Israel, Palästina und der Antisemitismus

Israel und Palästina sind heute in der Linken kaum noch ein Thema. Das war in den 60er, 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts anders. Der palästinensische Widerstand gegen die israelische Besatzung wurde als Teil eines weltweiten Widerstands gegen den Imperialismus, d.h. gegen die Vorherrschaft der USA und des Westens, betrachtet. Israel war im Nahen Osten der zuverlässigste Bündnispartner der USA, der nicht nur die palästinensische Bevölkerung unterdrückte, sondern auch die Dominanz des Westens in der Region garantierte. Die palästinensische Bewegung mit ihrer Gegnerschaft zur israelischen Besatzungsmacht galt daher als antiimperialistisch wie die nationalen Befreiungsbewegungen in Vietnam, Lateinamerika und Afrika. Und es bestand die Hoffnung, der Kampf um nationale Befreiung könne sich gestützt auf das sozialistische Lager zum Kampf um soziale Veränderungen weiterentwickeln. Es bestand die Hoffnung, aus dem palästinensischen Aufstand könne das Fanal für eine arabische Revolution werden, die sich auch gegen die dort herrschenden reaktionären Regimes richten werde.

Das Westjordanland unter Besatzung: Überall israelisches Militär und check-points

Für solche Hoffnungen gibt es heute nicht den geringsten Anlass. Die PLO verwaltet die Gelder der Autonomiebehörde und gilt als durch und durch korrupt. In Opposition hierzu stehen Hamas und der Islamische Dschihad, islamisch-fundamentalistische Gruppierungen. Linke Strömungen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Im Palästina-Konflikt gibt es für Linke damit heute keine Kraft, mit der sie sich identifizieren könnten und daher gibt es auch kaum Interesse, sich damit zu befassen.

Aber Israel ist noch immer Besatzungsmacht im Westjordanland, die palästinensische Bevölkerung ist ihrer Rechte beraubt, sind Bürger*innen zweiter Klasse, ihr Land kann jederzeit enteignet werden. Der Gazastreifen ist komplett abgeriegelt und Israel will Teile des Westjordanlandes annektieren. Und Israel ist immer noch der verlässlichste Partner der USA und der EU im Nahen Osten. Die Besetzung palästinensischer Gebiete, der Bau immer neuer Siedlungen und die Abrieglung des Gazastreifens werden daher geduldet und auch unterstützt.

Die Antisemitismus-Keule

Wer aber heute die israelische Politik kritisiert, wird schnell mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert. Diesbezüglich hat sich mittlerweile eine Querfront herausgebildet, die den Zentralrat der Juden, die sog. „linken“ Antideutschen, Jutta Ditfurth, prominente Grüne, reaktionäre CDU-Leute und weitere Fürsprecher*innen des israelischen Staates umfasst. Bei ihrem Vorwurf berufen sie sich auf die Definition des Antisemitismus wie er von der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) vorgetragen wird. Darin heißt es u.a.: „Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.“ Diese Definition ist schon sehr stark auf einen „israelbezogenen Antisemitismus“ ausgerichtet (sieben von elf Beispielen für Antisemitismus beziehen sich auf den Nahost-Konflikt), wird von dem oben genannten Spektrum aber sehr großzügig ausgelegt, so dass der Antisemitismus-Vorwurf leicht von der Hand geht. Auch israelische Rechte mischen mit, wenn es darum geht angeblich antisemitische Positionen anzugreifen. So interveniert die israelische Organisation NGO Watch immer wieder, wenn anerkannte Institutionen in westlichen Ländern wie z.B. das Öffentlich-rechtliche Fernsehen oder kirchliche Hilfsprogramme Israel kritisieren. Die Schweizer Organisation humanrights.ch schreibt über NGO Watch: „Es handelt sich dabei um eine Allianz mit rechter Gesinnung aus Israel, die versucht, sämtliche Organisationen, welche die Siedlungspolitik und die Menschenrechtsverletzungen Israels kritisieren, zu diskreditieren und auszugrenzen.“

Antisemitismus ist für Linke natürlich der schlimmste Vorwurf. Und er wird mit großer Vehemenz vorgetragen. Wer die Politik des Staates Israel kritisiert, sieht sich schnell an den Pranger gestellt. Da sie das vermeiden wollen, halten sich viele kritische Menschen in Bezug auf Israel zurück und üben Selbstzensur. Auch die Solidarisierung mit so Angegriffenen fällt meistens schwer.

Überhaupt scheint sich auch international der Vorwurf des Antisemitismus zu einer bewährten Methode reaktionärer Kräfte im Kampf gegen linke Inhalte entwickelt zu haben. Ob Melenchon in Frankreich, Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Großbritannien: Überall wo linke oder halb-linke Persönlichkeiten an Einfluss gewinnen wird versucht, sie als Antisemiten bloßzustellen. Das verfängt dann auch bei so manchen Linken und Corbyn musste somit die Führung der Labour-Party aufgeben.

„Neuer McCarthysmus“ und Hexenjagd durch Bundestagsresolution?

Mittlerweile gibt es jedoch auch in liberalen Kreisen Kritik an einer weiten Ausdehnung des Antisemitismus-Begriffs. Diese Diskussion nahm Fahrt auf, nachdem der Bundestag im Herbst 2017 eine Resolution zur Verurteilung der BDS-Kampagne verabschiedete. BDS steht hierbei für „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“, Maßnahmen, die gegenüber dem Staat Israel verhängt werden sollen, um so eine Abkehr von der Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten zu bewirken. Die Argumente der BDS-Kampagne werden vom Bundestag als antisemitisch bezeichnet und Aufrufe zum Boykott israelischer Waren werden mit dem „Kauft nicht bei Juden“ der Nazis in Verbindung gebracht. Der Bundestag fordert in dieser Resolution, Gruppen mit Verbindungen zum BDS nicht finanziell zu unterstützen und ihnen keine Räume für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Länder, Städte, Gemeinden und alle öffentlichen Einrichtungen werden aufgefordert, diesem Beispiel zu folgen. (Die AfD forderte sogar ein Verbot der BDS-Bewegung.)

Doch geht der Bundestag in seiner Resolution noch weiter: Er „verurteilt alle antisemitischen Äußerungen und Übergriffe, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert werden, tatsächlich aber Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion sind, …

Der Bundestag beruft sich dabei auf die „Arbeitsdefinition der IHRA Diese Arbeitsdefinition setzt ihren Schwerpunkt ebenfalls auf den „israelbezogenen Antisemitismus“.Der Beschluss des Bundestages verschärft diese Definition jedoch, indem der folgende Satz wegelassen wird: „Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“

In Folge dieses Beschlusses verabschiedeten viele gesellschaftliche Institutionen und Verbände, so z.B. die Hochschulrektorenkonferenz oder der DFB, ähnlich lautende Erklärungen. Schon bald nach der Entschließung des Bundestages wurde in Publikationen wie der FAZ, der Süddeutschen oder auch der Frankfurter Rundschau die Befürchtung geäußert, dadurch könne die Diskussions- und Meinungsfreiheit in unzulässiger Weise eingeschränkt werden. Und in der Tat gab es auch bald vielerorts einen Boykott gegen israelkritische Veranstaltungen, denen Räume verweigert wurden. Doch richteten sich die Sanktionen auch gegen den Auftritt von Wissenschaftler*innen, die sich kritisch zur israelischen Besatzungspolitik geäußert hatten.

Liberale in Israel warnten vor einer Hexenjagd. Die taz schreibt über sie: „Sie hegen wenig Sympathien für die Boykottbewegung, sind aber alarmiert, weil sie in der professionell inszenierten Anti-BDS-Kampagne des Ministeriums für strategische Angelegenheiten eine rechtsautoritäre Formatierung der Öffentlichkeit und einen Angriff auf die liberale Demokratie in Israel erkennen. Die Netanjahu-Regierung bereitet völkerrechtswidrig die Annektierung eines Teils des Westjordanlandes vor – die Anti-BDS-Aktionen der Regierung sollen Kritik an der Besatzung als illegitim diffamieren.“ (taz, 30.9.2019)

Ein Beispiel von vielen für repressive Maßnahmen als Folge der BDS-Resolution ist Peter Schäfer. Er war bis Juni 2019 Leiter des jüdischen Museums in Berlin. Anfang 2019 wurde er von Israels Regierungschef Nethanjahu für die Ausstellung „Welcome to Jerusalem“ kritisiert, da sie zu einseitig die palästinensische Sicht auf den Nahostkonflikt darstelle. Als er später in einem Tweet einen Artikel empfahl, der sich kritisch mit der BDS-Resolution des Bundestages befasste, begann eine Kampagne nicht nur des israelischen Staates, sondern auch des Zentralrats der Juden gegen ihn und er sah sich zum Rücktritt gezwungen. Der frühere israelische Botschafter Schimon Stein und der israelische Historiker Moshe Zimmermann warnten vor diesem Hintergrund in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel vor einer Beschneidung der Meinungsfreiheit in Deutschland.

Palästinensische Wohnhäuser von der Trennmauer eingeschlossen: Die Bewohner wie im Gefängnis!

Im September 2019 sollte die britisch-pakistanische Autorin Kamila Shamsie den Nelly-Sachs-Preis erhalten. Dieser wurde ihr aber wieder aberkannt, als Kontakte zur BDS-Bewegung bekannt wurden. Im Sommer 2010 schließlich sollte Achille Mbembe die Eröffnungsrede des Kulturfestivals Ruhrtriennale halten. Doch wurde er ausgeladen, weil auch er Verbindungen zum BDS hat und die israelische Besatzungspolitik mit dem südafrikanischen Apartheitsregime vergleiche. Es ließen sich noch viele Beispiele für die Ausgrenzung israelkritischer Positionen anführen. Der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sprach angesichts solcher Vorkommnisse von einem »neuen McCarthyismus«. (fr-online.de, 3.8.2020)

Forderung nach Neudefinition des Antisemitismus

Dies veranlasste im Herbst letzten Jahres eine Vielzahl liberaler Kulturschaffender und -institutionen zu einer Initiative, die für sich in Anspruch nimmt, den Artikel 5.3 des Grundgesetzes zu verteidigen. In ihrem Aufruf heißt es: „Die historische Verantwortung Deutschlands darf nicht dazu führen, andere historische Erfahrungen von Gewalt und Unterdrückung moralisch oder politisch pauschal zu delegitimieren. Konfrontation und Auseinandersetzung damit müssen gerade in öffentlich geförderten Kultur- und Diskursräumen möglich sein. Vor diesem Hintergrund bereitet uns auch die Anwendung der BDS-Resolution des Bundestages große Sorge. Da wir den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch für grundlegend halten, lehnen wir den Boykott Israels durch den BDS ab. Gleichzeitig halten wir auch die Logik des Boykotts, die die BDS-Resolution des Bundestages ausgelöst hat, für gefährlich. Unter Berufung auf diese Resolution werden durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt.“ (https://www.humboldtforum.org/wp-content/uploads/2020/12/201210_PlaedoyerFuerWeltoffenheit.pdf)

Kritiker*innen des Bundestagsbeschlusses und der Arbeitsdefinition der IAHR haben nun im März 2021 mit der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ eine neue Definition des Antisemitismus vorgelegt, die vermeiden soll, dass der Antisemitismus-Vorwurf zur Verhinderung israelkritischer Stellungnahmen missbraucht wird. Neben Beispielen, die per se antisemitisch seien, werden auch Beispiele genannt, die sich kritisch mit dem Staat Israel auseinandersetzen, aber nicht per se als antisemitisch angesehen werden. Dazu gehört die Kritik des Zionismus, also dem Streben nach einem rein jüdischen oder jüdisch dominierten Staat. Die Verfasser schreiben hierzu: „Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner:innen „zwischen dem Fluss und dem Meer“ volle Gleichberechtigung zugestehen“, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer“. Auch sei die BDS-Initiative nicht zwangsläufig als antisemitisch einzuschätzen: „Boykott, Desinvestition und Sanktionen sind gängige, gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten. Im Falle Israels sind sie nicht per se antisemitisch.“ Bei diesen Beispielen komme es immer auf den Kontext an. Solche Äußerungen könnten „Ausdruck eines antisemitischen Ressentiments sein, aber auch eine Reaktion auf eine Menschenrechtsverletzung oder eine Emotion, die eine palästinensische Person aufgrund ihrer Erfahrungen durch Handlungen seitens der staatlichen Institutionen Israels empfindet.“

Der Holocaust-Forscher Amos Goldberg sagt über die Motivation der Unterzeichnenden: „Sie haben unterschiedliche Meinungen zu BDS und anderen Themen in Bezug auf Israel und Palästina. Aber wir alle sind besorgt, wie Kritik an der israelischen Besatzung und auch am Zionismus mit Antisemitismus-Verdacht belegt und abgeblockt wird. Zuallererst, weil Antisemitismus eine wirkliche Gefahr ist und keine Phantasie. Aber ihn zu benutzen, um Israel vor Kritik zu schützen, schwächt die Bekämpfung des Antisemitismus aus vielerlei Gründen.“ (https://www.fr.de/politik/die-wirkliche-gefahr-geraet-aus-dem-blick-90295309.html)

Natürlich hat die Jerusalemer Erklärung nicht dazu beigetragen haltlose Antisemitismus-Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. Die Erklärung wird in den einschlägigen Medien heftig kritisiert. „Sie wollen einen Freibrief für israelbezogenen Antisemitismus“ denunziert zum Beispiel die „jungle world“, eine Zeitschrift aus dem „antideutschen“ Spektrum. Doch könnte die Erklärung eine Chance bieten, dass bei neuen Angriffen auf israelkritische Positionen der dabei verwendete Begriff des Antisemitismus-Begriff nicht mehr so leicht akzeptiert wird.. Mittlerweile haben sich mehr als 200 Wissenschaftler*innen, die zu Antisemitismus und jüdischer Geschichte forschen, dieser Definition angeschlossen. Es dürfte daher nicht so leicht verfangen, diese Definition als antisemitisch zu brandmarken.

R./D.


Homepage der Jerusalemer Erklärung:

https://jerusalemdeclaration.org/

Die Jerusalemer Erklärung in deutscher Sprache

https://jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf


 

3 Kommentare

  1. Ich denke, es ist zu kurz gegriffen, wenn man den israelisch-palästinensischen Konflikt erst ab „den 60er, 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts“ betrachtet. Bevor der palästinensische Widerstand zu einer antiimperialistischen Front gegen den US-Imperialismus gerechnet wurde, konnte die israelische und jüdische Siedlungsbewegung in Palästina zur antiimperialistischen Front gegen den britischen Kolonialismus gezählt werden.
    Ungeklärt bleibt auch, ob „die Hoffnung, der Kampf um nationale Befreiung …. könne sich … zum Kampf um soziale Veränderungen (! nur das?, w.b.) weiterentwickeln“ – ob diese Hoffnung eine realistische Basis unter den Palästinenser hatte oder ob diese Hoffnung sich allein „auf das sozialistische Lager“ stützte. Das wäre in meinen Augen keineswegs ausreichend. Ganz im Gegenteil: Die jüdische Siedlungsbewegung hatte in den Kibbuzim mehr sozialistische Elemente als alle mir bekannten sozialen Bewegungen der Palästinenser.
    Ich warne dringend davor, wenn sich heutige Linke zum Steigbügelhalter für den palästinensischen Nationalismus machen. Was die Zukunft Palästinas angeht, haben die Palästinenser keinen sinnvollen Plan. In einer Umfrage von August 2017 sprachen sich 43 % für eine Zwei-Staatenlösung aus, ein Drittel war für einen multiethnischen Staat Palästina (unter palästinensischer Vorherrschaft!) und ein weiteres Drittel war für einen palästinensischen Apartheitsstaat, der Juden und alle Nichtpalästinenser verjagt.
    Kurz: Ein bisschen mehr Selbstkritik würde uns sozialistischen und kommunistischen Linken anstehen. Antisemitismus-Definitionen von dritter Seite reichen dafür nicht.
    Mein grundsätzlicher Senf zum Staat Israel steht hier: https://marx-forum.de/geschichte/islam/israel.html
    Gruß
    Wal Buchenberg, Hannover

    • Die jüdische Siedlungsbewegung hatte also nach Ansicht von Wal Buchenberg in den Kibbuzim „mehr sozialistische Elemente“ als alle ihm „bekannten sozialen Bewegungen der Palästinenser.“ Dazu ein Zitat aus dem Separat-Druck, Arbeiterpolitik Nr.3/2012: „Zionistische Ideologie im „internationalistischen“ Mäntelchen, eine Auseinandersetzung mit Theodor Bergmanns Broschüre „Der 100-jährige Krieg um Israel.“ Hier heißt es auf S.4: „Was der Verfasser uns vorenthält, ist die Tatsache, dass „Gleichheit“ nur für die jüdischen Siedler gelten sollte, die arabische Bevölkerung wurde erbarmungslos ausgegrenzt, von ihrem gepachteten Land vertrieben und bekämpft. Die „Ideale und Werte“ von Paole Zion hießen: „Jüdischer Boden! Jüdische Arbeit!
      Jüdische Waren! Dies galt natürlich auch für fast alle Kibbuzim. Dazu ein ergänzendes Zitat von David Hacohen, einem Führer der damaligen zionistischen Arbeiterbewegung:
      „Ich musste mit meinen Freunden viel über den jüdischen Sozialismus streiten; musste die Tatsache verteidigen, dass ich keine Araber in meiner Gewerkschaft akzeptierte; dass wir Hausfrauen predigten, nicht in arabischen Geschäften zu kaufen, daß wir an Obstplantagen Wache hielten, um arabische Arbeiter daran zu hindern, dort Arbeit zu finden, daß wir Benzin auf arabische Tomaten schütteten, daß wir jüdische Frauen attackierten und die arabischen Eier, die sie gekauft hatten, vernichteten, daß wir den „Jüdischen Nationalfonds“ hochpriesen, der Hankin nach Beirut schickte, um Land von abwesenden Großgrundbesitzern zu kaufen und die arabischen Fellachen vertrieb, daß es verboten ist einen einzigen Dunam an einen Araber zu verkaufen …. All das zu erklären, war nicht leicht.“ ( zitiert aus Haaretz vom 15.11.1968)
      Dass diese Realität nichts, aber auch gar nichts mit sozialistischen Elementen zu tun hat, liegt auf der Hand! Aber diese Deutung von Wal Buchenberg zeigt ein bestimmtes Element der deutschen Linken: Romantische Idealisierung der Verhältnisse: gemeinsame Kindererziehung, kein persönlicher Besitz, Aufopferung für das Ganze, Gemeinschaftsküche – alles im Namen des Sozialismus! Dass die Kibbuzbewegung ein zentraler Baustein im Siedlerkolonialismus und damit ein Bestandteil der Vertreibung der Palästinenser war, wird ausgeklammert.
      Wal Buchenberg weiß, dass die Palästinenser, was ihre Zukunft angeht, keinen sinnvollen Plan haben. Wie gut, dass wir deutsche Marxisten haben, die immer wissen, was zu tun ist und die den Menschen, die seit Jahrzehnten gegen ihre ganz reale Unterdrückung
      kämpfen mit ihrem teuren Rat vom sicheren Sessel aus zur Seite stehen. Ja, es gibt die Illusion von einer Zwei-Staaten-Lösung immer noch, obwohl diese durch die Entwicklung immer mehr bröckelt: Im annektierten Ostjerusalem und im besetzten Westjordanland leben inzwischen mehr als 700 000 SiedlerInnen, ein Teil davon religiös-nationalistisch, bewaffnet und beseelt von dem Gedanken, dass ihnen dieses Land von Gott gegeben ist. Diese reaktionären und teilweise faschistoiden Kräfte gewinnen immer mehr Einfluss in der israelischen Regierung. Palästina ist seit Oslo zerteilt in Bantustans, die Bevölkerung umfassend kontrolliert. Unter solchen Verhältnissen ist es schwer, einen gemeinsamen Widerstand und fortschrittliche Lösungen zu entwickeln. Rein ideologische Lösungen, wie sie sich in Umfragen und Statistiken ausdrücken, stoßen bei der Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung auf nur wenig Interesse. Hier spielt ein ganz anderer Widerstand eine Rolle : Es geht um die Bewegungsfreiheit und damit um einen Kampf gegen Checkpoints und die Trennmauer, es geht um die Häuserzerstörungen durch das israelische Militär, es geht um das doppelte Rechtssystem, es geht um reale Vertreibung, um die Ausbeutung der palästinensischen Arbeiter, um die Möglichkeit ihnen und ihren Familien die Existenzgrundlage zu entziehen, schlicht weg dadurch, dass man ihnen die Arbeitserlaubnis entzieht, um die Nutzung der eigenen Landwirtschaft, die behindert wird. Dagegen findet auf allen Ebenen Widerstand statt. Ja, auch der ist zersplittert, oftmals führungslos und unzureichend. Aber er findet statt, tagtäglich. Da gibt es Niederlagen, Tote, Verletzte, aber die Menschen lernen daraus und sammeln sich neu. Dabei gibt es eine Parole, die alle eint, unabhängig, ob man sich an der PLO orientiert oder an der Hamas: Die Besatzung muss enden!
      Aber das interessiert unsere Marxkenner nicht, denn das Ziel Sozialismus fehlt.
      Aber könnte dieser real stattfindende tagtägliche Kampf nicht ein kleiner Schritt dorthin sein? Ist nicht eine reale Bewegung besser als tausend Programme? Die Antworten auf diese Fragen könnten wir tatsächlich bei Marx finden!

  2. Ich glaube nicht, dass es für eine Bewegung gegen politische Unterdrückung hilfreich ist, wenn man die Frage nach ihrer Zielsetzung als „ideologische Lösung“ abtut.
    Und Frau Domes tut mir zu viel der Ehre an, wenn sie meine persönliche Ansicht zum Palästinakonflikt zum Anlass nimmt, um auf alle „deutschen Marxisten“ „seit Jahrzehnten“ einzuprügeln.

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