Demo gegen „Verdrängung und Mietenwahnsinn“
Der Widerstand in Berlin wächst weiter

Korrespondenz

»Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, dass er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die anderen Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw.«

Karl Marx, Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin, 1945, S.11

 

Waren es im April des Jahres 2018 noch 20,00 Menschen, die sich an der Demonstration des Bündnisses gegen »Verdrängung und #Mietenwahnsinn« beteiligt hatten, so wuchs deren Zahl zum 6. April 2019 auf bis zu 40.000 Teilnehmer*innen. Kein Wunder, wie eine aktuelle Studie belegt: »Nirgends in Berlin zogen die Mieten zwischen 2007 und 2018 so extrem an wie im Ortsteil Neukölln, der den Norden des gleichnamigen Bezirks umfasst. Die Quadratmeterpreise für neuvermietete Wohnungen stiegen von 4,86 Euro auf 11,88 Euro. Das ist ein Anstieg um 146 Prozent – der höchste in der gesamten Hauptstadt. Danach folgen Wedding (121 %) und Kreuzberg (114 %).« (Tagesspiegel vom 7.5.2019) Alle Mittel, um den Mietenanstieg zu drosseln, erwiesen sich als wirkungslos oder bewirkten das Gegenteil (siehe Kasten zur Mietpreisbremse).

Es war in etwa der gleiche Trägerkreis, der schon im letzten Jahr die Demo vorbereitet hatte und auch die diesjährige Mobilisierung trug. So hieß es im Aufruf von 2018: »Die Demonstration wird vorbereitet von vielen Initiativen, in denen sich Nachbar*innen außerparlamentarisch zusammenschließen. Wir möchten auf der Demo keine Parteifahnen und -symbole oder Partei-Blockbildungen.« Dieses Ansinnen prägte die bunte und vielfältige Demonstration. Zahlreiche selbstgemalte Transparente und Forderungen bestimmten das Bild und die Stimmung des Umzugs. Wichtig ist es, sich nicht vor einen parteipolitischen Karren spannen zu lassen, gerade angesichts der Berliner Senatskoalition aus Grünen, Linkspartei und SPD (genannt in der Reihenfolge ihrer derzeitigen Umfragewerte). Denn es bleibt bei leeren Versprechungen der Regierungsparteien, vor allem wenn deren Umsetzung den Koalitionsfrieden gefährdet, zu innerparteilichen Kontroversen führt oder gar zu einer Konfrontation mit der Immobilienwirtschaft führen könnte. Das folgende Beispiel verdeutlicht dies.

Die »Berliner Linie«

Schon im letzten Jahr wurden in den Tagen nach der Demonstration gegen den Mietenwahnsinn einige leerstehende Häuser besetzt und gemäß der »Berliner Linie« geräumt. Sie besagt, dass Hausbesetzungen innerhalb von 24 Stunden polizeilich zu räumen seinen. Das verursachte damals einigen Wirbel. Die Linkspartei forderte eine Abkehr von der »Berliner Linie«, die auch bei den Grünen und in der SPD in die Kritik geraten war. Am 3. Juni 2018 schrieb die Berliner Zeitung: »Eine neue Umfrage zeigt überraschend deutlich, wie radikal viele Berliner inzwischen denken, wenn es um die Wohnungsknappheit in der Stadt geht. 53 Prozent der befragten Bürger halten mittlerweile gesetzeswidrige Hausbesetzungen für ein legitimes Mittel, um auf das Thema Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa im Auftrag der Berliner Zeitung. Besonders deutlich für derart illegale Aktionen sprechen sich Linke- Anhänger (83 Prozent) und potenzielle Grünen-Wähler (77 Prozent) aus. Doch immerhin auch die Hälfte der SPD-Anhänger (49 Prozent) unterstützt ein solches Vorgehen.«

Die »Berliner Linie« wurde nicht gekippt. Auch in diesem Jahr wurde die Besetzung eines leerstehenden Ladens in der Kreuzberger Wrangelstraße am Rande der Großdemonstration von der Polizei sofort beendet. »Viele Demonstrant*innen hätten sich dem Vorhaben, in dem leerstehenden Laden ein unkommerzielles Nachbarschaftszentrum einzurichten, vor Ort angeschlossen und ein Eindringen der Beamten in den besetzten Laden durch Blockaden verhindert. Daraufhin habe die Polizei ‚ohne gültigen Räumungstitel, ohne Kontakt zum Eigentümer und unter Einsatz massiver Gewalt‘ geräumt, so die Aktivist*innen.« (Neues Deutschland, 08.04.2019) Und der Tagesspiegel schrieb: »Katina Schubert, Abgeordnete und Berliner Landeschefin der Linke, berichtete, sie sei von Beamten hin und her geschubst worden und deshalb zu Boden gestürzt – obwohl sie ihren Abgeordnetenausweis offen getragen habe. ‚Wir werden den Einsatz und die Vorfälle in der nächsten Koalitionsrunde besprechen‘, sagte Schubert.« Es wird wohl bei der Besprechung ohne Konsequenzen bleiben.

Auf der Demonstration wurde mit der Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienkonzerne begonnen. Die notwendigen Unterschriften dafür werden wohl zusammenkommen. Aber ohne außerparlamentarischen Druck droht eine solche Initiative auf der Ebene des parlamentarischen Betriebes zu versanden (siehe den folgenden Artikel zum Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«). Denn die Koalitionsparteien sehen es als ihre Aufgabe an, den Protest gegen den Mietenwahnsinn in parlamentarische Bahnen zu lenken – unter Einhaltung bestehender Verordnungen und Gesetze, die ja dem Schutz des kapitalistischen Eigentums dienen.

Senat/Bezirke nutzen bestehende Verordnung nicht

Wie gering die Bereitschaft ist, sich mit Wohneigentümern oder den Anlegern und Aktionären der Immobilienkonzerne anzulegen, beweist das folgende Beispiel. Seit Mai 2014 ist die Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in Kraft (siehe Kasten).

»Nachbarn, lasst das wundern sein, tretet näher, kommt herein.« Im beschaulichen und eher besser situierten Friedenau im Bezirk Tempelhof-Schöneberg prangte diese Aufforderung an dem Jugendstil-Altbau in der Stubenrauchstraße. Eine Nachbarschaftsinitiative hatte zum 23. Mai zu einem »Tag der Nachbarn« eingeladen. Was dann geschah, wird im ‚Neuen Deutschland‘ geschildert: »’Seit drei Jahren versuchen wir hier, etwas zu bewegen. Weil jedoch nichts passiert, ist eine Gruppe jetzt reingegangen, um das Haus zu hüten‘, erklärt die 71-Jährige. Die Eigentümerin des Hauses mit 16 Wohnungen sei völlig überfordert, und lasse es weder sanieren, noch verkaufe sie es. Die Nachbarschaftsinitiative habe auf vielen Wegen versucht, die verantwortlichen Bezirkspolitiker dazu zu bewegen, etwas dagegen zu unternehmen, passiert sei jedoch nichts. […] Als die Polizei, die mit einem großen Aufgebot vor Ort ist, die Transparente entfernt, werden sie von den rund 50 Menschen, die sich vor dem Haus versammelt haben, ausgebuht. ‚Die Häuser denen, die sie brauchen‘, rufen sie den Einsatzkräften noch zu, bevor sie ihre Tische und Stühle wieder einpacken und gehen. Da die Polizei keine spontane Versammlung zugelassen hat, muss das kleine Strassenfest in der Stubenrauchstr. 69 bis 17 Uhr beendet sein.«

Dieser Vorgang ist kein Sonderfall; es ließen sich zahlreiche andere Beispiele aufzählen. In allen Bezirken ist die Bereitschaft der Kommunalpolitiker gering, selbst die im Rahmen der kapitalistischen Eigentumsordung geschaffenen Verordnungen umzusetzen. Lieber setzten sie die Polizei gegen empörte Mieter*innen ein, die mittels Hausbesetzung darauf aufmerksam machen. Es gibt keine offizielle Statistik, aber die Anzahl der Wohnungen, die zweckentfremdet werden, dürfte fünfstellig sein.

Eine andere, häufig genutzte Methode, mit Wohnraum Geld zu scheffeln, ist ihre Vermietung als Ferienwohnung über Airbnb. Dafür benötigen die Vermieter eine Genehmigung und Registrierung. Allein über Airbnb wurden im November 2018 mehr als 13.000 Wohnungen als Ferienunterkunft angeboten, gerade 1.242 verfügten über die vorgeschriebene Registrierung (nach Berechnungen des Datenportals insideairbnb.com und rbb/24).

Zweckentfremdungsverbot

Ziel des Zweckentfremdungsverbots ist der Schutz des vorhandenen Wohnraums vor der Umwandlung in Gewerberaum, in Ferienwohnungen und vor Abriss und Leerstand. Mit dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz und der Zweckentfremdungsverbotverordnung existieren Instrumente, um der Verknappung des Wohnraumes entgegen zu treten. Aus den Änderungen des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes zum 20.4.2018 ergeben sich vor allem folgende Neuerungen: Durch eine umfassende Regelung wurde das Zwangsmittel der Treuhändereinsetzung aufgenommen (§§ 4 a, b). Der Einsatz des Treuhänders soll dem beschleunigten Wiederherstellen des Wohnraums beziehungsweise der Wiederzuführung zu Wohnzwecken dienen, falls der Verfügungsberechtigte, wie in der Praxis nicht selten, seine Mitwirkung gänzlich verweigert. Leerstand ist künftig im Grundsatz nur noch drei statt sechs Monate zweckentfremdungsrechtlich unproblematisch. (aus : www.berliner-mieterverein.de)


aus: Arbeiterpolitik Nr. 2 / 2019

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