Krankenhausbewegung verstärkt den Druck auf die Koalitionsparteien des Berliner Senats
Im Verlauf ihres 100-Tage-Ultimatums erhielten die Beschäftigten der beiden landeseigenen Kliniken Vivantes und Charité zwar viel wortreichen Zuspruch aus den Koalitionsparteien. Deren Vertreter*innen beließen es aber bei verbalen Beteuerungen der „Solidarität“. Insbesondere SPD und Grüne verwiesen u.a. auf die politische Zuständigkeit des Bundes oder versteckten sich hinter den Geschäftsführungen von Vivantes und Charité, die sich wiederum auf die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) beriefen. Diese hatte ihren Mitgliedern den Abschluss von Entlastungstarifverträgen untersagt.[1] So wurde in den letzten Monaten zwar viel versprochen und beteuert, in der Sache aber hatte sich nichts bewegt. Es gab weder ein Angebot noch ein Entgegenkommen der Klinikleitungen oder gar Zusagen aus dem Senat, der als Eigentümer durchaus die Möglichkeit hat, in die Geschäftsführung seiner Klinikkonzerne einzugreifen.
Die Berliner Krankenhausbewegung rief deshalb zum 19. August, dem Ende des Ultimatums, zu einer Kundgebung am Anhalter Bahnhof auf, um die nächste Phase des Kampfes einzuläuten. Auf der Kundgebung machten die Redner*innen der Krankenhausbeschäftigten deutlich, dass sie mit ihrer Geduld am Ende sind und nun endlich Taten sehen wollen. Sie berichteten auch von den Methoden, mit denen besonders die Klinikleitung von Vivantes den für nächste Woche angekündigten dreitägigen Warnstreik unterbinden wollte:
- durch gezielte Des- und Fehlinformation über die Verhandlungen zu einer
Notdienstvereinbarung, die sie selbst verhinderte und über eine angebliche
Patientengefährdung durch den Streik, - indem sie den Auszubildenden das Streikrecht absprach,
- durch Einschüchterung und Drohungen gegenüber streikbereiten Kolleg*innen.
Nach der Kundgebung zogen die Teilnehmer*innen zum nahegelegenen Abgeordnetenhaus von Berlin, welches im ehemaligen Preußischen Landtag tagt und in gut einem Monat neu gewählt wird. Die Mitnahme des Lautsprecherwagens war in der Bannmeile untersagt. Die Abgeordneten sollen nicht durch außerparlamentarischen Druck in ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit beeinflusst werden; dies bleibt der Fraktionsdisziplin vorbehalten. Lautstark skandierten die Klinikbeschäftigten deshalb ihre Anliegen: „TvöD für alle an der Spree“ und „Mehr Personal noch vor der Wahl“.
Arbeitsgericht Berlin erlässt einstweilige Verfügung gegen den Streik bei Vivantes
Am Freitag, drei Tage vor Beginn des Warnstreiks, wurde dann deutlich, dass die Geschäftsführung von Vivantes den Streik nicht nur be- sondern verhindern will. Sie beantragte eine einstweilige Verfügung, mit dem der Streik bei ihren Tochterunternehmen untersagt werden sollte. Das Arbeitsgericht Berlin gab dem Ansinnen von Vivantes statt und zwar ohne die Beschäftigten oder die Gewerkschaft (ver.di) überhaupt anzuhören. Das Arbeitsgericht ließ sich mit dieser Entscheidung zum Werkzeug der Klinikleitung machen und setzte das ohnehin stark eingeschränkte deutsche Streikrecht für den konkreten Fall zunächst vollends außer Kraft.[2] Die zuständigen gewerkschaftlichen Gremien verzichteten auf den geplanten Arbeitskampf bei den Vivantestöchtern. Sie legten aber Widerspruch gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts ein und riefen für den kommenden Montag zu einer Protestkundgebung vor der Vivanteszentrale auf. Die Auseinandersetzung trat in ihre vorerst entscheidende Phase. Denn mit seiner Entscheidung drohte das Arbeitsgericht Berlin die monatelange gewerkschaftliche Überzeugungs- und Mobilisierungarbeit zunichte zu machen.
Kundgebung und Belagerung der Vivanteszentrale
Entsprechend aufgeheizt war die Stimmung unter den über 1.000 empörten Beschäftigten, die sich am Montagvormittag, den 23. August, vor der Zentrale der Klinikleitung versammelt hatten. Sie forderten die Zurücknahme der einstweiligen Verfügung durch die Geschäftsleitung und beschlossen in einer Abstimmung, so lange die Vivanteszentrale zu belagern, bis sie dafür eine schriftliche Zusage erhalten hätten.
Auch den drei anwesenden Spitzenkandidat*innen der Senatskoalition – Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Die Linke) – wurde die Brisanz der Situation deutlich. Ihre Versprechungen konnten die Situation nicht entschärfen und die wütenden Klinikbeschäftigten nicht beruhigen. Schließlich wurden sie, zusammen mit einer Abordnung aus der Tarifkommission, zur Vivantes-Geschäftsführung geschickt, um eine entsprechende Zusicherung von ihr zu erhalten. Die bekamen sie nicht. In die laufenden Gespräche auf der Chefetage platzte die Meldung, dass das Arbeitsgericht gerade einer weiteren einstweiligen Verfügung stattgegeben hatte. Es verbot nun auch den Arbeitskampf der Pflegekräfte bei Vivantes.
Die anwesenden Kolleg*innen waren geschockt, aber auch bestärkt in ihrer Absicht, dies nicht kampflos hinzunehmen. Nachdem eine Abordnung von Streikenden der Berliner S-Bahn die Versammelten aufforderte, ihr Streikrecht zu verteidigen, und ein Kollege die Unterstützung durch die IG Metall Berlin verkündete, wurde über das weitere Vorgehen beraten. Die Kundgebungsteilnehmer*innen einigten sich auf folgende Aktionen:
- über Nacht wird eine Mahnwache vor dem Sitz der Geschäftsführung
von Vivantes aufrecht erhalten, - eine möglichst große Abordnung soll noch am Abend Frau Giffey auf dem
Sommerfest der SPD Berlin im Tempelhofer Hafen einen Besuch abstatten, - für den folgenden Dienstag soll vor das Arbeitsgericht zur Verhandlung des
Widerspruchs mobilisiert werden.
Zwei- bis dreihundert Klinikbeschäftigte fanden sich vor dem Sommerfest ein. Die SPD kam nicht umhin, eine Delegation auf ihr Parteifest zu laden, die dort die Forderungen der Krankenhausbewegung vortrugen.
Angriff auf das Streikrecht gescheitert
Am darauffolgenden Vormittag fanden sich dann ebenfalls Hunderte am Magdeburger Platz ein, um an der Verhandlung des Arbeitsgerichts teilzunehmen. 40 Zuhörer*innen waren zugelassen, die restlichen Kolleg*innen mussten vor dem Gerichtsgebäude warten – bei Sonnenschein und guter Verpflegung durch ver.di. Die Mitglieder der Tarifkommission nutzten den Park am Magdeburger Platz für eine kurze Sitzung. Gemeinsam mit den übrigen Beschäftigten machten sie sich danach auf den Weg, um an der für 15.00 Uhr geplanten Demonstration vom Sitz der Gesundheitssenatorin zum Roten Rathaus teilzunehmen. Noch vor dem Abmarsch kam die erlösende Meldung vom Lautsprecherwagen. Das Arbeitsgericht hatte beide von Vivantes beantragten einstweiligen Verfügungen zurückgewiesen. Was den Ausschlag dafür gab – der politische Druck durch die Klinikbeschäftigten oder die besseren Argumente von ver.di – sei dahingestellt. Beides war wichtig in dieser juristischen Auseinandersetzung. Jedenfalls kündigte ver.di an, noch am selben Tag ab 19.00 Uhr die Arbeitskämpfe wieder aufzunehmen. Der folgende Demonstrationszug war geprägt von der Freude über diesen Etappensieg und der Erfahrung der eigenen Kraft, mit dem die Klinikbeschäftigten diesen Angriff auf ihr Streikrecht zurückgewiesen hatten.
Die Mobilisierungsfähigkeit der Berliner Krankenhausbewegung ist gewachsen
Die mobilisierende Wirkung, hervorgerufen durch das Agieren der Vivantesführung selbst, zeigte sich am folgenden Tag noch deutlicher. Die Bereitschaft, sich am Arbeitskampf zu beteiligen, war erneut gewachsen und die Beteiligung bei den Beschäftigten von Vivantes besonders hoch. Allein zehn Stationen in den Kliniken von Vivantes mussten streikbedingt geschlossen werden. Die Kundgebung und Demonstration am Mittwoch, den 25. August, wurde zur bisher größten Aktion der Krankenhausbewegung. 2.000 Streikende, Beschäftigte und Unterstützer*innen beteiligten sich an einer erneuten Kundgebung vor der Vivanteszentrale und zogen anschließend zum Auguste-Viktoria-Krankenhaus der Charité. Die Route führte über die Weddinger Müllerstraße. Der Lautsprecherwagen war durch die Auszubildenden der Pflege besetzt. Mit ihren Parolen und Musikbeiträgen sorgten sie für eine fröhlich-kämpferische Stimmung, die auch Anwohner und Passanten erfasste. Die vielen Redebeiträge der Krankenhausbeschäftigten vermittelten die Berechtigung ihrer Forderungen und ihres Kampfes. Es gab in den letzten Jahren wohl kaum eine Demonstration, die so viel Zuspruch in der Bevölkerung fand, abgesehen von den Aktionen gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung. Deren Akteure gehören denn auch zu einem der wichtigsten Unterstützer*innen der Krankenhausbewegung.
[1] Siehe Arbeiterpolitik Nr. 4, Juni 2021
[2] Siehe Beitrag Streikrecht und Notdienste in Krankenhäusern
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