Größte Demonstration gegen den Genozid in Gaza

Korrespondenz

 

Am 27.09. kamen in Berlin etwa Hunderttausend Menschen zusammen, um gegen die Bombardierung von Gaza und gegen die Lieferblockade von Lebensmitteln, Wasser, Strom und Medikamenten durch Israel zu protestieren. Es war seit Beginn des Konfliktes im Oktober2023 die mit Abstand größte Demonstration in der Bundesrepublik. Aufgerufen zu der abschließenden Kundgebung hatte eine breites Bündnis fortschrittlicher Organisationen, die von ‚Amnesty International‘ über ‚medico international‘, der ‚Palästinensischen Gemeinde Deutschland‘ bis zur Partei „Die Linke“ reichte.

Die Zahl der Teilnehmer hatte nicht nur die Veranstalter, sondern auch die politischen Beobachter überrascht. In den letzten beiden Jahren war es trotz intensiver Anstrengungen der Aktivist:innen in der Bundesrepublik nicht gelungen, eine derart große Demonstration auf die Beine zu stellen. Die von den Medien und der bürgerlichen Politik propagierte Behauptung, Israel befände sich in einer vergleichbaren Lage wie die Juden in Europa vor dem Holocaust und müsse deshalb bedingungslos unterstützt werden, viele Bürger davon abgehalten, sich an Protesten zu beteiligen.

Repression gegen die Palästina-Solidarität

Die Propaganda erfasste auch große Teile der Partei „Die Linke“. Der Vorstand und nahezu alle Gliederungen der Organisation  hielten sich mit Solidaritätserklärungen gegenüber den Palästinensern zurück. In ihren Stellungnahmen zum Vorgehen Israels in Gaza versuchten sie den Begriff „Genozid“ zu meiden. Lediglich individuelle Engagements wurden geduldet.

Hemmend für eine breite Mobilisierung hierzulande wirkte die Drohung von Politikern der Regierungsparteien, dass diejenigen, die an solchen Demonstrationen teilnehmen würden, ihr Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik verlieren könnten. Sogar die Rücknahme der Staatsbürgerschaft wurde angedroht für die, die in den letzten Jahren eingebürgert worden waren. Allein in Berlin leben etwa 40.000 Einwohner mit palästinensischen Wurzeln.

So wurden die Demonstrationen, an denen in den ersten Monaten des Bombardements von Gaza in Berlin noch zehntausend Leute teilnahmen, immer kleiner.

Die Polizei, abgestimmt mit den städtischen Sicherheitsbehörden und den politisch Verantwortlichen im Bund, verengte den Spielraum für die Aktiven von Anfang an. Durch eine Vielzahl von Auflagen schränkte sie einen wirkungsvollen Protest ein. Bei nahezu jeder Demonstration konstruierte sie einen Anlass, um eingreifen zu können und verhaftete einzelne Teilnehmer. Oft wurde gleich die gesamte Demonstration aufgelöst. Die Polizei trat immer in Kampfanzügen an. Die Protestierenden wurden als potentiell gewalttätige Truppe mit zweifelhaften Absichten stigmatisiert.

Die Stimmung kippt

Im Frühjahr 2025 begann sich das Blatt langsam zu wenden. Die israelische Regierung hatte nach einem begrenzten Austausch von Geiseln die im Januar begonnene Waffenruhe im März eigenmächtig ausgesetzt und die verabredeten Verhandlungen für eine zweite Phase eines Friedensplans nicht aufgenommen. Sie nahm das Bombardement Gazas wieder auf und intensivierte es. Außerdem verkündete sie, die Lieferung von Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten vollständig einzustellen.

In den folgenden Wochen fanden die Bilder von hungernden Kindern in Gaza Eingang in die bürgerlichen Medien, zunächst international, verzögert auch in Deutschland. Die mangelnden Versorgung der Bewohner Gazas, die fast vollständige Zerstörung der Häuser wie die Zerstörung aller Krankenhäuser ließen viele aufschrecken, ebenso wie das immer gewalttätigere Vorgehen der Siedler im Westjordanland. Viele realisierten jetzt, dass das Vorgehen des Staates Israel der Agenda einer rechtsradikalen Regierung folgte, die zu keinem Kompromiss mit den Palästinensern bereit war, auf Landnahme, ethnische Säuberung und letztlich auf die komplette Vertreibung aller Palästinenser aus den von ihnen seit Jahrhunderten bewohnten Gebieten zielte.

Auch in der Partei ‚Die Linke‘ blieb dies nicht ohne Folgen. Der Druck auf den zaudernden und abwiegelnden Vorstand wurde immer stärker. Dessen Versuch, sich in kritischen außenpolitischen Fragen wie denen der Ukraine und des Krieges gegen die Palästinenser zurückzuhalten, gelang schon im Mai auf dem Chemnitzer Parteitag nicht mehr. Eine knappe Mehrheit der Delegierten hatte entgegen dem eindringlichem Votum der Parteiführung der Jerusalemer Erklärung zur Definition des Antisemitismus als maßgebend für die Haltung der Partei zugestimmt. Diese spricht sich klar dagegen aus, die Kritik am Staat Israel als judenfeindlich zu betrachten.

Die folgende öffentliche Aufregung über den Beschluss versuchte Parteichef van Aken sofort mit einer Stellungnahme zu entkräften, in der er erklärte, dass „das Existenzrecht Israels … auch weiterhin unangefochten Teil unserer DNA (bleibt)“.

Doch half ihm das nicht, die Organisation wieder auf einen „neutralen“ Kurs festzulegen. Wenig später beschloss der Vorstand, zu einer Demonstration gegen das Bombardement und die vollständige Blockade Gazas Ende Juli aufzurufen. Kurzfristig wurde sie nicht zuletzt aufgrund von innerparteilichen Kontroversen über den Aufruf auf Ende September verschoben. Man kann die Absage sicherlich kritisieren, doch führte sie letztlich dazu, dass sich das Bündnis, das zu ihr aufrief, deutlich verbreiterte und die aktiven Kräfte mehr Zeit für eine breite Mobilisierung fanden.

Generationswechsel innerhalb der Linken

Innerhalb der Linken waren die erst im letzten Jahr eingetretenen überwiegend jüngeren Mitglieder, die zum Teil aus migrantischen Milieus stammen, die tragende Kräfte der Mobilisierung.

Sie waren in die Partei aus zwei Gründen eingetreten. Einmal war „Die Linke“ die einzige Partei, die sich aktiv für eine Änderung der gerade für jüngere Menschen katastrophalen Wohnungssituation einsetzte. Zum anderen hatten viele jüngere Menschen sich im letzten Bundestagswahlkampf von den Grünen abgewandt, weil die Parteiführung nicht bereit war, sich demonstrativ gegen die CDU zu stellen, als die in der Flüchtlingsfrage am Ende der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit der AfD eine Resolution verabschiedete und gar ein ‚Zustrombegrenzungsgesetz‘ durchsetzen wollte. Ihr Spitzenkandidat Habeck wollte sich nicht durch eine konfrontative Haltung in der Flüchtlingsfrage um die Chance bringen, nach der Bundestagswahl eine Koalition mit der CDU schließen zu können. Seine charakterlose Haltung stieß die jungen Menschen ab. In ihren Augen hatte lediglich „Die Linke“ eine klare Position zur AfD und trat dafür in der Öffentlichkeit auch glaubwürdig ein.

Eine klare Haltung gegen rechts national wie international und ein hohes Maß an Empathie für diejenigen, die in einer noch prekären Situation sind als sie selbst, kein Dach mehr über dem Kopf haben, hungern, kein sauberes Trinkwasser bekommen oder bei der Ausgabe von Lebensmitteln erschossen werden wie die Hasen bei einer Treibjagd, waren sicher die wichtigsten Motive für die jüngeren Menschen, zur Demonstration und Kundgebung nach Berlin zu kommen.

Verlauf von Demonstration und Kundgebung

Nachdem sich der Parteivorstand endlich zu einer Unterstützung der Demonstration am 27.09. durchgerungen hatte, wurde intern massiv mobilisiert. Wie lange nicht mehr sammelten sich viele unter den Parteifahnen der Linken. Sie zeigten ihre uneingeschränkte Solidarität mit den Palästinensern, traten für gleiche zivile, politische und soziale Rechte aller in der Region lebenden Menschen ein.

Zufrieden waren die jüngeren Teilnehmer auch mit dem Charakter der Veranstaltung. Auftakt- und Abschlusskundgebung waren geprägt durch eine Reihe von musikalischen Beiträgen von Künstlern unterschiedlicher Stilrichtungen: Rap, Punk und arabische Musik. Einige Redner:innen schilderten aus persönlichem Erleben oder dem von Familienmitgliedern die Lebenssituation der Palästinenser in der Region. Die politischen Beiträge waren kurz und knapp.

Die überraschend große Zahl der Teilnehmer zu denen man die 20.000 zählen muss, die zwei Wochen vorher einem Aufruf des BSW zu einer Kundgebung zum gleichen Thema gefolgt waren, rief die bürgerliche Presse auf den Plan. Sie war erschreckt, dass ihnen die Interpretationshoheit über den Konflikt zu entgleiten drohte und Israel ‚isoliert‘ werden könnte. Stephan-Andreas Casdorff vom Tagesspiegel rechtfertigte in einem Leitartikel das Vorgehen der israelischen Regierung in allen Punkten und appellierte an die Bürger „auch für Israel sollten sich Zehntausende finden“ (TSP 29.9.25).

Nach wie vor lässt der Parteivorstand der Linken eine klare Position in der Gaza-Frage vermissen. Innerparteilich reicht die Spannweite der Positionen von der Palästina solidarischen Neuköllner Bezirksgruppe bis zu expliziten Befürwortern der israelischen Politik wie Caren Lay, die zu den Gegenkundgebungen am 27.09. aufrief oder dem Antisemitismusbeauftragten von Brandenburg Andreas Büttner, der die Forderung nach einem Staat Palästina kategorisch ablehnt. Doch wird die Spitze der Partei und ihre Beschlussgremien nicht hinter die auf der Demonstration und der Kundgebung geäußerten Positionen zurückfallen können, wenn sie  die im letzten Jahr gewonnenen jungen Leute weiter an sich binden will.

H.B., 23.10.2025


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