US-Präsidentschaftswahlen – Entscheidung für das kleinere Übel

Trump lässt seine rechtsextremen Schlägertrupps aufmarschieren
Washington am 6. Januar 2021
Quelle: DrDannielle – CC BY-SA 4.0

Die Weigerung Trumps, trotz seiner zahlreichen, von den Gerichten abgewiesenen Klagen, den Wahlsieg von Biden anzuerkennen, wird von vielen Kommentatoren seinem Ego und mangelndem Realitätssinn zugeschrieben. Das mag zutreffend sein, ist aber nur die halbe Wahrheit. Dahinter steckt die Absicht, seine Basis als politischen Faktor über den Wahltag hinaus zu erhalten. Dem dient auch die Ankündigung in vier Jahren erneut kandidieren zu wollen. So will Trump zukünftig seinen Einfluss und den des rechtsextremen Lagers auf die Republikaner und die Politik in Washington sichern. Ob ihm das gelingen wird, ist nicht vorhersehbar; aber die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Die Mehrheit unter seinen (d.h. den republikanischen) Wähler*innen glaubt der Behauptung über den durch das Establishment geraubten Wahlsieg. Eine Legende, wie dumm und verlogen sie auch sein mag, kann an politischer Bedeutung gewinnen, sollten ihr nur genug Menschen Glauben schenken. Mit der Anerkennung seiner Wahlniederlage hätte Trump diese Legende selbst zerstört.

Washington am 6. Januar 2021
Quelle: Tyler Merbler – CC BY 2.0

Der 6. Januar

Mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington setzten am 6. Januar 2021 Trump und seine parlamentarischen und außerparlamentarischen Anhänger ein weltweit beachtetes Signal. Dort sollte an diesem Tag der Kongress auf einer gemeinsamen Sitzung von Repräsentantenhaus und Senat die formelle und zeremonielle Benennung des Wahlsiegers Biden vornehmen. Es kam anders. Während im Kongress sich 139 republikanische Abgeordnete und acht Senatoren verabredet hatten, die Zertifizierung der Wahl Bidens wenn nicht zu verhindern, so doch zumindest zu verzögern, sammelten sich vor dem Weißen Haus Zehntausende der Trump-Anhänger – von Evangelikalen, die in ihm einen von Gott gesandten Präsidenten zur Heilung Amerikas sehen, bis hin zu den faschistischen Proud-Boys. Trump hielt vor ihnen eine Ansprache und forderte sie auf, das Kapitol zu stürmen, was sie auch taten. „Sie wollten den Kongress von dem dort angehäuften Müll reinigen“, wie ein Demonstrant den Reportern stolz verkündete.

Was vielen Beobachtern auffiel, war die mangelnde Polizeipräsenz und wie leicht es den Trump-Anhängern gemacht wurde, die Polizeisperren zu überwinden. Es gab Berichte über die stillschweigende oder offene Sympathie der eingesetzten Beamten mit den Parlamentsstürmern, die gemeinsam Selfies aufnahmen. Das verwundert nicht, ist doch der strukturelle Rassismus in der Polizei seit langem Thema und die Sympathie in den Sicherheitsbehörden für den chauvinistischen Extremismus dürfte dort wohl noch viel höher sein als unter der Wahlbevölkerung, von der fast die Hälfte Trump ihre Stimme gab.

Nach dem Sturm auf das Kapitol sprach Trump abermals davon, dass er die Wahlen erdrutschartig gewonnen und sie ihm von extremistischen Elementen gestohlen worden sei. Seine Anhänger*innen seien tolle Leute, er liebe sie, aber jetzt sei es Zeit, friedlich nach Hause zu gehen. Sie seien schließlich die Partei von Law und Order, die sich gegen Diebe und den Raub von Stimmen zur Wehr gesetzt hätte. Der Wahlbetrug sei nur erfolgreich durch die Hilfe von Schwächlingen, Abtrünnigen und Verrätern in den eigenen, republikanischen Reihen.

Der 6. Januar war zwar nicht gedacht als Putsch oder Auftakt zur Machteroberung oder Machtsicherung, aber er war ein Tabubruch, da der amtierende Präsident seine Anhänger zum offenen Verfassungsbruch aufforderte. Es ist damit klar: Das Trump-Lager ist nicht mehr Verfassungspartei.

Der Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar war eine Manifestation, ein politisches Signal für seine Sympathisant*innen. Diese hat er nicht nur in den USA, sondern weltweit, auch bei uns in Deutschland, z.B. unter den „Querdenkern“ gibt es zahlreiche Trump-Fans.

Washington am 6. Januar 2021
Quelle: Anthony Crider – CC BY 2.0

Vier Jahre Präsidentschaft von Donald Trump

Der Abgang von Trump aus dem Weißen Haus spiegelt wider, wie er die Wahl 2016 gewann und die Art und Weise, wie er das Amt des Präsidenten ausübte. In der Arbeiterpolitik Nr. 1/2, 2017 schrieben wir: „Der Wahlerfolg von Trump ist der Sieg eines Bündnisses aus Teilen des Großkapitals, der rechtsradikalen Tea-Party-Bewegung sowie weiterer evangelikaler, rassistischer und chauvinistischer Gruppierungen. Es ist ihnen gelungen, den sozialen Abstieg für große Teile der Mittel- und Unterschicht seit der Krise 2008/09 als Versagen des ‚politischen Systems‘ darzustellen. Für viele Menschen ist der ‚American Dream‘ ausgeträumt. Dafür werden Sündenböcke gesucht. Trump inszenierte seine Wahlkämpfe als ‚Nationale Revolution‘ gegen das abgehobene Establishment in Washington. Das habe sich mehr um die eigenen und die Bedürfnisse von Minderheiten – Zuwanderer oder Lesben und Schwule – als um das Land mit seinen rechtschaffenen Bürgern gekümmert. Die Slogans ‚America first!‘ und ‚Make America great again!‘ suggerieren seinen Anhängern, er werde ihren Interessen wieder Geltung verschaffen.“

Trump, Immobilienmakler, windiger, verschuldeter Geschäftsmann, gehörte nie zur Führungsgarde der Republikanischen Partei. In den Vorwahlen 2015/16 gelang es ihm als Außenseiter mit seiner rechtsextremen Rhetorik gegen das Washingtoner Establishment, wozu er auch die republikanische Parteiführung zählt, große Teile der republikanischen Wählerschaft hinter sich zu scharen. Er kaperte quasi die Republikanische Partei mit Hilfe seiner Anhänger*ìnnen und Wähler*innen. Und die wenigen kritischen Stimmen in der eigenen Partei verstummten zusehends angesichts der Wahlstimmen, die Trump für die Republikaner zu mobilisieren vermochte. Deshalb wurde er ohne ernsthafte, erfolgversprechende Konkurrenz bei den Vorwahlen 2020 erneut zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gekürt.

Die Präsidentschaft von Trump markiert einen Bruch mit dem seit Jahrzehnten in Washington praktizierten Regierungsstil. Seine Vorgänger suchten noch den öffentlich zelebrierten Konsens mit den Verbündeten als auch, wo es notwendig erschien, den Kompromiss mit dem innenpolitischen Gegner, den Demokraten im Kongress (Repräsentantenhaus und Senat). Dagegen bestimmte die verbale und praktische Konfrontation mit dem politischen Gegner die Politik von Donald Trump. Die politische Polarisierung, die ja Ausdruck gesellschaftlicher Widersprüche und tiefer sozialer Gegensätze ist, ist nicht das Ergebnis trumpscher Politik; er selbst ist Ausdruck dieser Polarisierung. Die hat sich durch sein Zutun allerdings in den letzten vier Jahren verfestigt und vertieft. Die Gräben in der Wählerschaft zwischen Republikanern und Demokraten sind noch tiefer geworden.

Zu seinen innenpolitisch motivierten Entscheidungen gehörten u.a:

  • der Ausstieg aus zahlreichen Abkommen, wie den international vereinbarten Klimazielen;
  • die Abschaffung zahlreicher Umweltauflagen der Obama-Administration zugunsten der darniederliegenden einheimischen Industrie (Stahl, Kohle, Fracking);
  • die Begrenzung der Zuwanderung (Mauer zu Mexiko, Inhaftierung von Flüchtlingskindern, zeitweiliges Einreiseverbot von Menschen aus muslimisch geprägten Staaten etc.);
  • eine Steuerreform mit minimalen Senkungen für die Normalverdiener*innen und großen Einsparungen für das Kapital und für die Reichen und Superreichen;
  • die Besetzung des obersten Gerichtshofs durch erzkonservative Vertreter (z.B. unmittelbar vor der Wahl durch Amy Cones Barrett, Mitglied einer extrem reaktionären katholischen Splittergruppe) und die Ernennung hunderter reaktionärer Bundesrichter*innen.

Durch die Zuspitzung der politischen Gegensätze schuf Trump sein Image als Präsident, der unermüdlich und kompromisslos für die Interessen der amerikanischen Normalbürger*innen kämpfe. Das kam bei vielen an. Trotz der dürftigen materiellen Ergebnisse seiner Politik konnte Trump zehn Millionen Wähler mehr mobilisieren als zu seiner Wahl 2016.

Gedenkfeier der Black-Lives-Matter-Bewegung zum ersten Todestag von Michael Brown sowie den darauf folgenden Unruhen in Ferguson am Barclays Center in Brooklyn
The All-Nite Images CC BY-SA 2.0

Die außerparlamentarischen Truppen des Trump-Lagers

Besonders scharf trat die politische Konfrontation zu Tage bei den Demonstrationen und Unruhen nach der Ermordung des Schwarzen George Floyd am 25. Mai 2020 und der erstarkenden „Black Lives Matter“-Bewegung. Trump bekundete seine Sympathie für die bewaffneten rassistischen und faschistischen Milizen wie die „Proud Boys“ und ermunterte sie zu weiteren Aktionen. Sie müssten vor allem in den von den Demokraten regierten Städten die rechtschaffenen Bürger schützen – vor Antifaschisten und Anarchisten, vor dem Mob, der ihr Eigentum raube und anzünde. Gegen den ausdrücklichen Willen von Stadtverwaltungen entsandte Präsident Trump die Nationalgarde, weil die dort regierenden Demokraten nicht willens und fähig seien, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.

Über die tiefe Spaltung zwischen den politischen Lagern berichtete die FAZ am 14.11.2020:

„Biden hat Trump zwar vier bis fünf Bundesstaaten ‚abgenommen‘. Doch das ging kaum auf Wechselwähler, sondern auf eine rege Beteiligung der urbanen Demokraten-Klientel zurück. Von den 3141 Landkreisen (Counties) wechselte nur eine Handvoll die Farbe von Rot zu Blau. Biden reichte der oft überdeutliche Sieg in etwa 550 meist dichtbesiedelten Landkreisen, während Trump rund 2600 Counties zählt. […] In mehr als 1500 Lankreisen gewann Trump mit mehr als 40 Prozentpunkten Vorsprung; in etwa 100 Biden-Counties ist es umgekehrt. […] Das Misstrauen zwischen Demokraten und Republikanern scheint unüberwindlich. Jeweils vier von fünf Biden- und Trump-Anhängern sagten in einer Pew-Befragung vor der Wahl, dass die Unterstützer des jeweils anderen Kandidaten ‚fundamental andere Ansichten über den Kern der amerikanischen Werte‘ hätten. Wenn das aber so ist, dann wird es zur patriotischen Pflicht, den inneren Feind zu vernichten.“

Die Proud Boys bei einer Veranstaltung in Ohio 2020
Bild: Becker1999 CC BY 2.0

Biden und Harris: Kandidat*innen des Parteiestablishments

Während die Republikaner geschlossen hinter ihrem Kandidaten Trump in den Wahlkampf zogen, bot die Demokratische Partei ein Bild voll innerer Widersprüche und Kontroversen. Deren politische Positionen umfassen die ganze Breite, wie sie beispielsweise in der deutschen GroKo vorhanden sind, von rechtskonserativen bis zu linkssozialdemokratischen Ansichten. Als Repräsentant der letzteren trat Bernie Sanders auf, der sich selbst als Sozialisten bezeichnet.

Wie schon 2016 mit der Kandidatur von Hillary Clinton konnte auch 2020 das Partei-Establishment der Demokraten seinen Kandidaten Biden knapp gegen Bernie Sanders und andere Kandidaten der Parteilinken durchsetzen. Die Meinungsumfragen vor der Wahl hatten einen eindeutigen, erdrutschartigen Sieg von Biden, dem Kandidaten der Demokraten, vorausgesagt. Wer darauf gebaut und eine Rückkehr zu den „gewohnten“ demokratischen Verhältnissen der Vor-Trump-Ära erwartet hatte, wurde eines Besseren belehrt. Biden bekam sechs Millionen Stimmen (4%) mehr als Trump, dieser erhielt aber zehn Millionen Stimmen mehr als 2016. Die Demokraten konnten nicht einmal ihre Mehrheit im Kongress ausbauen, sie ist vielmehr von 38 auf 10 Sitze geschmolzen. Die Sitzverteilung im Senat entspricht der Spaltung innerhalb der amerikanischen Bevölkerung. Bei den Nachwahlen in Georgia am 5. Januar 2021 konnten die Demokraten den Republikanern zwei Senatorensitze abnehmen. Das ergibt ein Verhältnis von 50 zu 50 und die Stimme von Vizepräsidentin Harris gibt den Ausschlag für eine demokratische Senatsmehrheit im Falle eines Patts.

Biden, auf dem Rechtsaußen-Flügel angesiedelt, war unter Bill Clinton maßgeblich für eine Strafrechtsreform verantwortlich, die lebenslange Haft ohne Pardon nach drei Verurteilungen vorschreibt. Das trifft vor allem die ärmere, junge, häufig schwarze Bevölkerung, da man z.B. nach drei Ladendiebstählen oder drei Drogendelikten lebenslang hinter Gitter gesperrt wird. Seine Vizepräsidentin Harris wird gefeiert als erste farbige Frau im Amt des Vizepräsidenten. In ihrer Laufbahn als Staatsanwältin in Kalifornien zeichnete sie sich allerdings als besonders scharfe Vertreterin von Law und Order aus: „Stolz nannte sie sich in der Vergangenheit einen ‚Topcop‘, der mehr als 1.500 Menschen wegen ‚Marihuanavergehen‘ hinter Gitter gebracht habe. Als Kaliforniens Oberster Gerichtshof entschied, Insassen aus den Gefängnissen zu lassen, da diese überfüllt seien und dies eine Grausamkeit darstelle, kämpfte sie juristisch dagegen – mit dem Argument, dass dem Bundesstaat in diesem Falle billige Gefängnisarbeiter, im Grunde Sklavenarbeiter, fehlen würden.“ [1]

 

Die Rolle der Linken

Protest in Minneapolis am 11. Juni 2020: Polizeibudget kürzen! Finanziert stattdessen die Gemeinde! Psychologische Dienste! Schulen und Erziehung! Sozialwesen und vieles mehr!
Fibonacci Blue CC BY 2.0

Es gelang Biden den amtierenden Präsidenten zu schlagen, weil auch die Demokraten zwölf Millionen Wähler mehr als vor vier Jahren mobilisieren konnten. Dies haben sie vor allem der Parteilinken und den sozialen Bewegungen, wie „Black-Lives-Matter“, zu verdanken. Die Parteilinke hatte, trotz ihrer innerparteilichen Niederlage bei der Kandidatenkür, in einer breit angelegten Kampagne in den Ghettos und sozialen Brennpunkten der Großstädte zur Wahlregistrierung und -beteiligung aufgerufen. Mit Erfolg, wie die hohe Wahlbeteiligung zeigt. Aber nur zähneknirschend haben viele von ihnen Biden gewählt, um eine zweite Amtszeit von Trump zu verhindern.

Die Linke in den USA wirkte durch die Alternative Biden oder Trump gelähmt und war im Wahlkampf als eigenständige Kraft kaum sichtbar, nachdem Bernie Sanders in den Vorwahlen aufgegeben und sich für die Unterstützung Bidens ausgesprochen hatte. Es gab nur noch auf lokaler Ebene die Möglichkeit progressive Anliegen einzubringen, z.B. wurde in einigen Kommunen und Landkreisen erfolgreich über Budgetkürzungen für die Polizei entschieden.

Das Biden-Lager hatte sich mit politischen und personellen Zusagen und Abmachungen die Unterstützung der Parteilinken gesichert, wovon das Parteiestablishment nun wieder abrückt. Die Linken stehen mit leeren Händen den Wählern gegenüber, die sie mühsam, mit Verweis auf diese Zugeständnisse, zu einer Stimmabgabe für Biden überzeugen konnten. „Die Demokratische Partei hat erneut Bernie Sanders verdrängt. […] Anders als vor vier Jahren gab es heute aber ein Einverständnis zwischen den Lagern von Biden und Sanders: Joe Biden wollte zwar auf gar keinen Fall einen Green New Deal, musste dieses Zugeständnis aber machen, wenn er die Unterstützung der Linken wollte. Sie unterstützte ihn, Alexandria Ocasio-Cortez und ihre Leute machten massiv Wahlkampf für Biden, und die Polls zeigen deutlich, dass Biden ohne die Progressiven nicht Präsident geworden wäre. Aber nun heißt es bereits, schuld am knappen Sieg seien die Linken. Medicare for All müsse zurückgefahren werden, man müsse jetzt gegenüber den Republikanern eine Appeasement-Politik fahren, um sie zu besänftigen. […] Mit dieser Ausrede befreit man sich von den Abmachungen mit den Progressiven.“ [2]

„Präsident aller Amerikaner“

In der Wirtschafts- und Sozialpolitik von Präsident Biden wird es keine grundlegende Abkehr von der Förderung des Finanz- und Kapitalmarktes auf Kosten der sowieso schon minimalen Sozialprogramme geben. Schon heute können sich 50 Millionen Amerikaner*innen von ihrem Einkommen, ob Lohn oder Unterstützungsleistungen, nicht mehr ausreichend ernähren und sind auf die privaten Wohlfahrtsspenden angewiesen. „Für Schwarze, für Latinos, für alle Menschen am Rand wird es noch viel schwieriger werden, genug Geld zu verdienen, um überhaupt überleben zu können. […] Wer wird beschuldigt für den Absturz? Die Linke. Weil sie mit ihrer progressiven Politik angeblich klare Mehrheiten verhindert habe. Es werden vier harte Jahre mit harten Angriffen durch die Medien.“ [3]

Biden hat angekündigt, er wolle Präsident aller Amerikaner sein und auf die Republikaner zugehen. Er wird wohl Teile ihrer Vorstellungen und Forderungen während seiner Präsidentschaft aufgreifen. Die demokratische Mehrheit in beiden Kongresskammern wird ihm das Argument gegenüber der Parteilinken nehmen, er wäre aus konstitutionellen Gründen dazu gezwungen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es ihm gelingen wird, die tiefen Gräben zwischen den Parteien zu überwinden. Die Erwartung, dass Biden die USA wieder ins ruhige Fahrwasser einer präsidialen Demokratie zurückführen könne, wird wohl Wunschdenken bleiben. Das System von „checks and balances“ (Kontrolle und Gleichgewicht) der bürgerlich-demokratischen Institutionen ist schon vor Trump, unter ihm aber noch stärker ausgehöhlt worden. Die Fraktion der Republikaner im Senat verhielt sich in der letzten Amtszeit als treuer Vasall ihres Präsidenten und unterwarf sich auch dessen sprunghaften und teils unsinnigen Entscheidungen. Im Kongress lehnten sie Kompromisse und Zugeständnisse an die Demokraten ab. Schon früher, während der Amtszeiten der demokratischen Präsidenten Clinton und Obama hatten die Republikaner im Kongress ihre Mitarbeit verweigert und auf Obstruktion gesetzt.

Die Freude über die Abwahl des Präsidenten, wie sie in zahlreichen spontanen Kundgebungen unmittelbar nach der Wahl zum Ausdruck kam, wird wohl bald der Ernüchterung weichen. Die Republikaner bleiben auch nach Trumps Abgang von der Stimmung unter den republikanischen Wähler*innen abhängig. Trump ist als Präsident abgewählt, aber der Trumpismus ist den Vereinigten Staaten als starke politische Kraft erhalten geblieben.

Legenden und ihre gesellschaftliche Bedeutung

Die Legende von den durch die „sozialistischen Demokraten und Fake News“ gestohlenen Stimmen, an der Trump schon im Wahlkampf strickte und die er bis heute permanent wiederholt, weckt Erinnerungen an die deutsche Geschichte. Gemeint ist die zum Ende des I. Weltkrieges erfundene Dolchstoßlegende von der im Feld unbesiegten deutschen Armee. Auch in den USA wird sie jetzt als Parallele diskutiert.

Das deutsche Heer sei durch den Dolchstoß des Feindes im Innern zur Kapitulation gezwungen worden. Zum Heros wurde damals General von Hindenburg von den Legendenerzählern aufgeblasen. Die Oberste Heeresleitung wollte keine Verantwortung für ihre militärische Niederlage übernehmen und überließ deshalb die Friedensverhandlungen mit den Siegermächten der zivilen Regierung des Kanzlers Max von Baden, der auch die Sozialdemokraten angehörten. Die Verantwortung für den „Schmachfrieden“ von Versailles konnte sie so den „Vaterlandsverrätern“, den inneren Feinden, zuschieben. Dazu zählten neben den Gewerkschaften, den Arbeiterparteien, den liberalen Demokraten auch die Juden. Über die 15 Jahre der Weimarer Republik versammelten sich hinter dieser Legende die Monarchisten, preußische Militaristen, völkische Nationalisten bis hin zu den Nationalsozialisten – die Feinde der Weimarer Demokratie von rechts, gefördert durch den damals größten Pressekonzern des Alfred Hugenberg. Sie alle verhalfen 1933 Hitler in den Sattel. Der Held der Legende, der greise Hindenburg, ernannte ihn zum Reichskanzler.

Auch wenn historische Parallelen hinken und Geschichte sich nicht wiederholt, so kann der Rückblick auf geschichtliche Vorgänge doch den Blick schärfen für aktuelle Ereignisse. Wir können natürlich nicht wissen, welche Wirkungen die Trump-Legende vom Wahlraub entfalten wird. Wir können aber die Absichten des Donald Trump erkennen und wissen, dass ein Großteil seiner Wählerschaft an diese Legende glauben möchte.

 

Von Ronald Reagan zu Donald Trump

Mit dem Beginn der Präsidentschaft des US-Schauspielers Ronald Reagan 1981 wurde der Begriff der „Reagonomics“ verbunden – einer politischen und ökonomischen Ideologie, die darauf setzt, die Unternehmer steuerlich zu entlasten, damit diese das Geld investieren und damit „Arbeitsplätze schaffen“.

Die von Reagan versprochene Steuersenkung um 20 bis 30 Prozent brachte Geringverdienern wenig. Der Spitzensteuersatz wurde von 70 auf 50 Prozent und 1985 weiter auf 39 Prozent reduziert. Das Resultat in den USA: „Das durchschnittliche jährliche Bruttoeinkommen der unteren Hälfte der Bevölkerung stagniert inflationsbereinigt seit 40 Jahren bei 16.500 Dollar, während sich jenes des obersten Prozents bis 2016 von 430.000 auf 1,3 Millionen Dollar verdreifacht hat. Dieser Prozess wird durch den ungleichen Zugang zu Hochschulbildung verfestigt.“ [4]

Die US-Industrie war einer der großen Profiteure der zwei Weltkriege auf überwiegend europäischem Boden gewesen. Die militärischen Erfordernisse begünstigten die Herausbildung monopolistischer Strukturen in der Industrie (wie auch bei den anderen kriegführenden Staaten) [5]. In der Nachkriegszeit wurde das zum Problem – die Stahlindustrie z. B. konnte unter dem Schutz der Zollpolitik der Regierung mit veralteten Anlagen weiterhin hohe Profite erzielen, während die technologisch fortgeschrittenen Konkurrenten aus anderen Ländern fern gehalten wurden. [6]

In den USA stammten zwischen 1963 und 1980 49 Prozent aller Unternehmensgewinne aus der Industrie, der Finanzbereich erzielte 15 Prozent. Im Jahr 2000 lag der Finanzsektor bei 27 Prozent, 2011 bei 33 Prozent – das verarbeitende Gewerbe bei nur noch 17 Prozent.

Das hatte auch gravierende Umschichtungen auf dem Arbeitsmarkt zur Folge: Die Beschäftigten aus der „alten“ Industrie hatten nun Qualifikationen, die bei den neuen Unternehmen im Finanz-, IT- oder Pharmasektor nicht gebraucht wurden. Manche konnten umschulen, viele wurden auf Dauer arbeitslos. „Seit 2015 sinkt die Lebenserwartung der amerikanischen Bevölkerung. Am meisten davon sind weiße, falsch qualifizierte Männer betroffen.“

Die sogenannte Reform der Krankenversicherung unter Präsident Barack Obama (Affordable Care Act) schuf keine staatliche Krankenversicherung, sondern schuf nur einen verschärften Kontraktionszwang für die privaten Versicherer, die mit hohen Selbstbehalten der Versicherten das Krankheitsrisiko oft nur scheinbar abfedern. Das heißt, dass eine teure Erkrankung immer noch bei Vielen schnell in Wohnungslosigkeit und Armut münden kann. Trump schaffte nach seiner Amtsübernahme den Versicherungszwang dann wieder ab.


Wir empfehlen zur Vertiefung zwei weitere Artikel:

a) Zu den Hintergründen der Abwahl Trumps: „Die USA nach der Abwahl Trumps“ , Arbeiterstimme Winter 2020. Zu finden auf www.arbeiterstimme.org

b) Zur Geschichte der „konservativen Revolution“: „USA: Eine neue ‚republikanische Revolution‘ “, Arbeiterpolitik Nr. 3/1995.


[1] Junge Welt, 13.8.2020
[2] Interview mit Yannis Varoufakis: »Das alte System ist tot, aber das neue weigert sich, geboren zu werden«
[3] ebd.
[4] Alle Zitate und Zahlenangaben aus: John Komlos und Hermann Schubert, Das Problem heißt nicht Donald Trump. Warum der Siegeszug des heutigen Präsidenten im Jahr 1981 begann, F.A.Z. 25.5.2020
[5] Jürgen Kuczynski, Die Bewegung der deutschen Wirtschaft von 1800 bis 1946, Dreizehnte Vorlesung: Die faschistische Wirtschaft in den Jahren 1933 bis 1937, Berlin und Leipzig 1947
[6] Estes Kefauver, In wenigen Händen, Monopolmacht in Amerika, Europäische Verlagsanstalt 1967


aus Arbeiterpolitik Nr. 1/2 2021

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