Deutsch-israelische Beziehungen:
Zur Entstehung der deutschen Staatsräson

Mittlerweile geräumtes „Protestcamp gegen Israels Krieg in Gaza und dessen Unterstützung durch die Bundesregierung“ auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude – Foto: Ingo Mueller

Auf dem Ostermarsch in Berlin berichtete Fanny Michaela Reisin (Mitglied bei „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.“) über die Kontosperrung für ihren Verein durch die Berliner Sparkasse. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die herrschende Staatsräson der BRD. „Die ‚deutsche Staatsräson‘ wurde von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ansprache vor der Knesset anlässlich des 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels […] weltöffentlich proklamiert![1] Die deutsch-israelischen Beziehungen, die 1965 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen geführt hatten, waren von Beginn an durch die Unterstützung des zionistischen Staates und seiner Ausdehnungs- und Vertreibungspolitik geprägt. Hinter den besonderen Beziehungen der BRD zum Staat Israel verbarg sich das geostrategische Interesse der „westlichen Welt“ und ihres Militärpaktes, der NATO. Für die Öffentlichkeit wurde es als Ver- und Aussöhnung eines geläuterten Deutschlands mit den Juden in Israel und der übrigen Welt dargestellt und gefeiert.

Beziehungen mit Hindernissen

Die Annäherung zwischen der BRD und Israel reicht zurück zum Beginn der 1950er Jahre. Darauf sind wir schon in der Arpo 4/23 eingegangen. Damals war Westdeutschland nicht geläutert, über die Vergangenheit wurde geschwiegen. Die alten Nazi-Kader hatten ihre Posten (beispielsweise in der Verwaltung und Polizei) behalten oder ihre neue Karriere als lupenreine „entnazifizierte Demokraten“ begonnen. Die Politik in der BRD wurde bestimmt durch eine breite Übereinstimmung, von der Adenauer-Regierung bis zur Sozialdemokratie, um die Westanbindung zu festigen und der BRD einen Beitritt zur 1949 gegründeten NATO zu eröffnen. „In den frühen 1950er Jahren begannen die Verhandlungen zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion, dem Vorsitzenden der Jewish Claims Conference Nahum Goldmann und dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Konrad Adenauer. […] 1952 wurde das Luxemburger Abkommen geschlossen. Fast gleichzeitig liefen die Verhandlungen zum Londoner Schuldenabkommen. Die Ratifizierung beider Verträge war die politische Vorbedingung, um den Besatzungsstatus aufzuheben.[2] Der Weg für eine vollwertige Mitgliedschaft in der „westlichen Wertegemeinschaft“ war frei und 1955 trat die BRD der NATO bei.

Sowohl in der israelischen Bevölkerung als auch im Parlament stieß das Luxemburger Abkommen auf Kritik. Die rechtsnationalistische und zionistische Partei Cherut unter Menachim Begin und die linke Arbeiterpartei Mapam lehnten das Abkommen ab. Sie warfen „den Befürwortern vor, die Würde der Opfer zu missachten, wenn sich die Mörder mit ‚Blutgeld‘ von ihrer Schuld loskaufen wollen.[3] Aber der junge israelische Staat war auf die politische, militärische und finanzielle Hilfe angewiesen, die er aus den Vereinigten Staaten erhielt. Ohne sie hätte er seine Armee nicht zur stärksten militärischen Kraft in der Region ausbauen können. Auch die BRD sollte und wollte ihren Beitrag dazu leisten.

Die moralischen Bedenken gegen die Zahlung des „Blutgelds“ wurden von der Regierung unter Ben Gurion beiseite geschoben, um sich die vereinbarten finanziellen Zuwendungen durch die BRD zu sichern. Dabei störte es die israelische Regierung nicht, dass in der Bundesrepublik zahlreiche Vertreter der faschistischen Diktatur – Verantwortliche für die Rassegesetze und den Holocaust – erneut hochrangige politische Ämter bekleiden konnten. Einer von ihnen war die rechte Hand Adenauers, Ministerialdirektor Hans Globke, einer der Autoren der Nürnberger Rassengesetze.

Nicht nur in Israel, auch in der Bundesrepublik war damals die Ablehnung groß; nur 11 % der Bevölkerung stimmten zu Beginn der 1950er Jahre nach einer Umfrage des Allensbach Instituts der Aussöhnung mit Israel vorbehaltlos zu. Diese Ablehnung wurde deutlich bei der Bundestagsabstimmung über den Luxemburger Vertrag im März 1953. „Nur die Fraktion der SPD stimmte geschlossen zu, dagegen verweigerten Abgeordnete der CDU/CSU in großer Zahl ihre Zustimmung, obwohl Konrad Adenauer den Vertrag schon aus moralischen Gründen für notwendig und als unerlässliche Vorbedingung für die Westintegration bezeichnete.[4] Der rechte Flügel in der Union – damals Stahlhelm-Flügel genannt – und Teile der FDP votierten dagegen.

Der Beginn der deutsch-israelischen Beziehungen war also nicht bestimmt durch moralische Erwägungen oder den Wunsch nach Versöhnung, auch wenn dies zu Jahrestagen und bei feierlichen Anlässen immer wieder zelebriert wird. Hinter ihm standen sowohl ganz profane materielle Interessen als auch geostrategische Überlegungen und Übereinstimmungen, wie sie durch die NATO vorgegeben waren. Im Spätsommer 1957 wurden diese gemeinsamen Interessen auf einem Geheimtreffen der Verteidigungsministerien der BRD und Israels besiegelt. Franz Josef Strauß bekannte sich gegenüber seinem israelischen Amtskollegen Shimon Peres zur Verantwortung Deutschlands für das Überleben des israelischen Staates. Er vereinbarte Rüstungshilfen samt ihrer Finanzierung in Höhe von 300 Millionen Deutsche Mark. Das war de facto die Geburtsstunde der deutschen Staatsräson gegenüber Israel.

Israel war zu diesem Zeitpunkt der verlässlichste Partner der NATO im Nahem Osten im Ringen gegen das sozialistische Lager und die sich aus diesem Gegensatz herausgebildete Bewegung der blockfreien Staaten, dem auch viele arabische Mitgliedsstaaten angehörten. Es war also der gemeinsame (Klassen)-Feind auf der weltpolitischen Bühne, der Israel und die BRD zusammenschweißte noch bevor 1965 beide Staaten diplomatische Beziehungen aufnahmen. Zu den wichtigsten israelischen Verbündeten gehörten neben den USA, dem südafrikanischen Apartheid-Regime auch die BRD. Dennoch drohte die Aufnahme offizieller Beziehungen immer wieder gestört zu werden durch das Bekanntwerden von Details aus der NS-Vergangenheit prominenter Politiker der BRD. Diese Tatsachen und Enthüllungen sollten der Öffentlichkeit vorenthalten werden, um die Normalisierung der Beziehungen nicht zu erschweren. Ein aufschlussreiches Beispiel war der

Eichmann-Prozess im April 1961 in Israel

Über das Eingreifen des Bundesnachrichtendienstes – vom Nazi-General Reinhard Gehlen (Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost“) aufgebaut und bis 1968 als dessen Präsident geleitet – erläuterte Gaby Weber im Deutschlandfunk am 11. April 2011:

„[…] Monatelang beherrschte der Prozess in Jerusalem die Schlagzeilen der Weltöffentlichkeit. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, Organisator der Deportationen in die NS-Vernichtungslager, war gewaltsam aus seinem südamerikanischen Versteck geholt worden, um seinen Richtern zugeführt zu werden. […]

Das Auswärtige Amt schickte einen Prozessbeobachter. Und der Bundesnachrichtendienst nahm den Journalisten Rolf Vogel unter Vertrag, um sicherzustellen, dass in Jerusalem nichts öffentlich erörtert würde, was dem Ansehen der Adenauer-Regierung schaden könnte. Im Bundeskanzleramt fürchtete man, dass sich der Angeklagte vor Gericht als Befehlsempfänger darstellen würde.
Konkret ging es um Hans Globke, Autor der Nürnberger Rassengesetze, der im Dritten Reich Ministerialrat im Reichsinnenministerium war. Er hatte als ‚erfahrener Jurist‘ an Sitzungen teilgenommen, bei denen geplant wurde, wie man sich das Vermögen der im Ausland deportierten Juden einverleiben könnte. 1960 saß er als allmächtiger Staatssekretär im Bundeskanzleramt und beaufsichtigte den Bundesnachrichtendienst. Wenn seine Rolle während des Nationalsozialismus in Jerusalem zur Sprache gekommen wäre, wäre dies für Konrad Adenauer sehr peinlich gewesen.

Doch der BND zog hinter den Kulissen die Fäden und sorgte dafür, dass sich die Richter ausschließlich auf die Judenverfolgung beschränkten. Andere Themen wie das braune Exil in Argentinien nach 1945, die Zusammenarbeit der deutschen Konzerne mit den Nazis und die SS- und Gestapoleute, die immer noch hohe Posten bekleideten – darüber schwiegen sich alle Prozessteilnehmer aus. […] Eichmann belastete Globke vor seinen Richtern nicht. […] Am Ende der Beweisaufnahme, nachdem Eichmann erklärt hatte, Globke nicht zu kennen, zahlte die Adenauer-Regierung über 600 Millionen D-Mark an die Regierung in Jerusalem. […]“

So gelang es mögliche Hindernisse der deutsch-israelischen Annäherung unter „den Teppich zu kehren“. Weder „die Zusammenarbeit der deutschen Konzerne mit den Nazis“ noch, dass „die SS- und Gestapoleute […] immer noch hohe Posten bekleideten“, kamen vor der Weltöffentlichkeit zur Sprache. Die Annäherung zwischen der BRD und Israel konnte ungehindert fortgesetzt werden.

Mittlerweile geräumtes „Protestcamp gegen Israels Krieg in Gaza und dessen Unterstützung durch die Bundesregierung“ auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude – Foto: Ingo Mueller

Gemeinsame Interessen gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen

Bereits 1957 hatte Israel seine wichtige Funktion für den Westen unter Beweis gestellt. Die Verstaatlichung/Nationalisierung des unter britischer Kontrolle stehenden Suezkanals durch den ägyptischen Präsidenten Gamar Abdel Nasser wollten die alten Kolonialmächte nicht hinnehmen. „Nach ergebnislosen internationalen Verhandlungen über die Nutzungsrechte am Suezkanal planten Frankreich und Großbritannien, den zu einem ‚Hitler vom Nil‘ stilisierten Nasser zu stürzen. Großbritannien, Frankreich und Israel vereinbarten daher, dass Ägypten zuerst von Israel auf der Halbinsel Sinai und am Gazastreifen angegriffen werden würde und Großbritannien und Frankreich dann im Rahmen eines als Vermittlungsmission getarnten Luftlandeangriffs den Suezkanal besetzen und fortan dauerhaft kontrollieren würden.[5]

Die militärische Intervention blieb erfolglos, weil die USA ihren europäischen Verbündeten bei der Wahrung ihrer unmittelbaren kolonialen und ökonomischen Interessen keine politische und militärische Hilfe gewähren wollte. Die europäischen Kolonialmächte erwiesen sich als zu schwach, die alte imperiale Ordnung im Nahen Osten zu sichern. 1962 musste sich Frankreich nach der Niederlage gegen die algerische Befreiungsorganisation FLN endgültig aus Nordafrika zurückziehen. Algerien wurde unabhängig.

Die Vereinigten Staaten („als erneuerter bzw. moderner Imperialismus“) übernahmen zunehmend die Rolle und Funktion der bisherigen europäischen Kolonialmächte. Die USA wurden zum wichtigsten Verbündeten Israels. Durch die umfangreiche finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung ermöglichten sie den Ausbau der israelischen Armee zur größten und schlagkräftigsten Armee in der Region – trotz der sehr geringen Bevölkerungszahl im Vergleich zu seinen arabischen Nachbarn.

DER SPIEGEL Nr. 25 / 11.06.1967

Im Gefolge des US-Imperialismus segelte die Bundesrepublik. Sie nahm Kurs auf die volle diplomatische Anerkennung Israels und die vorbehaltlose Unterstützung von dessen Ausdehnungs- und Vertreibungspolitik – seit den Kriegen von 1967 an bis heute. So fiel Israel mit Unterstützung durch die USA und die BRD im Juni 1967, im Sechstagekrieg, in einem als „Präventivkrieg“ gerechtfertigten Eroberungsfeldzug in Jordanien, Syrien und Ägypten ein. Seither hält es völkerrechtswidrig das Westjordanland, die Golanhöhen und den Gazastreifen besetzt. Die bürgerlichen Medien in der Bundesrepublik jubelten: Die Schlagzeile der Bild-Zeitung lautete „SIEG! Dajan[6]Der Rommel[7] Israels“ und „Der Spiegel“ erschien unter dem Titel „Israels Blitzkrieg“. Von der deutschen Sozialdemokratie über die bürgerliche Mitte bis zu den extremen Nationalisten reichte die Begeisterung. Kommentare und Überschriften legten den Konsumenten derartiger Presseorgane nahe, dass die deutsche Wehrmacht in der israelischen Armee endlich einen würdigen Nachfolger gefunden hätte.

Das Hauptargument zur Unterstützung lautete damals: Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten, die deren Werte gegen den wachsenden Einfluss des Kremls verteidigen könne. Zahlreiche Nahost-Staaten mit ihrem verkündeten und angestrebten Modell des „panarabischen Sozialismus“ drohten zu einer fünften Kolonne Moskaus zu werden. Hinter der westlichen Propaganda vom Gegensatz zwischen „Demokratie und Diktatur“, worunter sie die Länder des sozialistischen Lagers fassten, verbargen sich die materiellen Interessen der handelnden Akteure aus den NATO-Staaten. Es ging um die Aufrechterhaltung des alten, imperialen und kolonialen Einflusses gegen die seit 1945 gewachsenen Unabhängigkeitsbestrebungen in Asien, Afrika und Südamerika. Israel, mit seinem Konfrontationskurs gegenüber den rebellischen arabischen Nachbarn, bot sich als verlässlicher Partner des „demokratischen“ Westens an. Hinter dem Gerede von der gemeinsamen Verteidigung der Demokratie verbargen die westlichen Staaten ihre ökonomischen Interessen und geostrategischen Ziele.

Die „Aufarbeitung“ und Instrumentalisierung der deutschen Vergangenheit

Zwar stellte die Studentenbewegung 1968 viele Fragen nach der NS-Vergangenheit ihrer Mütter und Väter und kritisierte das Schweigen darüber. Sie prangerte die Nazi-Vergangenheit von Hochschullehrern, Rektoren als auch führender Politiker an. Aber der Einfluss der alten NSDAP-Mitglieder und deren Mitläufer auf allen Feldern des gesellschaftlichen Lebens und in den Parteien des Bundestages war noch sehr groß. Der überwiegende Teil der Bevölkerung war nicht sonderlich interessiert, die politischen Funktionsträger in den etablierten Parteien erst recht nicht. Es blieb ein Thema des linken politischen Spektrums. Dies begann sich erst Jahrzehnte später, ab 1995 zu ändern. Die Wehrmachtsausstellung zeigte erstmals öffentlich die enge Verstrickung der deutschen Armee an den rassistischen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges. Bis dahin galt sie in der breiten BRD-Öffentlichkeit als tadellose und soldatischen Tugenden verpflichtete Truppe. In der Folge begannen auch Forschungen zu den NS-Verstrickungen der bundesdeutschen Ministerien.

Drei Jahrzehnte später, mit Bildung der ersten rot-grünen Regierung auf Bundesebene (1998–2005), waren Vertreter, die 1968 im Verlauf der Studentenbewegung politisiert worden waren, bei ihrem „Marsch durch die Institutionen“ an die Schalthebel der Regierung gelangt. So der ehemalige Jungsozialist Gerhard Schröder als Bundeskanzler und der ehemals „linksradikale“ Haus- und Straßenkämpfer Joschka Fischer als sein Außenminister. Ihnen blieb es vorbehalten mit Hinweis auf die angebliche Verantwortung Deutschlands wegen seiner NS-Vergangenheit ihre Politik zu rechtfertigen. Es war ein wirklicher Schock, dass Milosevic bereit war, zu handeln wie Stalin und Hitler: einen Krieg gegen die Existenz eines ganzen Volkes zu führen, erklärte Joschka Fischer dem amerikanischen Nachrichtenmagazin ‚Newsweek’. Auf die Frage, ob er eine direkte Parallele zwischen den Ereignissen im Kosovo und der Nazizeit sehe, antwortete der Grünen-Politiker und deutsche Außenminister: Ich sehe eine Parallele zu diesem primitiven Faschismus. Es ist offensichtlich: Die 30er Jahre sind wieder da, und das können wir nicht akzeptieren.[8]

Es gibt mittlerweile wohl kaum ein Ministerium, welches sich nicht mit Forschungsergebnissen zu dem Thema der eigenen NS-Vergangenheit schmückt. Ihnen allen ist gemein, dass sie im Rahmen personeller Recherchen zu alten Nazi-Verbindungen verbleiben – und dies, nachdem die Betroffenen seit Jahrzehnten verstorben sind. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge sind kein Gegenstand dieser Forschungen, entsprechende Fragen werden nicht aufgeworfen und bleiben im Dunkeln.

Die während der Studentenbewegung gewonnenen Erkenntnisse über die gesellschaftlichen Ursachen des Faschismus – sie drückte sich aus in der Parole „Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muss weg!“ – wurde ersetzt durch eine rein moralisierende Betrachtung der NS-Herrschaftsformen und insbesondere des Holocaust. Dadurch ließ sich der Hinweis auf die besondere deutsche Verantwortung in Einklang bringen mit den Erfordernissen, die von einem Bundeskanzler Schröder und seinem Außenminister Fischer vom deutschen Kapital eingefordert wurden. Es sollten die letzten, kümmerlichen Überreste in den ehemals sozialistischen und jugoslawischen Staaten beseitigt werden, damit sie kompatibel sind für eine Mitgliedschaft in der EU. Die Instrumentalisierung der Verbrechen des deutschen Faschismus hätte ohne solche Vertreter in den Grünen und der Sozialdemokratie kaum eine solche Glaubwürdigkeit und Breite entfalten können. Sie reicht aktuell hinein bis in die Partei „Die Linke“ und in etliche Antifa-Gruppen, wie deren Stellungnahmen zu Gunsten der rechtsextremen israelischen Regierung zeigen.

Die „Lebenslüge (West)Deutschlands“ soll aufrechterhalten bleiben

Angesichts der Beteiligung am Krieg gegen Russland und am israelischen Völkermord in Palästina erfährt die Instrumentalisierung der Vergangenheit und die Verkehrung in ihr glattes Gegenteil einen neuen Höhepunkt. Als Weltmeister bei der „Aufarbeitung“ der eigenen Geschichte versuchen die Vertreter der Ampelkoalition ihre politischen Schlussfolgerungen weltweit durchzusetzen und stoßen auf immer stärkere Ablehnung. Die Kritik am „deutschen Werte-Imperialismus“ und seinen Kriegsbeteiligungen wird breiter und heftiger. Dies zeigt sich in der Klage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die BRD wegen Beihilfe zum israelischen Völkermord.

All dies dürfte ein Grund gewesen sein, um den Kongress zu Palästina von der Polizei stürmen und verbieten zu lassen. Die Gegner der deutsch-israelischen Kumpanei beim Völkermord in Gaza sollen sich nicht formieren und öffentlich zu Wort melden können. Auf die Frage der ‚Jungen Welt’ Wovor hat die Bundesrepublik Angst?, antwortete Nadija Samour. Ich denke, es wird mit Angst regiert, aber dahinter stehen knallharte Interessen. Ich halte nichts von der Erklärung, das hätte etwas mit der deutschen Schuld für den Holocaust zu tun. Mag sein, dass die Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof Eindruck machen. Vielleicht haben die Herrschenden Angst davor, dass nicht mehr zu leugnen ist, dass sie hier einen Völkermord unterstützen.[9]

Mit deutscher Gründlichkeit bemühen sich Berliner Behörden weiterhin, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Über zwei Beispiele berichtete die „Junge Welt“ am 24. April 2024.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hatte in seiner Pressemitteilung Nr. 87 die Schließung der beiden Jugendzentren [„Phantalisa – Raum für Mädchen* und junge Frauen*“ sowie „Alia – Zentrum für Mädchen* und junge Frauen*“] bekannt gegeben. Ohne vorherige Ankündigung oder Anhörung. ‚Hiermit beendigen wir den zwischen Frieda e. V. und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin – Jugendamt – bestehenden Leistungsvertrag aufgrund des nachfolgend beschriebenen Sachverhaltes mit sofortiger Wirkung‘, heißt es in dem Brief. […] Darauf folgt eine Liste an vermeintlichen Vergehen: Anwesenheit bei Kundgebungen und Demonstrationen, an denen Mitarbeitende des Vereins in ihrer Freizeit teilgenommen haben sollen, sowie auch das ‚Liken‘ von palästinasolidarischen Posts mit privaten Social-Media-Profilen.
Nach einer Polizeiauflage, kafkaesk genannt „Versammlungsfreiheitsgesetz“, durfte auf dem palästina-solidarischen Camp in der Nähe des Reichtagsgebäudes weder arabisch, gälisch (irisch) noch hebräisch gesprochen werden – nur deutsch oder englisch waren erlaubt. Diese Auflage galt für Rede-und Musikbeiträge. Erst als Mitglieder der Jüdischen Stimme dort abends gemeinsam mit allen Anwesenden ein traditionelles jüdisches Fest feiern wollten, wurde von der Polizei das Sprechverbot für Hebräisch ab 18 Uhr aufgehoben. Es handelte sich übrigens um den Seder-Abend,  der an das Leiden, die Unterdrückung und letztendliche Befreiung des jüdischen Volkes aus der ägyptischen Unterdrückung erinnert. Gerade hiermit wollten die mit dem Protestcamp solidarischen Jüdinnen und Juden ihre Verbundenheit mit den Menschen in Gaza ausdrücken.

Mittlerweile geräumtes „Protestcamp gegen Israels Krieg in Gaza und dessen Unterstützung durch die Bundesregierung“ auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude – Foto: Ingo Mueller

Protestcamp geräumt

Inzwischen erreichten uns aktuelle Bilder von der Räumung des „Protestcamp gegen Israels Krieg in Gaza und dessen Unterstützung durch die Bundesregierung“ auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude. Aufgrund scheinheiliger Begründungen von wiederholten Straftaten und Auflagenverstößen wurde eine neue Gefahrenprognose erstellt und das Camp gewaltsam geräumt. Die Veranstalter legten laut eigenen Angaben einen Eilantrag gegen das polizeiliche Verbot vor. Zeitgleich wurden in den Vereinigten Staaten die zahlreichen Protestcamps an den Universitäten durch die Polizei aufgelöst.

A.B., 28. April 2024


[1] Rede von Fanny Michaela Reisin von der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in NO“ auf dem Ostermarsch
[2] aus Wikipedia „Deutsch-israelische Beziehungen
[3] ebenda
[4] ebenda
[5] Wikipedia „Suezkrise
[6] Mosche Dajan war während des Sechstagekriegs israelischer Verteidigungsminister
[7] Generalleutnant Erwin Rommel seit 1941 Befehlshaber des Afrika-Korps der Deutschen Wehrmacht
[8] „taz“ vom 13. April 1999
[9] „Junge Welt“ aus der Wochenendbeilage vom 20./21.04.2024


 

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