Hände weg vom Streikrecht in Großbritannien

Korrespondenz

Unter diesem Motto trafen sich am Samstag den 27.01.2024 etwa zwei Dutzend Aktivist:innen der Berliner Gewerkschaftsbewegung vor der britischen Botschaft, um ihre Solidarität mit den von der Einschränkung des Streikrechts betroffenen britischen Gewerkschaftskolleg:innen zu bekunden. Diese hatten am gleichen Tag eine zentrale Protestkundgebung in Cheltenham organisiert, zu der sie landesweit mobilisiert hatten.

In Großbritannien steht die Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Rishi Sunak unter Druck. Der Austritt aus der EU hat bisher nicht die versprochenen wirtschaftlichen Verbesserungen für die Bevölkerung gebracht. Internationale Kapitalgruppen ziehen sich zunehmend aus Großbritannien zurück und verlagern ihre europäischen Niederlassungen auf den Kontinent. Die restriktive Migrationspolitik hat Millionen von Arbeitskräften aus dem Land vertrieben. Britische Waren sind in den EU-Ländern teurer geworden, weil auf sie nunmehr Einfuhrzölle erhoben werden. Und Importe aus den EU-Ländern sind im Preis drastisch gestiegen, weil auch Großbritannien Steuern auf ausländische Waren erhebt. Hinzu kommen jeweils noch erhöhte Kosten für Grenzformalitäten und längere Transportzeiten. Die Regierung versucht sich der Abwärtsbewegung mit neoliberalen Mitteln entgegenzustellen, mit Steuersenkungen für Unternehmen und der Reduzierung von Lohn- wie Arbeitskosten.

Die Einkommen der Beschäftigten werden auch deshalb gedrückt, weil die Tory-Regierung Großbritannien wieder weltpolitische Geltung verschaffen will. Sie unterstützt mit großen Summen die ukrainische Regierung, schnürt ein Rüstungspaket nach dem anderen, um die Ukraine kampffähig zu halten. Und sie bildet Tausende von ukrainischen Soldaten aus. All dies belastet den Staatshaushalt enorm. Die geringen Spielräume, die ihr noch im Haushalt bleiben, setzt sie für die Förderung von Investitionen der Unternehmen ein. Geld für die Reformierung des maroden Gesundheitssektors, der Sanierung der zerrütteten Verkehrsinfrastruktur oder der Verbesserung der schulischen Bildung bleibt da nicht übrig.

Die Regierung musste schnell zur Kenntnis nehmen, dass die überwiegende Mehrheit der Britten ihren Kurs nicht unterstützt. Ende 2022/ Anfang 2023 kam es landesweit zu einer Welle von Streiks, die nahezu alle Branche erfasste. Da sie nicht bereit war, ihre Politik zu ändern, die Reallöhne weiter sanken und die öffentlichen Dienstleistungen zusammenzubrechen drohten, befürchtete sie, dass sie im Herbst 2023 mit noch heftigeren Streiks in einzelnen Branchen konfrontiert werden würde. Die große Angst bestand darin, dass sich diese zu einen Generalstreik entwickeln könnten, an deren Spitze sich der verhasste TUC mit seinen immer noch 6,5 Millionen Mitgliedern setzen würde. Präventiv beschloss die Regierung im Sommer 2023 das restriktive Streikrecht weiter einzuschränken.

Nach den Gesetzesänderungen sind die Gewerkschaften in den Bereichen Gesundheits- und Bildungswesen, Feuerwehr, Grenzsicherung, Atomenergie und Verkehrswesen zukünftig verpflichtet, einen Mindestbetrieb von 40% (in einigen Branche liegt der noch höher) der normalen Leistung während eines Arbeitskampfes aufrechtzuerhalten, wenn die bestreikten Unternehmen dies von ihnen verlangen. Dies gilt sowohl für staatliche wie private Anbieter. Kommen Beschäftigte der Aufforderung zur Arbeitsaufnahme nicht nach, können sie entlassen werden. Den Gewerkschaften, die nicht kooperieren, drohen existenzgefährdende Schadenersatzklagen.

Britische Gewerkschaften ohne ausreichende politische Unterstützung

Begleitet wird das Anti-Streikgesetz durch eine Verschärfung des Demonstrationsrechtes. Das im April 2023 verabschiedete Gesetz zielte primär auf die Klimaakivist:innen, die mit ihren unorthodoxen Protestformen eine Vielzahl von öffentlichkeitswirksame Aktionen durchgeführt hatten. Doch kann es umstandslos auf aktive Gewerkschafter:innen angewendet werden. Diese sind nunmehr explizit verboten. Ferner kann die Polizei in ausgewiesenen Gebieten ohne Verdacht Personenkontrolle durchführen und freiheitseinschränkende Maßnahme anordnen. Straßen und Wege müssen auch Anordnung geräumt werden. Andernfalls droht Verhaftung und Arrest.

Bei Stagnation der Löhne und galoppierender Inflation bleibt den Gewerkschaften nichts anders übrig, als sich gegen das Anti-Streikgesetz mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu wehren. Die sechs betroffenen Gewerkschaften erklärten, sich nicht an die neuen Streikregeln halten zu wollen. Sie erhielten den Rückhalt des Dachverbandes TUC.

Die Drohung der Gewerkschaften mit einer Eskalation von Konflikten hat ausgereicht, um Ende Januar die Unternehmensleitungen von lokalen Eisenbahnunternehmen davon abzuhalten, das neue Streikrecht anzuwenden. Bei diesem Konflikt hätte das neue Gesetz erstmals umgesetzt werden können. Sie begründeten ihr Verhalten damit, dass eine Dienstverpflichtung der Lokführer zu erheblichem Verwaltungsaufwand geführt hätte.

Die oppositionelle Labour Party verkündete, im Falle einer Regierungsübernahme das Gesetz umgehend zurücknehmen zu wollen, doch tätige Hilfe etwa durch Beteiligung von prominenten Mitgliedern der Partei an Streikposten verweigerte sie. Als Anfang des Jahres 2023 noch vor Verabschiedung des Anti-Streikgesetzes eine Welle von Arbeitsniederlegungen über das Land rollte, verbot die Parteiführung unter dem seit 2020 amtierenden Vorsitzende Starmer allen Funktionsträgern, diese aktiv zu unterstützen. Sie drohte mit Funktionsenthebungen, Mandatsverlusten wie Ausschlüssen und setzte diese Maßnahmen auch durch. Starmer folgt der neoliberale Politik von Blair. Er will Wahlen gewinnen in der Mitte der Gesellschaft. Die Labour Party sieht er nicht als Vertreterin der Beschäftigten und ihrer Interessen. Die Distanz der Gewerkschaften zur Labour Party ist in den letzten Jahren größer geworden, die finanzielle Unterstützung der Partei durch sie stark zurückgegangen.

Nicht zuletzt wegen dieser Erfahrungen aus den ersten Monaten des vergangenen Jahres, bleiben die Gewerkschaften gegenüber den Versprechen Labours skeptisch. In lebendiger Erinnerung ist ihnen eine ähnliche Zusage von Blair geblieben, die er als Oppositionsführer gab. Als er die Wahlen gewonnen hatte, wollte er von seinen früheren Versprechungen nichts mehr wissen. Er nahm nur wenige Streikrechtsverschärfungen der Thatcher-Regierung zurück.

Keine Einschränkung des Streikrechts in der BRD

Mehrere Redner auf der Berliner Kundgebung haben diese Zusammenhänge herausgearbeitet und sie materialreich belegt. Organisiert wurde die Kundgebung von der „AG für ein umfassendes Streikrecht der GEW“ unterstützt von Gewerkschaftsgruppen der IG Metall wie ver.di. Die DGB-Vorsitzende des Landesbezirkes Berlin-Brandenburg Karger richtete eine Grußadresse an die Kundgebung.

Die Sicherung des Streikrechts gewinnt auch für die bundesdeutschen Gewerkschaften an Bedeutung. Die GdL konnte Anfang Januar diesen Jahres mit ihrem fünftägigen Streik nicht nur den Personenfern- wie den Regionalverkehr und die S-Bahnen in den Metropolen Berlin und Hamburg zum Stillstand bringen. Es gelang ihr auch, fast alle Gütertransporte ausfallen zu lassen. Dies führte schon nach mehreren Tagen zu Produktionseinschränkungen bei diversen Großunternehmen.

Kaum war der Streik bei der Bahn ausgesetzt, folgten Arbeitsniederlegungen bei Fluggesellschaften, auf den Flughäfen und im Öffentlichen Nahverkehr. Dies rief Politiker der CDU und der FDP auf den Plan, die eine Beschränkung des Streikrechts für die „kritische Infrastruktur“ forderten. Sie fanden in der bürgerlichen Presse wie bei arbeitgebernahen Professoren willige Unterstützer. Einzelne Vertreter der Grünen schlossen sich den Vorschlägen an.

Das Jahr 2023 war nach 2010 das stärkste Streikjahr der letzten Jahrzehnte. Das aktuelle wird kaum zu weniger Konflikten führen. Die kommenden Haushalte des Bundes werden der Finanzierung der Aufrüstung Vorrang geben. Für Einkommenserhöhungen oder Verbesserungen der Transferleistungen wird nichts übrigbleiben. Es drohen sogar erhebliche Kürzungen der Sozialetats. Wollen die Gewerkschaften unter diesen Bedingungen in Tarifrunden Reallohnverluste für ihre Mitglieder vermeiden, werden sie um heftige Auseinandersetzungen nicht herumkommen. Kommt es wieder zu Angriffen der bürgerlichen Parteien auf das Streikrecht wird man dies nur mit einer breiten Mobilisierung der Mitglieder abwehren können. Solidaritätserklärungen und Grußadressen werden dann nicht mehr ausreichen.

H.B., 08.02.24


 

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