzte Generation“ kritisch, weil sie letztlich von einem Vertrauen in das rechtsstaatliche und angeblich „klassenneutrale“ Verständnis des bürgerlichen Staates geprägt sind. Sie verfolgt das Ziel, durch Mittel des zivilen Ungehorsams Maßnahmen der deutschen Regierung und der anderer Länder wie Italien, Österreich etc. gegen die Klimakrise zu erzwingen. Dies gipfelt in reformistischen Forderungen wie der  Einhaltung der Pariser Klimaabkommens, der Gründung eines generationenübergreifenden Gesellschaftsrates etc. Dennoch muss die staatliche Repression gegen diese Gruppe schärfstens abgelehnt werden. Die politische Bedeutung dieser Maßnahmen (Verhaftungen, Durchsuchungen, Abschaltung der Website etc.) wird in einem Interview der Frankfurter Rundschau vom 25. Mai 2023 mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts für Kriminalwissenschaften der Frankfurter Goethe-Universität wie folgt umrissen: „Das Vorgehen wird aber verständlich, wenn man sich anguckt, was aus der Bejahung des Anfangsverdachts folgt: Möglich sind dann eben Durchsuchungen, aber auch noch viel eingriffsintensivere Ermittlungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Telekommunikationsüberwachung, auch wenn das erst noch richterlich angeordnet werden muss. Das Ganze hat ersichtlich den Zweck, die gesamte Organisationsstruktur von ‚Letzte Generation‘ zu durchleuchten.“ Letztlich geht es um Einschüchterung politischer Opposition. Bleibt noch anzumerken, dass es von Stand heute (25. Mai) zunächst nur um eine Aktion von Staatsanwaltschaft und Polizei geht, gegen die Mittel des bürgerlichen Rechtsstaates eingelegt werden können. Dies muss geschehen, um Rechte und Aktionsmöglichkeiten politischer Opposition in diesem Staat zu verteidigen.


Literatur (kleine Auswahl):

Autor*innenkollektiv CLIMATE.LABOUR.TURN, „Mein Pronomen ist Busfahrerin“ – Die gemeinsame Kampagne von FfF und ver.di zur Tarifrunde im Öffentlichen Nahverkehr 2020, Beispiel für ökologische Klassenpolitik, Broschüre 2021, bestellbar über Rosa-Luxemburg-Stiftung

Candeias/Krull (Hrsg.), Spurwechsel – Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion, Hamburg 2022

Canoglu/Ehlers/Pabst/Papenfuß (Hrsg.), Marxismus und die Klimakrise – Wie kann der Planet gerettet werden?, Berlin 2019

Dörre/Holzschuh/Köster/Sittel (Hrsg.), Abschied von Kohle und Auto? – Sozial-ökologische Transformationskonflikte um Energie und Mobilität, Frankfurt am Main 2020

Prokla Nr. 210, Sozial-ökologische Transformationskonflikte und linke Strategien, Berlin 2023

Röttger, Rüstungskonversion und alternative Produktion – Modelle für einen demokratisch-ökologischen Umbau der Automobilindustrie? Impulsvortrag im Gesprächskreis Zukunft der Automobilindustrie der Rosa Luxemburg Stiftung Niedersachsen, Wolfsburg 10. Februar 2017

Saito, Natur gegen Kapital – Marx‘ Ökonomie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus, Frankfurt am Main 2016


 

1 Kommentar

  1. Kritik zu Peter Frankopan, Zwischen Erde und Himmel
    Das Buch „Zwischen Erde und Himmel. Klima – eine Menschheitsgeschichte“ wird in den Medien als „faszinierendes Mammutwerk“ des „gefeierten britischen Globalhistorikers Peter Frankopan“ (hier: Südwestdeutscher Rundfunk, Abteilung Kultur am 26.62023) herumgereicht. Es handele sich um „fesselnd erzählte“ 1000 Seiten (reiner Text: 844, dazu Anmerkungen).
    Mein Urteil fällt vernichtend aus: Das Werk erscheint mir als eine belanglose Aneinanderreihung weltpolitischer Entwicklungen und hilflos bemühter Versuche, sie mit klimatischen Veränderungen in Zusammenhang zu bringen oder aber diese fallweise doch für irrelevant zu erklären. Abgesehen von dieser Chronologie hat das Buch keine Struktur und keine zentrale Aussage, die uns weiterbringt.
    Als oberflächliches, fatalistisches Fazit schreibt der Autor am Schluss des Textes auf Seite 844: „Recht behalten wird unterm Strich der britische Rechnungshof, der unlängst meinte, die Lösung des Klimaproblems sei ganz einfach: Am Ende werde nicht der Mensch, sondern die Natur die Nettoemissionen auf null bringen. Sie tut dies mit einer katastrophalen Entvölkerung, ob durch Hunger, Seuchen oder Krieg. Wenn dann weniger Menschen fossile Brennstoffe verfeuern, Wälder abholzen und Rohstoffe ausbeuten, wird der menschliche Fußabdruck drastisch schrumpfen, und wir kommen dem nachhaltigen Paradies unserer erträumten Vergangenheit näher. Vielleicht gelingt uns dies mit friedlichen Mitteln – ein Historiker würde allerdings nicht darauf wetten.“
    Das sagt eigentlich alles. Die kapitalistische Produktionsweise, Verwertungslogik und Profitwirtschaft kommen im gesamten Text nicht vor. Der Klimawandel, so weit „menschengemacht“, wird nicht als in unserer Epoche kapitalistisch gemachter erkannt. Es wird nicht argumentiert, dass der Kampf gegen die drohende, näher rückende Klimakatastrophe den Kampf gegen die kapitalistische Verwertungslogik und Produktionsweise, damit natürlich auch gegen das darauf beruhende, davon abhängige Konsummodell erfordert (samt all den Herausforderungen, die die entsprechende gesellschaftliche Umstrukturierung, die Übergangsmaßnahmen und politische Konzepte mit sich bringen). Man solle sich – laut Frankopan – in sein Schicksal ergeben, weil man zumindest erkannt habe, wie „Weltgeschichte“ verläuft.
    Ich meinerseits bekenne mich dazu, meine Zeit an das Lesen dieses Buches verschwendet zu haben, und nutze die Gelegenheit wenigstens, diese Erkenntnis weiterzugeben. Da ich das Buch hiermit verrissen habe, erübrigen sich bibliografische Angaben.

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