
„Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 7. November 2024, mit einem interfraktionellen Antrag für ein entschlossenes Handeln gegen Antisemitismus in Deutschland befasst. Die Vorlage von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP trägt den Titel „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ und wurde im Anschluss an die rund eineinhalbstündige Aussprache mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU/CSU und AfD gegen die Stimmen der Gruppe BSW und bei Enthaltung der Gruppe Die Linke angenommen.“
Mit dieser sachlichen Mitteilung informierte der Bundestag offiziell über die Annahme des Antrags. SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben ihn nicht als Gesetzesvorlage, sondern als Antrag zur Abstimmung stellen lassen. Dennoch dürfte er, angesichts der innenpolitisch erzeugten Pro-Israel-Stimmung, wirken als hätte er Gesetzeskraft. Denn kaum ein im Staatsdienst Beschäftigter wird es wagen, die darin enthaltenden Empfehlungen zu missachten und sich dem Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen. Das zeigt sich u.a. in der Kampagne gegen die Rektorin der Alice-Salomon-Hochschule (Berlin), Bettina Völter. Sie hatte sich geweigert die Polizei mit der Räumung besetzter Vorlesungsräume zu beauftragen. „Judenhasser im Hörsaal, doch Uni-Rektorin stellt sich gegen die Polizei“, unter dieser Überschrift forderte die BILD-Zeitung die Entlassung der als „antisemitisch“ gebrandmarkten Rektorin. Die Botschaft derartiger Kampagnen an die deutschen Staatsdiener ist eindeutig.
Einen Vorteil bietet das im Bundestag beschlossene Verfahren. Da es keine Gesetzeskraft hat, lässt sich dagegen nicht oder nur schwer klagen. Das erinnert an die polizeiliche Stürmung und Verhinderung des Palästina-Kongresses im April vorigen Jahres (12. – 14. 04. 2024). Ein Verbot des Kongresses wurde nie ausgesprochen, denn dagegen hätten die Organisatoren klagen können – höchstwahrscheinlich erfolgreich. So verhinderte polizeiliches Handeln, wie die Verhinderung der Einreise von ausländischen Kongressteilnehmern und Referenten, eine ordnungsgemäße Durchführung der Tagung. Der Klage des ehemaligen griechischen Finanzministers Varoufakis gegen sein damaliges Einreiseverbot einschließlich des Verbots politischer Betätigung wurde nach Monaten zwar stattgegeben, kann aber nachträglich nichts mehr ändern.
Der Antrag gegen Judenhass beruft sich auf die heftig umstrittene Definition von Antisemitismus der IHRA und zielt vor allem auf Aktivitäten zur Unterstützung des palästinensischen Widerstands. Deshalb fand auch die Kritik israelischer Wissenschaftler und Kunstschaffender an dieser Definition keinerlei Gehör; sie soll nicht Bestandteil der öffentlichen Debatte werden. „Der Bundestag bekräftige seinen Beschluss, sicherzustellen, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen, betonen die Fraktionen. […] Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Beschlüsse von Bundesregierung und Bundestag, die die Arbeitsdefinition der IHRA (Internationale Allianz zum Holocaustgedenken) von Antisemitismus als maßgeblich heranziehen. Die Regierung müsse nun dafür sorgen, dass diese Definition auch in Ländern und Kommunen zur Grundlage für entsprechende Regelungen werde. Außerdem schlagen die Abgeordneten vor, ein Betätigungsverbot oder Organisationsverbot der BDS-Bewegung, die zum Boykott israelischer Produkte aufruft, in Deutschland zu prüfen.“
Wer – ob als Einzelperson oder Initiative – nicht die Sichtweise des Bundestags-Beschlusses teilt, dem droht der Entzug von Räumlichkeiten und Fördergeldern. Immer häufiger ist die berufliche Existenz bedroht und gefährdet. In Berliner Kunst- und Sozialprojekten verloren schon zahlreiche Beschäftigte ihren Arbeitsplatz, weil sie nicht bereit waren, ein Bekenntnis zur deutschen Staatsräson abzugeben. Nun hat der Bundestag die Tür noch weiter geöffnet für die Verfolgung von Aktivitäten, die sich gegen die Expansion des israelischen Apartheidsystems richten und den palästinensischen Widerstand unterstützen.
In diesem Zusammenhang führt der Antrag (Drucksache 20/13627) weiter aus: „Dazu gehört es unter anderem, ‚Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen‘. Dies gilt in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht, um eine möglichst wirksame Bekämpfung von Antisemitismus zu gewährleisten.“ Neben den strafrechtlichen Drohungen vor allem gegenüber Eingewanderten aus moslemisch geprägten Gesellschaften soll Einfluss genommen werden vor allem auf dem Gebiet der Bildung. „Deshalb sind Schulen und Hochschulen darin zu unterstützen, weiterhin von ihren rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen oder entsprechende Möglichkeiten zu implementieren. Dazu gehören die Anwendung des Hausrechts, der Ausschluss vom Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen.“ Dies weckt Erinnerungen an die Blütezeit von Berufsverboten und Unvereinbarkeitsbeschlüssen in den 1970er Jahren. Wer in Verdacht stand, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, gehörte nicht in den Staatsdienst, der sollte nicht als Pädagoge Heranwachsende, Auszubildende oder Studierende indoktrinieren können.
„Der Deutsche Bundestag begrüßt im Übrigen das Verbot der Betätigung der Terrororganisation Hamas sowie des internationalen Netzwerks Samidoun durch die Bundesregierung. Nun müssen weitere extremistische Organisationen überprüft und, sofern möglich, verboten werden. […] Dazu zählt, dass auch ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot der BDS-Bewegung in Deutschland geprüft wird.“ Die bestehenden Verbote im restriktiven deutschen Vereinsrecht sollen also noch ausgeweitet werden, z.B. auf die Boykottbewegung gegen Israel. Das Agieren der staatstragenden Kräfte in der Bundesrepublik – von Parteien wie Gewerkschaften – ist wohl einmalig; nirgendwo in der EU wird ein Verbot der BDS-Bewegung erwogen. Die Zusammenarbeit und Unterstützung von BDS gehört dagegen in vielen europäischen Staaten zur alltäglichen Praxis von Gewerkschaften und linken Parteien.
Dass die Partei „Die Linke“ nicht gegen die Resolution gestimmt hat, dass sie einen palästinensischen Aktivisten ausgeschlossen hat, dass der EU-Abgeordnete und Ex- Vorsitzende Tschirdewan sich bei der Abstimmung über Waffenlieferungen enthalten hat, zeigt, wie sich Anpassungsstreben an „öffentliche Meinung“ und das Kriechen in Koalitionen mit bürgerlichen Parteien den Nur-Parlamentarismus stärkt und zur Übernahme von Positionen imperialistischer Bestrebungen führt. Wer hofft, dass eine derart durch Parlamentarismus aufgeweichte Partei sich im Parlament regeneriert, will den Teufel mit dem Bezlebub austreiben. Wer sie wählt, tut sich und uns keinen Gefallen.
Wahlentscheidungen sind ja für uns immer taktisch, wir wählen das kleinste Übel. Nachdem Wagenknecht sich nun aktiv an der Hetzkampagne gegen Asylsuchende beteiligt, die alle Migranten betrifft, wird mir jetzt wesentlich übler bei dem Gedanken, BSW zu wählen, als die Linke.