Über den Faschismus

August Thalheimer am 11., 18. und 25. Januar 1930
Gegen den Strom, 3. Jg., Nr. 2,3 und 4

Der beste Ausgangspunkt für die Untersuchung des Faschismus scheint mir die marxsche und engelssche Analyse des Bonapartismus (Louis Bonaparte) zu sein. Wohlverstanden, ich setze nicht Faschismus und Bonapartismus gleich. Aber es sind verwandte Erscheinungen mit sowohl gemeinsamen als auch mit abweichenden Zügen, die beide herauszuarbeiten sind. (…)

Neben der Analyse der klassenmäßigen sozialen und historischen Wurzeln des Bonapartismus sieht er als Ergebnis nicht nur das Vorhandensein bestimmter Klassen in einer gegebenen Gesellschaft, sondern auch eines bestimmten geschichtlich produzierten und darum geschichtlich sich auflösenden Verhältnisses dieser Klassen, einer bestimmten geschichtlichen Lage. Er untersucht auch aufs genaueste die politischen Erscheinungsformen des Bonapartismus, ihre ideologischen Wurzeln und Ausdrücke, ihre staatliche und parteimäßige Organisation. Marx entwickelt im einzelnen, wie die französische Bourgeoisie nach 1846-49 angesichts der Erhebung der Arbeiterklasse in der Junischlacht, um ihre soziale Existenz zu retten, ihre politische Existenz preisgibt, sich der Diktatur eines Abenteurers und seiner Bande preisgibt.

August Thalheimer im Exil in Havanna (Kuba)

»Indem also die Bourgeoisie«, sagt er, »was sie früher als ›liberal‹ gefeiert, jetzt als sozialistisch verketzert, gesteht sie ein, dass ihr eigenes Interesse gebietet, sich der Gefahr des Selbstregierens zu überheben, dass um die Ruhe im Lande herzustellen, vor allem ihr Bourgeoisieparlament zur Ruhe gebracht, um ihre gesellschaftliche Macht unversehrt zu erhalten, ihre politische Macht gebrochen werden müßte; dass die Privatbourgeoise nur fortfahren können, die anderen Klassen zu exploitieren und sich ungetrübt des Eigentums, der Familie, der Religion und der Ordnung zu erfreuen unter der Bedingung, dass ihre Klasse neben den anderen Klassen zur politischen Nichtigkeit verdammt werde; dass, um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeschlagen und das Schwert, das sie beschützen soll, zugleich als Damoklesschwert über ihr eigenes Haupt gehängt werde.« (Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, [MEW; Bd. 8], Unterstreichungen von mir. A. Th.)

Die Bourgeoisie ist also eine der sozialen Grundlagen des Bonapartismus, aber um ihre soziale Existenz in einer bestimmten geschichtlichen Lage zu retten, gibt sie die politische Macht preis – sie unterwirft sich »der verselbständigten Macht der Exekutivgewalt«. Die andere tiefe und breite soziale Wurzel der »Verselbständigung der Exekutivgewalt«, der Diktatur Bonapartes und seiner »Bande« ist der Parzellenbauer (der Zwerg- und Kleinbauer), und zwar nicht der revolutionäre, sondern der konservative Parzellenbauer, also nicht derjenige, der gegen die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse rebelliert, sondern derjenige, der sein bäuerliches Privateigentum erhalten und verteidigt wissen will gegenüber der drohenden proletarischen Revolution. Diese Verteidigung, diesen Schutz kann die Bauernklasse infolge ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Zersplitterung, infolge fehlender eigener ökonomischer und sozialer Organisation nicht selbst ausüben.

»Insofern ein nur lokaler Zusammenhang unter den Parzellenbauern besteht, die Dieselbigkeit ihrer Interessen keine Gemeinsamkeit, keine nationale Verbindung und keine politische Organisation unter ihnen erzeugt, bilden sie keine Klasse. Sie sind daher unfähig, ihre Klasseninteressen im eigenen Namen, sei es durch ein Parlament, sei es durch einen Konvent, geltend zu machen. Sie können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten werden. Ihr Vertreter muss zugleich als ein Herr, als eine Autorität über ihnen erscheinen, als eine unumschränkte Regierungsgewalt, die sie vor den anderen Klassen beschützt und ihnen von oben Regen und Sonnenschein schickt. Der politische Einfluss der Parzellenbauern findet also darin seinen letzten Ausdruck, dass die Exekutivgewalt sich die Gesellschaft unterordnet.«

Was die Arbeiterklasse anlangt. so macht sie beim Entstehen des Bonapartismus insofern mit, als sie zum revolutionären Sturm auf die bürgerliche Gesellschaft geschritten ist, sie in Furcht und Schrecken gejagt hat, aber sich noch nicht als fähig erwiesen hat, selbst die Gewalt an sich zu reißen und zu halten. Eine schwere Niederlage des Proletariats in einer tiefen sozialen Krisis ist also eine der Voraussetzungen des Bonapartismus. Andererseits ist der Bonapartismus in verschiedene Sektionen und Parteien gespalten: Die Zerklüftung der Bourgeoisie, das Hervortreten der Gegensätze zwischen ihren einzelnen Schichten ist ihrerseits wieder eine Wirkung der Niederlage der Arbeiterklasse (und darauf folgend das Kleinbürgertum). Die Exekutivgewalt erscheint jetzt der Bourgeoisie als der ersehnte Repräsentant des gemeinsamen Interesses ihrer einzelnen Schichten. die nicht mehr aus sich heraus diese Einheit zustandebringen.

Diesen Gesichtspunkt hebt besonders Friedrich Engels hervor, wenn er in der Einleitung zur dritten Ausgabe des Bürgerkrieg in Frankreich später sagte:

»Konnte das Proletariat (nach 1848) noch nicht Frankreich regieren, so konnte die Bourgeoisie es schon nicht mehr. Wenigstens damals nicht, wo sie der Mehrzahl nach noch monarchistisch gesinnt und in drei dynastische Parteien und eine vierte republikanische gespalten war. Ihre inneren Zänkereien erlaubten dem Abenteurer Louis Bonaparte, alle Machtposten – Armee, Polizei, Verwaltungsmaschinerie – in Besitz zu nehmen und am 2. Dezember 1851 die letzte feste Burg der Bourgeoisie, die Nationalversammlung, zu sprengen.«

II.

(…) Marx gibt weiter im 18. Brumaire eine Analyse des Herrschaftsmechanismus Louis Bonapartes, seiner organisatorischen Stützen und Mittel. Da ist zuerst die geheime Parteiorganisation Louis Bonapartes, die »Gesellschaft des I0. Dezember«.

Woraus besteht sie sozial?

  • Es ist zunächst das »Pariser Lumpenproletariat in Sektionen organisiert, an der Spitze bonapartistische Generäle«.
  • Dann deklassierte Bourgeoiselemente: »zerrüttete Rouès . . .
    Spieler. . . Literaten usw.«
  • Weiter deklassierter Adel.
  • Schließlich deklassierte bäuerliche Elemente.

Das Ganze fasst Marx unter dem Namen der «Bohème« zusammen. Es sind also »Deklassierte aller Klassen«, aus denen Louis Bonaparte seine ihm eigentümliche Parteiorganisation bildet und die er als Vertrauensleute, Beamte usw. um sich gruppiert. Das ist natürlich kein Zufall, sondern liegt im Wesen der Sache. Wirtschaftlich und sozial entwurzelte, von der unmittelbaren Produktion ausgestoßene parasitische Elemente aller Klassen sind der natürliche Stoff, die natürlichen Werkzeuge der »verselbständigten Exekutivgewalt«. In diesem gesellschaftlichen Abhub sind die Unterscheidungsmerkmale der Klassen verwischt. Er ist frei von den ideologischen usw. Bindungen an die einzelne Klasse, deren Abfall er ist, insofern kann er sich über sie erheben und zwischen ihnen lavieren. Andererseits: Er stellt nicht die revolutionäre, sondern die konterrevolutionäre Aufhebung dieser Klassenmerkmale vor, die Negation des bürgerlichen Klassenprinzips, die innerhalb dieses Prinzips bleibt… Und so sind diese Deklassierten aller Klassen zugleich Fleisch vom Fleische, Bein vom Beine des Privateigentums, der bürgerlichen Gesellschaft, und also fähig, indem sie ihre politische Herrschaft vernichten, zugleich ihre soziale Herrschaft zu verteidigen und zu schützen gegenüber der Klasse und den Klassen, die die revolutionäre Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft, die gesellschaftliche Aufhebung des individuellen bürgerlichen Eigentums, vertreten, des industriellen Proletariats und der proletarisierten Teile des Bauerntums.

Ökonomisch haben diese deklassierten Elemente, die Parasiten aller Klassen, einen natürlichen Drang, sich in der Regierungsmaschine und der bonapartistischen Parteimaschine eine Existenzquelle zu sichern. Daher das ungeheure Anschwellen des verselbständigten Exekutivapparates. … (…)

III.

Schließlich finden wir die zusammenfassende Charakteristik und Perspektive des Bonapartismus oder «Imperialismus« (nicht im modernen Sinne) als Form der bürgerlichen Staatsmacht in einer bestimmten Situation der bürgerlichen Klassengesellschaft im »Bürgerkrieg in Frankreich«. Hier sagt Marx:

»Das Kaisertum (…) gab vor, sich auf die Bauern zu stützen, auf eine große Masse der Produzenten, die nicht unmittelbar in den Kampf zwischen Kapital und Arbeit verwickelt waren. Es gab vor, die Arbeiterklasse zu retten, indem es den Parlamentarismus brach und mit ihm die unverhüllte Unterwürfigkeit der Regierung unter die besitzenden Klassen. Es gab vor, die besitzenden Klassen zu retten durch Aufrechterhaltung ihrer ökonomischen Hoheit über die Arbeiterklasse; und schließlich gab es vor, alle Klassen zu vereinigen durch die Wiederbelebung des Trugbildes des nationalen Ruhmes. In Wirklichkeit war es die einzig mögliche Regierungsform in einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren, und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte.« (…)

IV.

Kommen wir nun zur heutigen Form der offenen Diktatur der Bourgeoisie in Italien, dem faschistischen Staat. Unverkennbar sind wesentliche Züge gemeinsam mit der bonapartistischen Form der Diktatur: wieder die »Verselbständigung der Exekutivgewalt«, die politische Unterwerfung aller Massen, einschließlich der Bourgeoisie selbst, unter die faschistische Staatsmacht bei sozialer Herrschaft der Großbourgeoisie und der Großgrundbesitzer. Gleichzeitig will der Faschismus, wie der Bonapartismus, der allgemeine Wohltäter aller Klassen sein: daher ständige Ausspielung einer Klasse gegen die andere, ständige Bewegung in Widersprüchen im Inneren. Der Herrschaftsapparat trägt ebenfalls dieselben Züge. Die faschistische Partei ist ein Gegenstück zu der »Dezemberbande« Louis Bonapartes. Ihr sozialer Bestand: Deklassierte aller Klassen, des Adels, der Bourgeoisie, des städtischen Kleinbürgertums, der Bauernschaft, der Arbeiterschaft. Was die

Was die Arbeiterklasse anlangt, so hängen hierbei zwei entgegengesetzte Pole der Deklassierung zusammen: unten das Lumpenproletariat, »oben« Teile der Arbeiteraristokratie und -bürokratie, der reformistischen Gewerkschaften und Parteien. Die Verwandtschaft trifft auch zu auf die bewaffnete Macht. Die faschistische Miliz ist sozial das Gegenstück zur bonapartistischen Armee. Wie sie ist sie Existenzquelle für deklassierte Elemente. Daneben besteht in Italien die Armee der allgemeinen Wehrpflicht. Sie findet kein Gegenstück in Frankreich. Der Existenz neben der faschistischen Miliz entspricht das Bedürfnis der Organisation der Wehrmacht unter imperialistischen Verhältnissen, das eine bloße Berufs- oder Söldnerarmee allen als ungenügend erscheinen lässt und Massenheere mit breitester Ausdehnung der Wehrpflicht fordert.

Ebenso findet sich Übereinstimmung in der Situation des Klassenkampfes, aus der hier die bonapartistische, dort die faschistische Form der Staatsmacht hervorging. Im Falle des italienischen Faschismus, wie in dem des Bonapartismus, ein gescheiterter Ansturm des Proletariats, darauffolgende Enttäuschung in der Arbeiterklasse, die Bourgeoisie erschöpft, zerfahren, energielos nach einem Retter ausschauend, der ihre soziale Macht befestigt. Übereinstimmung auch in der Ideologie: als Hauptmittel die »nationale« Idee, der Scheinkampf gegen parlamentarische und bürokratische Korruption, Theaterdonner gegen das Kapital usw. Verwandte Züge schließlich bei den »Helden« des Staatstreichs.

(…) Die Bourgeoisie, sagt er weiter, erblickt in ihm den ersten »großen Staatsmann«, Fleisch von ihrem Fleische – er ist wie sie Emporkömmling. Auch Mussolini ist Emporkömmling, Maurersohn. Den veränderten Zeiten entsprechend ist jetzt der Emporkömmling aus der Abeiterklasse geeigneter als der aus dem Kleinadel, wie dies bei Bonaparte der Fall war.

(…) Die inneren Widersprüche des Systems sind hier wie dort wesensverwandt. Der Widerspruch zwischen der materiellen und sozialen Stärkung der Bourgeoisie, bei ihrer politischen Niederhaltung. Der Schein der Beschützung der materiellen Interessen des Proletariats bei ihrer wirklichen Auslieferung an das Kapital. Der faschistische Staat als »Vermittler« zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse, der sich als solcher ständig in praktischen Widersprüchen bewegen muss. Dasselbe in Bezug auf die Bauern und Kleinbürger. Der Faschismus und Bonapartismus haben der bürgerlichen Gesellschaft »Ruhe und Sicherheit« versprochen. Aber um ihre Unentbehrlichkeit als permanente »Retter der Gesellschaft« zu erweisen, müssen sie die Gesellschaft ständig als bedroht erscheinen lassen: also beständige Unruhe und Unsicherheit. Die materiellen Interessen der Bourgeoisie wie der Bauernschaft erfordern sparsame Staatswirtschaft, ein »Regime der Ökonomie«. Das materielle Interesse der Parasitenbande, die die faschistische Parteiorganisation, die faschistischen Staats- und Gemeindebeamten, die faschistische Miliz zusammensetzen, erfordern umgekehrt die ständige Erweiterung und Bereicherung der faschistischen Staats- und Parteimaschine. Daher abwechselnde Verletzung beider Interessen. Jede Zügelung der faschistischen Bande im Interesse der bürgerlichen »Ruhe und Ordnung« wie ihrer Ökonomie muss alsbald kompensiert werden durch eine neue Erlaubnis zu terroristischen Exzessen, Plünderungen usw.

Die inneren Widersprüche, wie die national-imperialistische Ideologie, treiben den Diktator zu Vorstößen nach außen, schließlich zum Krieg. …

(…) Welche wesentlichen Unterschiede bestehen zwischen Bonapartismus und Faschismus? Sie sind teils lokal bedingt – durch die lokale Verschiedenheit der Klassenverhältnisse, geschichtlichen Traditionen usw. In Frankreich und Italien wurzeln sie teils in der Veränderung des allgemeinen Charakters der bürgerlichen Gesellschaft und des kapitalistischen Systems. …

(…) Ein (…) Unterschied, der durch die allgemeine Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und den Stand des internationalen Klassenkampfes bedingt ist, zeigt sich in den organisatorischen Grundlagen und Mitteln der faschistischen Staatsmacht. Die »Dezemberbande« von Louis Napoleon war das Gegenstück zu der kleinen revolutionären Geheimorganisation der damaligen französischen Arbeiterklasse. Die faschistische Partei ist das konterrevolutionäre Gegenstück zur Kommunistischen Partei Sowjetrußlands. Sie ist also, im Unterschied von der Louis Napoleons, von vornherein eine breite Massenorganisation. Das macht sie in gewissen Stadien stärker, aber steigert auch die Widersprüche in ihrem Innern, die Widersprüche zwischen den sozialen Interessen dieser Massen und dem Interesse der herrschenden Klassen, denen sie dienstbar gemacht wird.

(…) In Polen (…) spielt bereits ein Faktor hinein, der in Spanien und in einer Reihe anderer Länder ausschlaggebend ist und dort die »faschistische Staatsmacht« nur äußerlich dem italienischen Faschismus und dem französischen Bonapartismus an die Seite stellt, während das klassenmäßige Wesen grundverschieden ist. Ich wähle zur Illustration die extremen Fälle des Regimes, der Formen der Staatsmacht in südamerikanischen Republiken. Auch hier ist das Heer Träger der politischen Macht, die Exekutive verselbständigt. Gewöhnliche politische Kursänderungen vollziehen sich in Militärputschen, die, obwohl äußerlich gewaltsam, keineswegs revolutionär sind, da sie an dem bestehenden Machtverhältnis der Klassen grundsätzlich nichts ändern.

Hier ist die Militärdiktatur, die Verselbständigung der Exekutive nicht Wirkung der »vollentwickelten bürgerlichen Gesellschaft«, ihrer Überreife, ihrer Bedrohung durch die proletarische Revolution und der Notwendigkeit für die bürgerliche Gesellschaft, sich dagegen schließlich zu verschanzen, sondern gerade umgekehrt. Es ist hier die Unreife der bürgerlichen Entwicklung, die zahlenmäßige und organisatorische Schwäche der Bourgeoisie, der noch feudale Grundbesitzelemente gegenüberstehen, die es noch nicht zu einer starken politischen Organisation der Bourgeoisie kommen lässt. Das Heer, vielmehr sein Offizierkorps, ist hier die festeste und entwickeltste politische Organisation. Es übt die Herrschaft aus an Stelle der Bourgeoisie, die sie noch nicht ausüben kann. Im Fall des Bonapartismus und des italienischen Faschismus konnte sie sie in der gegebenen Situation des Klassenkampfes nicht mehr ausüben.

Unter demselben äußeren Anstrich des Faschismus (wie in Spanien) verbergen sich also total verschiedene Klassenverhältnisse, Stufen des Klassenkampfes, Entwicklungsstufen der bürgerlichen Gesellschaft.

(…) Ziemlich allgemein ist heute in der Bourgeoisie vollentwickelter kapitalistischer Länder das Bestreben, das parlamentarische System abzubauen, einzuengen, stärkere politische Garantien für die Bourgeoisieherrschaft zu schaffen. Solche Strömungen sind vor allem sichtbar in solchen hochkapitalistischen Ländern wie England, Deutschland, Frankreich, die durch das Ergebnis des Krieges mehr oder weniger sozial und ökonomisch erschüttert worden sind. Das bewegt sich in der Richtung des Faschismus, es kann in kritischen Situationen zu Formen offener Diktatur des Kapitals führen. Aber diese müssen nicht identisch sein mir denen des Faschismus.

Dabei ist noch folgendes sich klar zu machen. Die Aushöhlung des bürgerlich-parlamentarischen Regimes erfolgt schrittweise. Und die Bourgeoisie selbst ist dabei der Haupt-agent. Marx´ 18. Brumaire schildert gerade diesen Aushöhlungsprozeß in seinen einzelnen Etappen. Die Herstellung der offenen Diktatur selbst kann aber nur durch einen Sprung, einen Putsch oder einen Staatsstreich erfolgen, bei dem die Bourgeoisie selber das passive Element ist. Ihre Sache ist es, die Bedingungen zu schaffen, damit sie sozial »gerettet« und politisch vergewaltigt werden kann. Das Vergewaltigen selber aber besorgt der Held des Staatsstreiches oder Putsches. Das Individuum oder die Organisation findet sich dazu immer, wenn ein Bedürfnis dazu da ist. Die entsprechenden Organisationen fördert die Bourgeoisie selber aktiv oder passiv.

Das Noskeregiment in Deutschland war zweifellos ein Regiment offener konterrevolutionärer Gewalt. Aber die Form der Staatsmacht war nicht die faschistische. Das Noskeexperiment war keine »Verselbständigung der Exekutive«. Es führte, da es eine Säbelherrschaft herstellte, dazu, dass ein Versuch in dieser Richtung erfolgte. Dieser Versuch der militärischen Exekutivgewalt, der Kapp-Putsch, schlug aber fehl.


aus: Arbeiterpolitik Sondernummer 2020

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