Wahlen in Italien angesichts von
Wirtschaftskrise und Rassismus

Italien wurde von den Auswirkungen der Finanzkrise mit am härtesten getroffen. Zwischen 2007 und 2014 sank die Industrieproduktion um 25 Prozent. Eine schwache wirtschaftliche Erholung ist erst seit 2015 festzustellen und beschränkt sich weitgehend auf den Norden des Landes. Doch noch 2017 lag das Bruttosozialprodukt 5,4 Prozent unter dem von 2007. In Deutschland ist das BSP im gleichen Zeitraum um 12 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosenrate liegt noch immer über elf Prozent, bei Jugendlichen sind es mehr als 31 Prozent. Süditalien gilt innerhalb der Euro- Staaten als die Region mit der höchsten Arbeitslosenquote. Das Pro-Kopf-Einkommen in Süditalien liegt bei 18.000 Euro jährlich, während es im Norden 34.000 Euro sind. 200.000 junge Menschen mit Hochschulabschluss haben den Mezzogiorno verlassen. Zwar wurden seit 2015 auch neue Arbeitsplätze geschaffen, das aber vor allem im Niedriglohnsektor und mit befristeten Verträgen, vielfach befristet auf einen Tag. Trotz vieler Kürzungen im Sozialetat ist die Staatsverschuldung weiter gestiegen und beträgt mit 2,2 Billionen Euro 130 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Banken sitzen auf vielen faulen Krediten und sind sehr zögerlich, neue Kredite zu vergeben. Auch dadurch wird der Aufschwung gebremst.

Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist vor diesem Hintergrund weiterhin sehr hoch. Hinzu kommt eine weitverbreitete Ablehnung von Flüchtlingen, die über das Meer nach Italien kommen. Der EU wird vorgeworfen, ihre Zusage, einen Teil dieser Flüchtlinge über ein Umverteilungsprogramm in andere Länder aufzunehmen, nicht eigehalten zu haben. Kurz vor den Wahlen eskalierte der Streit um die Zuwanderung, als ein Anhänger der Lega Nord in einem norditalienischen Ort mehrere Flüchtlinge mit einer Pistole verletzte. Die Lega, die den Kampf gegen die Zuwanderung besonders aggressiv führt, distanzierte sich bezeichnenderweise nicht von dieser Tat, sonder nahm sie zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Geduld der Bevölkerung erschöpft sei. Es gab aber auch sehr große Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit und rechtsextreme Strukturen.

PD: Der Verschrotter wird verschrottet

Opfer der großen Unzufriedenheit wurde bei den Wahlen vom 4.März vor allem die bisherige Regierungspartei, der Partito Democratico mit seinem Führer Matteo Renzi. Der ehemalige Bürgermeister von Florenz trat etwa 2011 an, nicht nur seine Partei (ein Zusammenschluss der aus der PCI hervorgegangenen Linksdemokraten mit dem sozial- liberalen Flügel der ehemaligen Christdemokraten) komplett umzukrempeln, sondern die ganze italienische Politik grundlegend zu erneuern. Dazu sollte die angeblich überalterte, korrupte und unfähige Politikerkaste »verschrottet« werden. In seiner Polemik war er kaum zu unterscheiden von Beppe Grillo, dem Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung. Nach den Wahlen 2013 scheiterte Bersani mit der Bildung einer stabilen Regierung. Daraufhin wurde Letta (PD) Ministerpräsident. Renzi kritisierte heftig dessen Politik und drängte die Partei, ihrem eigenen Ministerpräsidenten das Misstrauen auszusprechen. Daraufhin trat Letta zurück und machte den Weg für Renzi frei.

Renzi gab sich nun ganz als jugendlicher »Macher« und wollte jeden Monat eine große Reform durchbringen, um Italien zu erneuern. Großes Ansehen brachte ihm eine Steuerreform, durch die Einkommen unter zweitausend Euro monatlich um achtzig Euro entlastet wurden. Die folgenden Gesetze hatten aber vor allem das Ziel, die italienische Wirtschaft nach den Reformvorstellungen der EU-Kommission (»Europa 2020«) umzugestalten. Entsprechend folgten die Privatisierung von Staatsbetrieben, eine Reform des Schulwesens mit weitgehender Selbständigkeit der Schulen und der Möglichkeit, Lehrkräfte befristet einzustellen. Am bedeutendsten war jedoch die Reform des Arbeitsmarktes, der sogenannte »Jobs Act«. Der Kündigungsschutz wurde ausgehöhlt und für die Schaffung befristeter Arbeitsverhältnisse gibt es praktisch keine Grenzen mehr. Auch das Streikrecht wurde eingeschränkt. Renzi verweigerte sich Kompromissen mit den Gewerkschaften, die jedoch auch nicht in der Lage und zum Teil auch nicht bereit waren, dagegen einen effektiven Widerstand zu entwickeln. Dies führte jedoch zu wachsenden Spannungen innerhalb des PD. Einige Mitglieder der Fraktion traten aus und bildeten mit der kleinen SEL (Sinistra Ecologi Liberta) eine neue Partei, die Sinistra Italiana (SI).

Wie unbeliebt die Politik Renzis mittlerweile auch bei den eigenen Anhängern geworden war, musste er erkennen, als sein Vorschlag zur Reform des Wahlrechts bei einem Referendum im Dezember 2016 krachend durchfiel. Abgelehnt wurde aber weniger die vorgeschlagene Reform des Wahlrechts als die Politik der Regierung. Renzi trat als Ministerpräsident zurück, blieb aber Parteivorsitzender. Als deutlich wurde, dass er seine Spitzenkandidatur auch bei den Wahlen 2018 durchsetzen konnte, traten auch führende Persönlichkeiten des PD aus der Partei aus; so z.B. die ehemaligen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Bersani und D ́Alema. Sie hatten allerdings selbst fast allen Gesetzen Renzis zugestimmt und ihr Protest richtete sich so weniger gegen die Politik als gegen den Führungsstil Renzis. Zusammen mit der neuen Linkspartei SI traten sie als »Freie und Gleiche« zu den Wahlen an. In Umfragen wurde ihnen ein Stimmenanteil von bis zu acht Prozent vorhergesagt. Tatsächlich konnten sie aber gerade so die Drei-Prozenthürde überwinden.

Die »Freien und Gleichen« konnten so in keiner Weise die Verluste des PD für sich verbuchen. Dieser sackte mit 18,7 Prozent auf ein historisches Tief und verlor gegenüber den vorangegangenen Wahlen etwa 2,5 Millionen Stimmen. Im »roten Gürtel«, den einstigen linken Hochburgen Mittelitaliens (Emilia-Romagna,Toskana, Umbrien) wurde die PD mit ihrem Wahlbündnis nur noch in der Toskana ganz knapp das stärkste Lager. Dies gelang sonst nur noch in Südtirol und ist dort der Südtiroler Volkspartei (SVP) zu verdanken, der Partei der Deutschsprachigen. Selbst im »roten Bologna« ging der Anteil des PD von 43 Prozent 2013 auf jetzt 28,2 Prozent zurück. 16 Prozent derjenigen, die 2013 den PD gewählt hatten, blieben 2018 zuhause, 14 Prozent stimmten für die 5-Sterne-Bewegung und 18 Prozent für andere Parteien. Sind die Verluste auch nicht so verheerend wie für die Sozialistische Partei in Frankreich oder die niederländische Arbeiterpartei, so liegt das Ergebnis doch im Trend: Die traditionellen sozialdemokratischen Parteien, die eine Modernisierung der Gesellschaft anstreben und darunter Privatisierungen und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes verstehen, kommen zunehmend in Widerspruch zu ihrer angestammten Basis. Die enttäuschten ArbeitnehmerInnen gehen nicht mehr zur Wahl oder wählen Protest. Noch deutlicher fielen die Verluste für den PD in nachfolgenden regionalen Wahlen aus. Bei den Wahlen zum Präsidenten der Region Molise stürzte die Partei von 85.881 auf 28.267 Stimmen ab.

Rechtes Lager: Kein Comeback für Berlusconi –
Lega (Nord) wird stärkste Kraft

Ein weiteres einschneidendes Ergebnis der Wahlen ist die Machtverlagerung im Rechtsblock. Silvio Berlusconi wollte noch einmal das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit in die Waagschale werfen, um dem noch vor Monaten weit zurückliegenden rechten Lager zu neuer Stärke zu verhelfen. Dazu ging er auch wieder ein Wahlbündnis mit der Lega Nord ein. Er musste allerdings feststellen, dass sein Stern verblasst ist. Als Vorbestrafter durfte er selbst nicht kandidieren, wirkte altersgemäß oft erschöpft und musste vom Wahlkampf mehrere Auszeiten nehmen. Er versprach zwar wie in den früheren Zeiten das Blaue vom Himmel, trat aber betont moderat auf und wollte sich so von Salvini unterscheiden, der aus der alten Lega Nord eine stramm rechte Partei formte. Forderungen nach Autonomie für den Norden wurden aus deren Parteiprogramm gestrichen wie auch das »Nord« aus dem Parteinamen. Stattdessen heißt es nun »Italien zuerst« und der Front National in Frankreich wurde als Vorbild erkoren. Die Hetze gegen Flüchtlinge ist maßlos und mit haltlosen Versprechungen ging Salvini noch freigiebiger um als Berlusconi. Im Gegensatz zu Berlusconi ist die Lega gegen EU und Euro, was in der letzten Phase des Wahlkampfs allerdings etwas zurückgestellt wurde. Die Lega und Berlusconis Forza Italia gingen zwar ein Wahlbündnis ein, benahmen sich aber wie feindliche Brüder. So war Salvini von vornherein dagegen, dass sich Berlusconi wieder als Führer des rechten Lagers profilieren wollte, da man sich »nicht in Abhängigkeit von Persönlichkeiten begeben könne, bei denen die Pflegerin die Entscheidungen treff.«. Die Lega trat erstmals landesweit zu den Wahlen an und errang mit 17,4 Prozent ein überraschendes Ergebnis. Berlusconis Forza Italia konnte nur 14 Prozent erreichen. Selbst in Mittelitalien konnte die Lega bedeutend mehr Stimmen gewinnen als Forza Italia. Zusammen mit den »Fratelli d ́Italia« (»Brüder Italiens«, eine Partei mit Wurzeln in der neofaschistischen MSI) wurde das rechte Lager stärkste Kraft, aber nicht stark genug, um alleine eine Regierung zu bilden. Mit dem Triumph der Lega verschieben sich die Kräfteverhältnisse innerhalb des Bündnisses deutlich nach rechts, Ausdruck einer deutlichen Polarisierung in der italienischen Politik.

Strahlende Fünf Sterne

Zu den Wahlgewinnern kann sich auch die 5-Sterne-Bewegung zählen. Vor allem bei jungen WählerInnen (viele in prekären Arbeitsverhältnissen) konnte sie Stimmen gewinnen. Sie bezeichnet sich selbst als post-ideologisch. Diese Bewegung erscheint mal eher rechts (z.B. in der Frage der Zuwanderung), mal eher links und ist schwer zu fassen. Ein großer Teil der Wählerschaft kommt aus dem Lager der sog. „linken Mitte« um den PD. Überdeckt werden die vorhandenen Widersprüche und Unklarheiten durch verbalradikale Angriffe auf die etablierten Politiker. In etwa 50 Kommunen stellen die 5-Sterne mittlerweile den Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin, ohne dabei auf Erfolge verweisen zu können. In Rom wurde im Juni 2016 Virginia Raggi mit Unterstützung der Rechten zur Bürgermeisterin gewählt, und das Chaos in der Stadt hat sich seitdem eher verstärkt. Der Popularität der Bewegung schaden solche Erfahrungen aber bisher nicht. Beppe Grillo, der bisher mit demagogischen Sprüchen das Bild der Bewegung prägte, hielt sich im Wahlkampf zurück. Im Vordergrund stand jetzt Luigi di Maio, der einen seriöseren Eindruck vermitteln sollte. Errang die Lega ihren Sieg hauptsächlich im Norden, so wurden die 5-Sterne im Süden unangefochten stärkste Kraft. In Sizilien verfehlte sie nur ganz knapp die absolute Mehrheit. Mit 32,7 Prozent der Stimmen wurde sie landesweit stärkste Partei. Im abgehängten Süden, wo die Menschen keine Perspektive mehr sehen, verfing vor allem das Versprechen eines sogenannten Bürgereinkommens, einer Art Sozialhilfe in Höhe von 780 Euro. Für Italien wäre dies ein echter Fortschritt, da es bislang nur für solche Arbeitslose eine Unterstützung gibt, die einen regulären Arbeitsplatz verloren haben. Arbeitslose Jugendliche und zuvor prekär Beschäftigte sind auf die Hilfe ihrer Familien angewiesen. Kommentatoren aus dem Norden warfen den angeblich faulen Menschen aus dem Süden daraufhin vor, sie wollten ihre Arbeitsstelle kündigen, das Grundeinkommen in Höhe von 780 Euro kassieren und dann durch Schwarzarbeit aufbessern. Wie wichtig diese Forderung im Süden ist, zeigte sich nach den Wahlen: Es kursierten anonyme Schreiben, in denen verkündet wurde, da die M5S bei den Wahlen stärkste Partei geworden sei, könne jeder bei den kommunalen Behörden den Antrag für das Grundeinkommen abholen. In mehreren Städten soll es daraufhin einen wahren Run auf die Rathäuser gegeben haben.


aus Arbeiterpolitik Nr. 2/3 2018

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