Die sogenannte Ukraine-Krise

Der Zerfall und das Ende der Sowjetunion (SU) 1992 bedeutete zugleich das Ende des Warschauer Paktes, eines Militärbündnisses unter Führung der SU, als Antwort auf die Gründung der Nato unter Führung der USA in den frühen 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Nato war ausdrücklich gegen die SU und ihre Verbündeten gerichtet, die militärische Antwort auf das feindlich definierte „Sozialistische Lager“.

Nachdem es nach 1992 weder eine Sowjetunion noch ein Sozialistisches Lager mehr gab, folglich auch kein Militärbündnis der Warschauer Pakt-Staaten, existierte dennoch die Nato weiter fort – nunmehr gegen ein klar kapitalistisches Russland und später noch gegen die VR China.

Die politisch naive Führung Russlands unter Gorbatschow und später unter Jelzin erwartete – wenn nicht schon eine Auflösung auch der Nato – einen Verzicht auf deren Erweiterung nach Osten hin, also an die Grenzen des eigenen Landes, also ein Ende der politischen und militärischen Konfrontation mit den maßgeblichen europäischen Staaten und der USA.

Allein die USA hatten und haben jährliche Militäretats, die so groß sind, wie die der nächstfolgenden zehn Staaten zusammengenommen. Aus diesen Mitteln wurde auch die Entwicklung der digitalen Technologien und des Silicon Valley und der Weltraumprogramme wesentlich (mit)-finanziert. Mit ihrer Währung, dem US-Dollar, kontrolliert die führende US-Bourgeoisie bedeutende Felder des internationalen Handels und setzt Maßstäbe für die Regeln auf den internationalen Märkten. In der vom Konkurrenzkampf bestimmten kapitalistischen Welt sichert die militärische Macht zugleich die wirtschaftliche Geltung.

Seit den 90er Jahren sinkt jedoch das ökonomische Gewicht der USA relativ zum Gewicht der Europäischen Union, und dort speziell der Euro-Zone, und zunehmend auch Chinas. Russland exportiert nach dem Zerfall des Sozialistischen Lagers weniger Industriewaren, dafür mehr Rohstoffe, insbesondere Erdgas und Erdöl, bleibt dennoch nach den USA stärkste Militärmacht, vor allem bei Atomwaffen.

Die US-amerikanische Bourgeoisie hat es so mit drei ökonomischen Konkurrenten zu tun, die ihre Hegemonie bedrohen. Das sind die „befreundeten“ Rivalen der EU mit einem Markt von rd. 450 Millionen Einwohnern, die „feindlichen“ Konkurrenten China (ca. 1,4 Milliarden Einwohner) und Russland (über 140 Millionen Einwohner).

Das erklärt ihr Auftreten auf den Plätzen der Weltpolitik: Die Absicht der sogenannten Osterweiterung der Nato bis an die Grenzen Russlands, die Militärbündnisse und Manöver im Pazifik mit Australien, Japan und Taiwan unter Einbeziehung von europäischen Staaten wie Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich u. a.

Die Provozierung und Aufrechterhaltung von politischen und militärischen Spannungen in Europa, die den „Schutzschirm“ der USA unverzichtbar machen, und die gleichzeitig den Rivalen Russland wirtschaftlich schwächen, liegen ebenso im unmittelbaren Interesse der US-Bourgeoisie, wie die Steigerung der finanziellen Beiträge der Verbündeten zum Militäretat der Nato (mind. 2 Prozent des BIP).

Dabei werden aber auch Interessenkonflikte deutlich, wenn beispielsweise das russische Erdgas (Nord Stream 2) durch das deutlich teurere US-amerikanische verflüssigte Fracking-Gas ersetzt werden soll, wie es die US-Regierung und die „Atlantiker“ in den deutschen Medien und Parlamenten fordern.

Tatsächlich sind den meisten US-amerikanischen und europäischen Politikern die Ukraine und die Ukrainer wahrscheinlich ebenso gleichgültig, wie die sezessionistischen Uiguren in China. Dass Russland erneut die Krim aus der Hand geben wird, wird wohl auch niemand ernsthaft erwägen. Tatsächlich zeigt die Lage an der ukrainischen Grenze zu Russland, welchen Aufwand die russische Regierung betreiben muss, um überhaupt erneut Verhandlungen über einen Stopp der Nato-Osterweiterung in Gang zu bringen – wie schwach ihre Position im Laufe der Jahrzehnte geworden ist. Aus russischer Sicht ist die Aufrechterhaltung eines offensichtlich gegen Russland (und natürlich auch China) gerichteten Militärbündnisses wohl eine unbegründete feindselige Handlung, eine gezielte Provokation. Die anhaltenden Spannung nützen tatsächlich weder der Ukraine noch Russland, aber sie stärken wieder die Position und den Einfluss der wechselnden US-Regierungen in Europa, die deshalb wahrscheinlich weder an deren Beendigung noch an einer kriegerischen Eskalation mit ungewissem Ausgang Interesse haben können. Dafür schwächen sie diejenigen Regierungen in Europa, die mehr Unabhängigkeit vom US-amerikanischen Diktat haben wollen, was sich z. Zt. vor allem am Schwanken der deutschen Bundesregierung in der Haltung zu China und zur Pipeline Nord Stream 2 zeigt.

(13.02.2022)


aus Arbeiterpolitik Nr. 3 / 2022

3 Kommentare

  1. Putins Unabhängigkeitserklärung für Donetsk und Luhansk ist Raub und eine Kriegserklärung an die Ukraine.
    Falls Putin gehofft hatte, die Ukraine von ihrem Westkurs abzubringen und für Großrussland zurückzugewinnen, ist er nun gescheitert.
    (Als Vertreter der Arbeiterbewegung haben die Pflicht,) „die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollen, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen.“ Karl Marx, Gründungserklärung der IAA, MEW 16, 13.
    Gruß Wal (Hannover)

  2. Nach dem ersten Entsetzen über den russischen Angriff muss ich Folgendes feststellen:
    Mit einem derart deftigen Überhandnehmen des Großmachtchauvinismus in der russischen Regierung habe ich nicht gerechnet – weil der Krieg Russland nur schaden kann:
    • die verbleibenden Sympathien in der ukrainischen Bevölkerung hat sich Russland damit verscherzt;
    • wenn Putin den Krieg auf die Zerstörung militärischer Infrastruktur begrenzt, dann wird sie anschließend umso umfassender wieder aufgebaut;
    • soll ein Marionettenregime installiert werden, ist ein Guerillakrieg die Folge;
    • teilt Putin das Land, bekommt er einen vor Waffen starrenden feindlichen Nachbarn;
    • an allen Fronten wird die NATO jetzt Raketen aufstellen, die Russland bedrohen;
    • die Sanktionen werden die russische Wirtschaft schwer treffen;
    • der letzte Trumpf im russischen Ärmel sind die Atomwaffen.
    Herbeigeführt hat die NATO dieses russische Abrutschen in die Katastrophenpolitik, indem sie statt der geforderten Sicherheitsgarantien monatelang nur Pflästerchen angeboten hat. Die Westeuropäer haben sich der amerikanischen Politik untergeordnet und nicht einmal versucht, die Neutralisierung der Ukraine ins Gespräch zu bringen. Dass man mit einer absteigenden Weltmacht vorsichtiger umgehen muss, haben sie jetzt vielleicht gelernt. Aber wenn Russland zum Rückzug bläst, wird die gierige Meute eher sofort nachsetzen, um Russland weiter in die Enge zu treiben.
    Um seinen riesigen Militärapparat langfristig aufrecht zu erhalten, dazu ist Russland zu arm. Die Oligarchen werden durch die Sanktionen so schnell nicht Hunger leiden, aber ihr Reichtum ist bedingt durch die Armut der Massen. Die russische Wirtschaft ist ohnehin wenig dynamisch und innovativ und wird dem Volk nur weitere Verschlechterungen bringen. Angesichts der wachsenden Kritik – auch bisheriger Regierungsanhänger – an dem Überfall auf die Ukraine ist mit einem Anwachsen der Protestbewegung zu rechnen und die Repression wird zunehmen. In den Gefängnissen sitzen ohnehin nicht nur Nawalny-Leute, sondern alle möglichen Oppositionellen, Kommunisten und andere Linke, es wird gefoltert und gemordet. Die offizielle Kommunistische Partei träumt von der vergangenen Großmacht, verherrlicht Stalin und es war sie, die den Antrag auf Anerkennung der Donbass-Republiken in der Duma gestellt hat. Genau wie hier kann wohl auch in Russland nur der Widerstand der Bevölkerung verhindern, dass die Herrschenden mit Atomwaffen herumfuchteln. Dass die Arbeiterklassen hier wie dort gemeinsam gegen die Kriegstreiberei streiken, davon sind wir leider meilenweit entfernt.
    Und in drei Jahren werden wir wieder einen Verrückten im Weißen Haus haben, der die amerikanischen Raketen in Europa kommandiert. Wenn die europäischen Politiker erst dann beginnen, sich aus der amerikanischen Dominanz zu lösen, dürfte es wohl zu spät sein.
    Klaus Dallmer

  3. Meine Verluste durch den Ukraine-Krieg
    Ich persönlich habe zwar noch keine Toten durch die russische Invasion in die Ukraine zu beklagen, aber durch diesen Krieg habe ich Verluste zu erleiden von Vertrauen, von Sympathie und Respekt unter Freunden und Bekannten.
    Es sind Leute, die dem Macchiavellischen Prinzip: „Der Feind meines Gegners ist mein Freund“ bis zur Selbstaufgabe folgen; es sind Leute, die im persönlichen Umgang mit einzelnen Menschen niemals Dinge tun würden, die sie im Umgang zwischen Staaten und Nationen mehr oder minder deutlich rechtfertigen; das sind Leute, die die Expansion, Krieg und Massenmorde der Nato-Staaten als Rechtfertigung für die Expansion, die Kriege und die Massenmorde von vorgeblichen „Opferstaaten“ ansehen; es sind Leute, die glauben, dass jedes unrechte Mittel, dass der Gegner ergreift, „mit gleichem Recht“ für eigene Interessen eingesetzt werden kann und dann zu Recht wird;
    Ich bin da entgegengesetzter Ansicht. Ich halte es mit der traditionellen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts und mit Karl Marx, der in der Gründungserklärung der Internationalen Arbeiterassoziation 1964 erklärte: Die Arbeiterklassen haben „die Pflicht …, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer jeweiligen Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; …“
    Aber diese Pflicht, sich in internationale Politik einzumischen bedeutet keineswegs, in der internationalen Konkurrenz der Staaten und Staatengruppen mitzumischen und dort Partei zu ergreifen. Die Arbeiterklassen und Emanzipationsbewegungen müssen statt dessen einen komplett anderen Politikstil durchsetzen, einen Politikstil, welcher „die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend (…) machen. Der Kampf für solch eine auswärtige Politik ist eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse.“ (Karl Marx, Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation, MEW 16,13).
    Mit Karl Marx bin ich der Ansicht, dass im internationalen Verkehr der Länder und Nationen dieselben einfachen und selbstverständlichen Regeln und Gesetze geltend gemacht werden müssen, die unter Individuen selbstverständlich und üblich sind. Unter Individuen ist es absolut unüblich und unrecht, wenn jemand seine Interessen (berechtigt oder nicht berechtigt) unter Gewaltanwendung gegen einen Kontrahenten durchsetzt. Indem die Russische Regierung nun ein anderes Land gewaltsam überfällt, um dem Land und den Bewohnern ihren Willen aufzuzwingen, wird dieses Unrecht um das Vieltausendfache größer.
    Wer das anders sieht, der kann nicht mit mir Freund sein; wer das anders sieht, mit werde ich den Kontakt abbrechen.
    Wal Buchenberg, 26.02.2022

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