
Die dritte Gewerkschaftskonferenz für Frieden fand dieses Jahr in Salzgitter statt. Es dürfte wohl die Ausnahme darstellen, dass eine IGM-Verwaltungsstelle für eine solche Konferenz ihre Gewerkschaftshaus und ihre personellen Kapazitäten zur Verfügung stellt. Ulrike Eifler, eine der Organisator:innen aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung bedankte sich dafür in ihrer Begrüßungsrede: „Ich darf euch alle ganz herzlich zu unserer inzwischen dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden hier in Salzgitter begrüßen – organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall Salzgitter-Peine. Und lasst mich gleich zu Beginn ein riesiges Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall-Geschäftsstelle aussprechen, die uns nicht nur sehr herzlich empfangen, sondern in den letzten Wochen und Monaten alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um diese Konferenz auf die Beine zu stellen.
Stellvertretend für alle möchte ich mich vor allem beim 1. Bevollmächtigten Matthias Wilhelm bedanken, noch viel mehr aber bei der Kollegin Derya Rust, die der organisatorische und politische Anker für uns hier in Salzgitter war und damit ganz wesentlich zum Erfolg der Konferenz beigetragen hat. Matthias, Derya – es ist uns eine große Ehre, in der Geschäftsstelle Salzgitter zu Gast zu sein! […] Kolleginnen und Kollegen, seit unserer letzten Konferenz in Stuttgart haben sich die Entwicklungen deutlich verändert. Wir reden heute nicht mehr „nur“ über den Krieg in der Ukraine. Sondern wir erleben seit über 20 Monaten ein furchtbares, ein grausames Vorgehen der israelischen Regierung gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza. Ich weiß, wie schwierig diese Diskussion auch in unseren Gewerkschaften zuweilen geführt wird. Und deshalb ist es mir wichtig zu betonen, dass es richtig war, dass die Gewerkschaften nach 1945 – als der Mantel des Schweigens über die faschistischen Verbrechen ausgebreitet werden sollte – nicht geschwiegen haben; es war richtig, dass sie die kritische Diskussion über Kriegsverbrechen und Holocaust eingefordert haben; und es war richtig, dass sie durch den Aufbau von Patenschaften nach Israel eine wertvolle Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit geleistet haben. Und trotzdem und gerade deshalb ist es mir wichtig, deutlich zu machen, dass wir heute nicht schweigend daneben stehen dürfen, wenn eine ultrarechte Regierung eine Kollektivbestrafung an der palästinensischen Bevölkerung vornimmt – heute müssen wir uns an die Seite der israelischen Friedensbewegung stellen, die ein Ende der Bombardierungen in Gaza und ein Ende der Hungerblockade an der Bevölkerung fordert.“

Die Konferenz war aufgegliedert in verschiedene Schwerpunktthemen mit den unterschiedlichsten Referent:innen.
Im ersten Themenblock
„Zeitenwende: Die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse – ökonomisch, politisch und militärisch“
referierte Ingar Solty. Er charakterisierte die Weltordnung des „postliberalen Kapitalismus“, wie er die aktuelle Phase bezeichnete. Zunächst ging er ein auf die verschiedenen Etappen und die vier Krisen der kapitalistischen Ordnung. Die erste Krise verordnete er in die Jahre der Wirtschaftsdepression von 1875 bis 1893; die zweite war die Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1939; die dritte die Krise des Fordismus 1967 bis 1979; seit 2007 befinden wir uns in einer langanhaltenden Dauerkrise, die bis heute nicht überwunden ist. In allen bisherigen Krisen wäre es dem Kapitalismus gelungen, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. In jeder dieser Krisen hat sich der Kapitalismus ein neues Antlitz gegeben. Auch der Imperialismus und die Weltordnung haben sich verändert. Der Kapitalismus vor der Krise war mit dem Kapitalismus nach der Krise nicht zu vergleichen. Auch das erleben wir heute und wir müssen uns die historische Brisanz vor Augen führen.
Die ersten dieser Krisen endeten mit zwei Weltkriegen, und der dritten Krise verdanken wir den Neoliberalismus mit all seinen Folgeschäden, auch mit dem Aufstieg des Rechtsextremismus in den ehemals kapitalistischen Zentren, in denen wir leben. Es ist eine historisch brisante Situation. Wir müssen darüber reden, dass der Frieden bedroht ist, ohne daraus den Schluß zu ziehen, dass wir uns dagegen militärisch wappnen können. Das Militär ist es, das den Frieden bedroht.
Die Dauerkrise seit 2007 ist nicht nur eine Akkumulationskrise; sie hat weitere Dimensionen. Es ist zugleich eine Krise der sozialen Reproduktion – wer kümmert sich um diejenigen, die noch nicht oder nicht mehr arbeitsfähig sind? Es ist eine Krise des sozialen Zusammenhalts, beschleunigt durch die vierte industrielle Revolution. Es ist eine Krise der Repräsentation, also des Vertrauensverlustes großer Bevölkerungsteile in die Funktionsfähigkeit der bürgerlich-paralamentarischen Demokratie. Es ist auch eine Krise der Ökologie, denn der Kapitalismus ist ein auf unendliches Wachstum gepoltes System auf einem Planeten, dessen Ressourcen begrenzt sind. Und natürlich ist es auch eine Krise der Weltordnung: Die von den USA geschaffene Weltordnung ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Der relative Abstieg einer alten Hegemonialmacht und der ökonomische Aufstieg einer neuen Hegemonialmacht haben immer zu Konflikten geführt. Die Aufgabe ist es, aus einer multipolaren Welt eine multilaterale Ordnung zu machen, die die Risiken eingrenzt. Dazu gehören Abrüstung und Rüstungskontrollvereinbarungen.
Auf die Frage, welche kapitalistische Staatsform die heutige Krise hervorbringen wird, erläuterte Ingar Solty: Vergegenwärtigen wir uns, Kapitalismus ist nicht, wie uns die Neoliberalen weismachen wollen, das gleiche wie Demokratie, und Marktwirtschaft führt nicht zur Demokratie. Im Gegenteil, die Marktwirtschaft produziert die Bedingungen für den Faschismus. Der Kapitalismus war immer kompatibel mit liberalen als auch autoritären Herrschaftsformen. Franz Neumann hat mal gesagt, der bürgerliche Staat war immer so liberal oder autoritär, wie es die Interessen des Großbürgertums erforderlich machen. Wir müssen uns fragen: Was sind diese Interessen heute und welche Staatsformen und welche Weltordnung werden sie hervorbringen?
Wir stehen vor dem Ende der 500jährigen Dominanz des Euroatlantiks. Der Aufstieg des globalen Südens und Chinas ist unaufhaltsam Aber es gibt Kräfte, die versuchen, ihn aufzuhalten. Bisher sind alle Bestrebungen gescheitert, den Aufstieg Chinas aufzuhalten. China ist ein welthistorisches Novum. Wir haben es mit einem Land zu tun, das kolonisiert war und das es geschafft hat, die Kolonisierung zu überwinden. China ist das gelungen, woran die Sowjetunion scheiterte, d.h. anzuschließen auf den wirtschaftlichen Stand des Westen. China war mal die verlängerte Werkbank. Heute ist es ein Hochtechnologie-Rivale, der einen alternativen Modernisierungspfad anbietet. Es ist ebenbürtig in modernen Zukunftstechnologien. Die USA haben den Aufstieg Chinas kommen sehen. Ihre erste Strategie richtete sich zunächst gar nicht gegen China, sondern gegen die EU. Es war die Zeit, in der sich die EU nach Osten ausdehnte, zum größtem Wirtschaftsraum der Welt wurde und sich mit dem Euro eine eigene Währung als Alternative zum Dollar gab. Dagegen wollten die USA sich die Energievorkommen im Irak sichern im Wissen, dass alle Industrienationen darauf angewiesen sind. Es endete im Desaster, welches die USA im Irak hinterlassen haben. Ohne eine derart destabilisierte Region hätte es den Aufstieg des IS nicht gegeben. Ohne den IS hätte es keine so große Fluchtbewegung aus dem Nahen Osten gegeben und ohne eine solche Fluchtbewegung nicht den Aufstieg des Rechtsextremismus.
Die zweite Strategie bestand im Abschneiden der Seewege, weil 80% des chinesischen Exports über den Seeweg verlaufen ist. China hat darauf reagiert, die neue Seidenstraße hat die Handelswege auf die eurasische Landmasse verlagert; sie haben sich mit dem chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor einen direkten Zugang zum Indischen Ozean verschafft. Vor allem haben sie die binnenwirtschaftliche Orientierung angekurbelt, um sich unabhängiger zu machen vom Export auf den europäischen und nordamerikanischen Binnenmarkt.
Dann kam die erste Amtszeit von Donald Trump, in der die USA versuchten China abzukoppeln vom Technologie- und Halbleitermarkt, die China noch nicht selbständig produzieren konnte. Auch der Versuch, China zu einem Abbau seiner Staatsinvestitionen zu drängen, blieb ergebnislos. So blieb nichts weiter übrig, als zu versuchen, China mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Wir haben diese Nachahmungsstrategie erlebt unter Biden, mit dem „chips and scients act“, mit den großen konjunkturpolitischen Maßnahmen von 5,9 Billionen Dollar, die die USA ausgeben wollten für Klimaschutz und dergleichen. Wir haben es in der BRD erlebt mit der Umwidmung des Corona-Fonds in den Klima- und Transformations-Fonds als auch mit der Anlockung von Investitionen in Silicon-Saxonie (Intel in Magdeburg, TSNC in Dresden). Die Versuche China mit seinen eigenen Waffen zu schlagen haben nicht funktioniert, sind gescheitert. Entscheidend ist, dass ein System, das sich in China in Jahrzehnten aufgebaut hat und den Staat als Planungsinstrument nutzen kann, sich nicht einfach in eine anderes, liberal-parlamentarisches System übertragen lässt. Das man damit gescheitert ist, zeigen die Schutzzölle. Sie sind das Eingeständnis, dass man nicht mehr konkurrieren kann, beispielsweise mit chinesischen Elektro-Autos. Wenn es uns schon nicht mehr gelingt, auf dem chinesischen Markt verstärkt unsere Autos abzusetzen, dann verhindern wir doch wenigstens, dass chinesische Modelle auf den europäischen Markt drängen.
So erleben wir heute, dass China der letzte Verteidiger der Welthandelsorganisation (WTO) ist. Die WTO ist mal geschaffen worden, um westliche Konzerninteressen in der Welt durchzusetzen, eine Welthandelsordnung im Interesse der exportstarken Nationen. China hatte 2001, als es unter harten Bedingungen aufgenommen wurde, ein Pro-Kopf-Inlandsprodukt von Haiti. Heute steht es da, wo es ist. Irgend etwas ist aus der Perspektive westlicher Konzerne schiefgelaufen. Schlimmer noch, mittlerweile erleben sie mit der Gründung von BRICS+, dass die Länder des globalen Südens gelernt haben, sich an die chinesische Industrialisierung anzudocken. Zwei Beispiele – es gibt hunderte davon –: erstens Simbabwe. Es ist bereit ausländische Investoren zum Abbau von Lithium ins Land zu holen, aber nur zu der Bedingung, dass die Weiterverarbeitung in Simbabwe stattfindet, das Know-how also im Land verbleibt. Das zweite Beispiel betrifft einen ehemals engen Verbündeten der USA, Südkorea. Ingar Solty hat mit dem Berater des Ex-Präsidenten Moon gesprochen und folgende Erklärung erhalten: Wir wollen nicht, dass ihr im Westen uns die Pistole auf die Brust setzt und fordert, entscheidet euch für Ost oder West, denn wir sind mit beiden Blöcken wirtschaftlich verbunden.
Die Länder des globalen Südens haben aus dem Konflikten, die Israel im Nahen Osten schürt, Folgendes gelernt: Du brauchst eine Atombombe, um nicht zum Opfer militärischer Aggression zu werden. Nordkorea wird nicht angegriffen, weil es über die Atombombe verfügt.
Wir im Westen stehen vor der Alternative: Erkennen wir die multipolare Welt an und versuchen mit entsprechenden Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträgen den Risiken einer multipolaren Welt entgegenzuwirken oder setzen wir weiterhin auf eine verstärkte Blockkonfrontation? Die Aufrüstung in den westlichen Ländern der „regelbasierten Ordnung“ deuten auf eine Fortsetzung der Konfrontation hin. Treibende Kraft dabei sind die USA, die mit der Aufgabe ihrer „Ein-China-Politik“ und der verstärkten militärischen Präsenz die Abtrennung Taiwans von China vorantreiben. Dies wird eine militärische Reaktion der Volksrepublik hervorrufen, dessen Führung angekündigt hat, eine Unabhängigkeit Taiwans zu verhindern. Genau so wenig wie die amerikanische Regierung während der Kuba-Krise die Stationierung von Mittelstreckenraketen vor ihrer „Haustür“ verhindert hat, wird auch die Volksrepublik China eine ähnliche Entwicklung auf Taiwan nicht widerstandslos über sich ergehen lassen. Gegen den erwartbaren Propagandafeldzug über den chinesischen Aggressor sollten wir schon heute über die Vorgeschichte informieren, so Ingar Solty.
Der Aufstieg des Rechtsextremismus, die Übernahme der Regierungsgeschäfte in zahlreichen Staaten durch rechtsextreme Parteien und/oder Koalitionen gehöre mittlerweile zu einem Wesensmerkmal des „postliberalen Kapitalismus“, wie Solty erläuterte. Einher gingen verstärkte Entscheidungen über oder gegen den „Souverän“, dem dafür vorgesehenen gesetzgebenden bürgerlichen Parlament. Die Verselbständigung der Regierung zeigte sich auch in der BRD, etwa in der Abstimmung über den Sonderfonds für Aufrüstung und Infrastruktur, zu dem das alte, abgewählte Parlament noch einmal eigens einberufen wurde.
Die Vertretung des Rechtsextremismus, die AfD, bewegt sich im Eiltempo auf die Positionen der „demokratischen Mitte“ zu. So ist die Stärkung der Bundeswehr längst Konsens, Alice Weidel war eine der ersten, die die Übernahme der 5%-Forderung für Rüstungsausgaben durch die USA befürwortete. In der Unterstützung des israelischen Völkermords ist sich die AfD mit der Regierung ebenso einig wie bei der Bekämpfung des „Antisemitismus“, den sie wie die Bundesregierung hauptsächlich unter Kritikern der israelischen Kriegsführung ausmacht.
Gegen die wachsenden Gefahren von Aufrüstung, Kriegsvorbereitung und autoritär-repressiven Maßnahmen helfe nur der Aufbau eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses, das vor allem auch die Lohnabhängigen und gewerkschaftliche Initiativen umfassen sollte. Die dritte Friedenskonferenz war die Fortsetzung der bisherigen gewerkschaftlichen Friedenstreffen in Hanau und Stuttgart.. Die Zukunft wird zeigen, wie erfolgreich sie beim Aufbau einer antimilitaristischen Bewegung werden können.
Der zweite Themenblock behandelte das Thema:
„Kanonen UND Butter? Wie wirkt sich die Aufrüstung auf Konjunktur und Sozialstaat aus?“
Den Einstieg machte ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel. Er betonte gleich zu Beginn, dass man mit der gigantischen Summe, die zukünftig für Aufrüstung ausgegeben werden soll, „die gesamte Armut dieser ganzen Welt beseitigen könnte.“ Sehr detailliert entlarvte Hirschel die zwei großen Lügen, die derzeit vehement wiederholt werden: Investitionen in die Rüstung würden für Wachstum sorgen und trotz starker Aufrüstung könne der Sozialstaat erhalten werden. Für ihn sind Militärausgaben aus ökonomischer Sicht keine Investitionen, sondern „totes Kapital“, die keine Erträge abwerfen und zu keiner wirtschaftlichen Entwicklung führen. Jeder Euro für die Rüstung, so Hirschel, fehle bei Kitas, in der Pflege, in Krankenhäusern und anderswo. Der Schuldendienst für die hohen Militärausgaben verschlinge Milliarden, allein bis 2029 seien es 100 Milliarden Euro Schulden- und Zinstilgung bei einem Bundeshaushalt von zurzeit 470 Milliarden Euro.[1]
In den dritten Themenblock führten die Jugendlichen ein unter dem Titel:
„Keine Zukunft im Atomzeitalter! Jugend aktiv gegen Krise und Krieg!“
Den Abschluss des Tages bildete das Jugendpodium (ein Novum gegenüber Hanau und Stuttgart). Yusuf As von der DIDF-Jugend, Andrea Hornung, SDAJ – Bundesvorsitzende, Henrik Torbecke, Jugendvertreter und Mitglied im IGM – Ortsjugendausschuss, und Cem Ince, junger neugewählter Bundestagsabgeordneter für Die Linke aus dem Volkswagenwerk in Salzgitter, diskutierten miteinander und mit dem Publikum, wie die Jugend aktiv gegen Krise und Krieg werden kann bzw. ist.
Andrea erinnerte eingangs an Karl Liebknecht, der sich für den Kampf der Arbeiterjugendbewegung gegen Militarismus und Krieg einsetzte, in dessen Tradition sich die SDAJ sieht und dementsprechend gegen Bundeswehroffiziere an Schulen und bei Bildungsmessen vorgeht. Die SDAJ war auch Mitinitiatorin der Petition gegen die Wiederanwendung der Wehrpflicht. Mittlerweile habe die Angst vor einem Krieg bei der Jugend die Befürchtungen vor einem Klimawandel überflügelt.
Henrik bedauerte, dass sich die IG Metall zu wenig offensiv in die Debatte um die Umstellung von Friedens- in Rüstungsproduktion einbringe. Kollegen, die Angst vor Arbeitsplatzabbau haben, fragen, warum nicht in Rüstung investiert werde – darauf müssen die Gewerkschaften reagieren, die Befürchtungen der Kollegen ernst nehmen und wieder an die frühere Tradition der Konversionsdebatte anknüpfen (ein Workshop am Samstag beschäftigte sich mit der Konversionsfrage). Er wies auch darauf hin, dass die gesellschaftliche Rechtsentwicklung durch die Militarisierungs- und Aufrüstungsdiskussion gefördert wird – wer also „gegen Rechts“ aktiv werden will, muss sich auch gegen den Kriegskurs wehren.
Yusuf stellte fest, dass ein Teil der Jugend, auch der migrantischen Jugend, in der Bundeswehr einen attraktiven Arbeitgeber sieht. Wenn beispielsweise VW 35.000 Arbeitsplätze abbaut, dabei die Zahl der Ausbildungsplätze halbiert, steigt der Druck auf junge Menschen, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten, dort eine Ausbildung zu bekommen und sich den Lebensunterhalt verdienen zu können. Er erinnerte auch an die Rolle der ver.di-Jugend auf dem letzten ver.di-Bundeskongress, die sich vehement für Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzte, vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, damit solidarisch mit einem angegriffenen Land zu sein.
Cem Ince stellte fest, dass die Linke die einzige Friedenspartei im Bundestag sei, sie aber auch Druck von der Basis brauche, um diese Aufgabe auch erfüllen zu können. Wichtig sei, dass der wahre Kampf auf der Straße und in den Betrieben geführt werde.
In einer lebhaften Diskussion wurde viel über Erwartungen an Die Linke als Partei gesprochen, die sich auch durch den Eintritt vieler neuer junger Mitglieder verändere. Dabei wurde oft der internationale Aspekt und die Notwendigkeit internationaler Solidarität herausgestellt. Wenn man die Friedensfrage in die Betriebe trage, dürfe man nicht vergessen, dass sich das Bewusstsein nicht allein durch Aufklärung, sondern vor allem in und durch Kämpfe verändere.
Auf den in manchen Diskussionsbeiträgen hergestellten Gegensatz zwischen Gewerkschaftsführung und Basis wurde entgegnet, dass die Konflikte gerade in der Friedensfrage quer durch die ganze Mitgliedschaft gehen; auch zeige die starke Beteiligung von (haupt- und ehrenamtlichen) Gewerkschaftern an der Konferenz, dass der Konflikt damit nicht richtig erfasst ist.
Sowohl die engagierte Diskussion auf dem Podium wie auch die vielen guten Beiträge aus dem Publikum, viele von jungen Teilnehmer/innen, machen Mut, dass die friedensbewegten Gewerkschafter/innen nicht aussterben, sondern immer wieder Junge nachrücken. 250 Anwesende und über 900, die sich den Livestream anschauten, übertrafen die Zahlen der letzten Konferenz in Stuttgart.[2]
Der zweite Tag der Konferenz wurde geprägt durch das Referat von Ulrike Eifler
„Die Zeitenwende ist ein Frontalangriff auf die Interessen der Beschäftigten“[3]
und der anschließenden Diskussion mit Doris Heinemann-Brooks (Bundesvorsitzende der ver.di-Senioren, Hamburg), dem Journalisten Sebastian Friedrich und dem MdB Jan Dieren (SPD).
Doris Heinemann-Brooks führte zu den letzten Tarifverhandlungen aus (Schlichter war der ehem. hessische Ministerpräsident Roland Koch): Es gab zwei vergiftete Bestandteile im Angebot, die leider auch angenommen wurden: Zum einen die freiwillige Erhöhung der Arbeitszeit auf 42 Wochenstunden, obwohl die Beschlusslage von ver.di die Reduzierung der Arbeitszeit vorsieht.
Die zweite Kröte, die wir akzeptiert haben, die Azubi-Übernahme findet statt, „sofern nicht im Einzelfall personenbedingte, verhaltensbedingte, betriebsbedingte oder gesetzliche Gründe entgegenstehen“ (ich zitiere den entsprechenden Passus). Damit wurde der Willkür Tür und Tor geöffnet. Was personenbedingte oder gesetzliche Gründe darstellen werden, können wir uns leicht ausrechnen.
Doris verwies auf die neue gesetzliche Arbeitszeitregelung, die zahlreiche Verschlechterungen mit sich bringe. Zugleich wurde ein Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst angekündigt mit Ausnahme sicherheitsrelevanter Bereiche. Im Klartext: Weniger Beschäftigte müssen in längerer Arbeitszeit mehr leisten. Das führt in Hambug schon heute dazu, dass die Bezirksämter für die Bearbeitung von Wohngeldanträgen sechs bis acht Monate brauchen. Diese Beispiele ziehen sich durch den gesamten öffentlichen Dienst und die Daseinsvorsorge. So müssen immer weniger Erzieher:innen immer mehr Kinder betreuen, die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Zu den Senioren führte Doris aus: Wir haben jetzt bereits von den 21 Millionen Rentner:innen 38% die erwerbstätig sind, weil ihre Bezüge nicht zum Leben reichen. Sie arbeiten zumeist in Minijobs. Etwa 20% der über 65-Jährigen sind von Armut bedroht. Es ist ein absoluter Skandal in einem so reichen Land. Statt die Armut zu überwinden, werden immer höhere Aufwendungen in Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gesteckt. Bisher gibt es in der Breite der Gesellschaft noch keine Bereitschaft, auf die Straße zu gehen. Die Hamburger Seniorinnen und Senioren (von ver.di) sind sehr aktiv. Einer der wesentlichen Aspekte, die wir in letzter Zeit herausgearbeitet haben, ist, dass wir uns nicht ausschließlich auf die Gewerkschaften verlassen können, sondern breitere Bündnisse anstreben müssen.
Der Journalist Sebastian Friedrich erläuterte, weshalb die Berichterstattung in den bundesdeutschen Medien so einheitlich und einseitig ausfällt. Zahlreiche und selbst kritische Journalisten fürchteten Nachteile für ihre Karrieren, wenn sie gegen die Vorgaben der Redaktionsleitungen und gegen den Mainstream argumentieren.
Der Bundestagsabgeordnete Jan Dieren erläuterte, warum er als einziger SPD-Abgeordneter im Bundestag gegen die Sondervermögen (für Aufrüstung und Infrasrtruktur) gestimmt habe. Die inhaltlichen Begründungen hätten ihn nicht überzeugt. Er wies außerdem darauf hin, dass diese Sondervermögen allen folgenden Regierungen der nächsten Jahre zur Verfügung stehen, auch möglichen AfD-Regierungen. Darin sehe er eine große Gefahr.

Das Abschlussplenum
„Gegen Kriegstüchtigkeit und Raketenstationierung in Deutschland und Europa!“
war prominent besetzt mit: Ralf Stegner, MdB SPD, Özlem Demirel, MdEP Die Linke, Petra Erler, ehem. Staatssekretärin und Autorin, Markus Hulm, 2. Bevollmächtigter IG Metall Salzgitter-Peine, Ole Nymoen, Podcaster
Petra Erler, ehemals Staatssekretärin, schilderte die Erfahrungen der Friedensbewegung der 1980er Jahre und machte deutlich, wie nahe man damals einem Atomkrieg war. Özlem Demirel, die die Linkspartei im EU-Parlament vertritt, berichtete über die Vorbereitungen der EU auf die Neuaufteilung der Welt. Militarisierung habe zwei Seiten: Expansion nach außen und Repression nach innen. Krieg und Frieden müsse als Klassenfrage betrachtet werden. Sie forderte das sofortige Ende der militärischen Unterstützung von Israel durch Deutschland und die USA. Markus Hulm, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter-Peine, betonte, dass die Debatte mit den Beschäftigten gemeinsam geführt werden müsse. Der Podcaster Ole Nymoen bekräftigte seine Haltung gegen die Wehrpflicht und schilderte, wie die sozialen Medien junge Menschen radikalisierten. Ralf Stegner, Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitinitiator des Friedensmanifests, sagte, dass jeder das Recht habe, in Frieden zu leben – ohne Hass, Zerstörung, Angst und Tod. Ihm war wichtig, wieder Klarheit darüber zu schaffen, was Krieg bedeute. Fazit und Konsens in der Abschlussdebatte waren eindeutig: Wir müssen die Friedensbewegung zu einer breiten gesellschaftlichen Kraft machen. Wir müssen die Debatten in die Betriebe tragen und mit den Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch kommen. Die Gewerkschaften müssen Teil und Kern der Friedensbewegung werden.[4]
Hoffnungen und Fazit von der dritten Gewerkschaftlichen Friedenskonferenz
Die Beteiligung, vor allem von jüngeren Kolleginnen und Kollegen, macht Hoffnung auf eine erfolgreiche Fortsetzung gewerkschaftlicher und friedenspolitischer Aktivitäten. Als eine der schwierigsten Diskussionen, die uns zunehmend bevorstehen, sind die Übernahmen von Automobil- und deren Zulieferbetrieben durch Rüstungskonzerne. Die Masse der Beschäftigten sieht darin die nicht unberechtigte Hoffnung auf eine zumindest kurzfristige Sicherung ihrer bedrohten Arbeitsplätze. Innerhalb der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse bleiben die Kolleginnen und Kollegen von den Entscheidungen des Kapitals abhängig, um ihre Arbeitskraft verkaufen zu können. Deshalb ist es die Aufgabe klassenbewusster und gewerkschaftlicher Kräfte, den Flügel der Friedensbewegung zu stärken, der eine Perspektive jenseits der gegenwärtigen Eigentumsordnung anstrebt. Nur jenseits der Standortlogik, ohne Konkurrenz von Nationen oder deren Bündnisse um Absatzmärkte, Rohstoffe und geostrategische Einflusssphären ist eine dauerhafte Friedenslösung denkbar.
Zu den ersten beiden gewerkschaftlichen Friedenskonferenzen siehe Arbeiterpolitik:
https://arbeiterpolitik.de/2023/07/gewerkschaftliche-friedenskonferenz-in-hanau/
[1] Aus: UZ Nr. 29, 18. Juli 2025
[2] Aus: https://www.kommunisten.de/rubriken/aus-den-bewegungen/9285-3-konferenz-den-frieden-gewinnen-nicht-den-krieg-norbert-heckl-berichtet
[3] Siehe Artikel in dieser Zeitung und auf der Internetseite
[4] Aus: UZ Nr. 29, 18. Juli 2025
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